Schulen sind weitestgehend geschlossen, Kitas wahrscheinlich noch bis zum Sommer im Notbetrieb: Was macht die Corona-Krise mit Eltern und Kindern? Die Moderatorin und Autorin Collien Ulmen-Fernandes hat sich – aus dem Homeoffice – dieser Frage angenommen. In ihrer ZDFneo-Dokumentation "Familien allein zu Haus" stellen sich drei unterschiedliche Familien mit ihren Problemen und Sorgen vor. Davon ausgehend befragt Ulmen-Fernandes Psychologinnen, Pädagoginnen und Hirnforscher, wie es gelingen kann, nicht zwischen Schularbeiten, Termindruck und dem alltäglichen häuslichen Anforderungen zerrieben zu werden.

ZEIT ONLINE: Frau Ulmen-Fernandes, ich komme gerade von den Mathehausaufgaben meiner Tochter in dieses Interview. Wie läuft es bei Ihnen im Homeoffice?

Collien Ulmen-Fernandes: In Sachen Homeschooling läuft es bei uns eher semigut. Oft haben wir unserer Tochter ein Arbeitsblatt hingelegt, uns in eine Telefonkonferenz verabschiedet und gehofft, dass dieses Blatt danach ausgefüllt ist. Meistens ist aber nicht viel passiert, außer dass ein Smiley darauf gekrickelt wurde. Da musste man schon danebenstehen und das Kind motivieren. Dann sollte unsere Tochter zwei Experimente für die Schule machen – man sollte irgendwas pflanzen und dann ein Tagebuch darüber führen. Bei uns wuchs aber nichts, weil wir es nicht geschafft haben, die nötigen Zutaten rechtzeitig zu besorgen. Es geht vermutlich vielen Familien so, dass sie mit all dem, was von ihnen verlangt wird, nicht hinterherkommen.

ZEIT ONLINE: Das klingt nach Überforderung.

Ulmen-Fernandes: Ja! Definitiv.

ZEIT ONLINE: Normalerweise sind sie nah dran an den Menschen, die Sie porträtieren. In der ZDFneo-Sendung Familien allein zu Haus dokumentieren nun drei Familien in Hamburg und Rom selbst ihren Alltag per Videotagebuch. Sie flankieren diese Erlebnisberichte mit Experten-Interviews, die Sie auch nicht face-to-face geführt haben. Wie empfanden Sie dieses Arbeiten?

Ulmen-Fernandes: Ungewohnt und anstrengend. Die Familien bekamen Kameras und filmten sich über etwa zwei Wochen selbst. Anhand ihrer Problemschilderungen habe ich Gespräche mit Psychologen, Hirnforschern und Pädagogen geführt. Auch das gestaltete sich etwas schwierig, weil nicht jeder Interviewpartner ein stabiles WLAN hatte, die Gespräche brachen häufig ab. Was auch gleich ein grundsätzliches Problem zu Tage förderte: Viele Familien würden sehr gerne von zu Hause arbeiten, verfügen aber über keine gute Internetverbindung. Manche packen dann ihr Kind ein, fahren ein paar Kilometer weit auf einen Parkplatz und betreiben dort Car-Schooling und Car-Office, weil sie nur dort Internet haben. Man merkt jetzt an vielen Stellen, was die Politik die letzten Jahre versäumt hat: Breitbandausbau, Digitalisierung der Schulen.

ZEIT ONLINE: Auch innerfamiliär werden in dieser Zeit der Isolation vermutlich viele Spannungsfelder deutlich.

Ulmen-Fernandes: Dieses kleine Virus legt das System Familie unter ein Mikroskop. Alle Fragen, die bisher noch nicht geklärt waren, müssen jetzt auf einmal beantwortet werden: Wie viel Medienzeit darf mein Kind haben? Wer macht im Haushalt was? Wie gerecht sind diese Aufgaben aufgeteilt?

ZEIT ONLINE: Von welchen Problemen berichten die drei Familien in der Sendung?

Ulmen-Fernandes: Eine deutsche Familie, die mit ihrer zweijährigen Tochter in Rom lebt, hatte schon weitaus früher mit Einschränkungen zu kämpfen als wir in Deutschland. Sie wurde von Polizisten beim Spazierengehen aufgehalten und nach Hause geschickt. Diese Familie beneidet die in Deutschland lebenden Menschen darum, dass sie einfach spazieren gehen können. Sie leiden gerade sehr unter der Situation und sagen, dass sie sich wie im Gefängnis fühlen. Eine Hamburger Familie mit drei Kindern hatte zunächst auch einen sehr starken Lagerkoller. Daraufhin hat die Psychologin Ulrike Döpfner empfohlen, dass die Familie so etwas wie einen Tagesplan erstellt, um sich selbst eine Struktur zu geben.

 ZEIT ONLINE: Solche Tipps liest man derzeit überall, aber gelingen sie auch?

Ulmen-Fernandes: Wichtig dabei ist, dass man diesen Tagesplan im Dialog mit den Kindern erstellt und nicht nur Pflichten draufschreibt, sondern auch "19–20.30 Uhr: MauMau-Spielen". Die Hamburger Familie mit den drei Kindern hat dann beschlossen, "in den Urlaub zu fahren": Sie haben die Koffer gepackt, sind in ihren Garten "gereist" und haben dort einen Campingurlaub gemacht. Dadurch rückten sie tatsächlich näher zusammen. Die Stimmung war  – zumindest vor ein paar Tagen noch – ganz gut.

ZEIT ONLINE: Nun zeigen leider die Erfahrungen, dass die Isolation in vielen Familien zu vermehrter Gewalt führt. In Deutschland hat die Anzahl der Anrufe beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen während der Corona-Krise um 20 Prozent zugenommen.

Ulmen-Fernandes: Ja, das ist zurzeit ein großes Problem. In Wuhan hat sich die Gewalt gegen Frauen in der Zeit der Quarantäne verdreifacht – in Deutschland waren bereits vor der Krise die Frauenhäuser überbelegt. Wir haben mit der Kultur- und Genderwissenschaftlerin Stevie Schmiedel darüber gesprochen, wie es Frauen derzeit geht. Denn ein Großteil der als systemrelevant bezeichneten Berufe werden von Frauen ausgeübt: 80 Prozent der Pflegekräfte sind weiblich, 70 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel, 85 Prozent in der Altenpflege. Derzeit zeichnet sich die Tendenz ab, dass auch die Doppelbelastung durch Homeschooling und Homeoffice vor allem von Frauen gestemmt wird. Wir thematisieren in dem Film in einem eigenen Themenblock, wie es in Deutschland derzeit um die Aufgabenverteilung und die Geschlechterrollen bestellt ist.

 ZEIT ONLINE: Könnte es sein, dass die Berufe, die Sie eben angesprochen haben, in der öffentlichen Meinung dauerhaft aufgewertet werden und sich das idealerweise auch in größerem Respekt und steigender Bezahlung widerspiegelt?

Ulmen-Fernandes: Es wäre wünschenswert, dass diese Frauen – und Männer – tatsächlich künftig auch das verdienen, was sie verdienen. Das Spannende in dieser Krise ist, dass man sieht, wen man wirklich braucht, wer das Fundament dieser Gesellschaft bildet.