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Panorama „Der Beobachter“

Das dunkle Geheimnis der Christiane Paul

Christiane Paul: Im ARD-Film „Der Beobachter“ spielt sie eine Staatsanwältin mit einer tragischen Kindheit Christiane Paul: Im ARD-Film „Der Beobachter“ spielt sie eine Staatsanwältin mit einer tragischen Kindheit
Christiane Paul: Im ARD-Film „Der Beobachter“ spielt sie eine Staatsanwältin mit einer tragischen Kindheit. Das Foto stammt von einem Empfang
Quelle: picture alliance / ZB
Kaum eine andere deutsche Schauspielerin ist so wandlungsfähig wie Christiane Paul. Sie tut es mit Absicht, will Klischees zerstören und perfekt sein. Im Leben und in einer neuen, schwierigen Rolle.

Ein Gesicht wie eine Polarkappe. Weiß. Starr. Unbewegt. Beherrscht. Man erschrickt, wenn man Christiane Paul in dieser Rolle sieht, als Staatsanwältin, die ein dunkles Geheimnis verbirgt, in der Verfilmung von Charlotte Links Psychothriller „Der Beobachter“.

Denn diese Seite der Schauspielerin Christiane Paul, 41, kannte man noch nicht. Das wird einem bewusst, wenn sie an einem grauen Dezembervormittag ihr Fahrrad vor ihrem Stammcafé in Berlin abschließt, in Panama-Jack-Stiefeln zur Tür herein marschiert und die Kellnerin dabei auf so herzlich-rustikale Weise begrüßt, wie das vielleicht nur echte Berlinerinnen können.

Beinahe hätte man sie nicht erkannt, in Jeans und Wollpulli. Ihre Haare verschwinden unter einer Beanie-Mütze, und als sie sich die mit Schwung herunterreißt, kommt darunter ein blonder Haarschopf zum Vorschein. „Wie Sharon Stone, oder?“ Sie lacht, ihr Lachen klingt eine Spur dunkler als im Film. Sie ist ein bisschen erkältet.

„Zart, aber oho“

Sie sagt, die neue Haarfarbe sei ein Souvenir aus ihrer letzten Rolle. In Dani Levys Screwball-Komödie „Der kleine Diktator“ spielt sie die exaltierte Besitzerin eines Friseursalons, die aus ihrem Trott gerissen wird, als ihre Schwester Mimi (Katharina Schüttler) zu einem Songcontest in die Schweiz eingeladen wird und die ganze Familie sie auf diesem Trip begleitet.

Von der Psychopathin zur Prolette: Diese beiden Pole markieren das Spannungsfeld, in dem sie sich als Schauspielerin bewegt. Paul ist die Mädchenfrau, wenn auch eine, die dieses Klischee in allen Rollen gegen den Strich bürstet: zart, aber oho. Und immer ein bisschen unberechenbar.

Das unterscheidet sie von Kolleginnen wie Maria Furtwängler, einer Frau, die auch Medizin studiert hat, wie sie. Der man aber anmerkt, dass sie sich in allen ihren Rollen ein bisschen selber spielt, egal, ob als „Tatort“-Kommissarin Charlotte Lindholm oder als geflohene ostpreußische Gutsbesitzerin („Die Flucht“): eine spröde Powerfrau, die ihre Narben hinter einer brüchigen Coolness verbirgt.

„Ich will die Zuschauer berühren“

Christiane Paul muss sich diesen Schuh nicht anziehen. Sie mag Rollen, hinter denen sie zumindest teilweise verschwinden kann. Eine Mutter, die ihren Sohn verprügelt („Der Fall Bruckner“) oder eine, deren Tochter in die Islamistenszene abdriftet („Unterm Radar“).

Auch modisch mutig: Paul bei einer Filmpremiere
Auch modisch mutig: Paul bei einer Filmpremiere
Quelle: picture alliance / BREUEL BILD

Sie sagt, es reize sie, Türen in sich aufzustoßen und Klischees aufzubrechen. Es klingt ein bisschen wie aus dem Lehrbuch für Schauspielerei. Doch zwischen den Worten spürt man, wie ernst es ihr mit ihrem Anliegen ist. Sie sagt: „Ich will die Zuschauer berühren“.

In ihrer neuen Rolle in dem ARD-Psychothriller „Der Beobachter“ gelingt ihr das, wenn auch ganz anders als erwartet. Ihre Staatsanwältin entpuppt sich als Borderlinerin, die als Kind sexuell missbraucht wurde. Paul sagt, sie habe sich lange mit der Frage beschäftigt, wie ein Opfer zur Täterin wird. Sie hat mit einem Gerichtspsychiater gesprochen und Bücher zu dem Thema gelesen. Einblicke in die Psyche von Mörderinnen. Harte Kost. Sie sagt, das letzte Buch habe sie irgendwann zugeklappt.

Abgründe hinter der Fassade

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In „Der Beobachter“ dauert es fast 45 Minuten, bis man zu ahnen beginnt, wie es hinter der kontrollierten Fassade dieser beruflich so erfolgreichen Staatsanwältin wirklich aussieht.

Ihr Gesicht im Close-up, es eignet sich wunderbar als Projektionsfläche für die ganze Palette der Angst, vom leisen Schauder bis zum Horror. Eine hochgezogene Augenbraue, ein zuckender Mundwinkel, mehr braucht sie nicht, um die seelischen Abgründe anzudeuten, die sich hinter dieser Fassade auftun.

„Wirklich?“ Sie reagiert überrascht, als man sie auf diese Verwandlung anspricht. Sie sagt, sie kenne das Produkt noch gar nicht. So sei das immer. „Ich habe Schwierigkeiten damit, mir meine eigenen Filme anzusehen.“

„Das Risiko zu scheitern“

Man würde gerne ihr Gesicht sehen, wenn sie sich dann doch selber auf dem Monitor zuschaut. Da hat sie, die als Tochter eines Arztehepaars im Osten der Berliner Mauer aufgewachsen ist und nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass sie von dem System überzeugt gewesen sei, wie immer alles gegeben – nicht 100 Prozent, sondern 150 Prozent. Doch gelegentlich muss sie dann eben doch erleben, dass das Beste nicht gut genug war, weil so ein Film eben das Produkt von Teamwork ist und keine One-Woman-Show.

Der Härtetest für jemanden, der so perfektionistisch ist wie sie. „Halb-halb“, sagt sie beschwichtigend. Schubladen versucht sie zu umschiffen, nicht nur als Schauspielerin, auch privat. Sie weiß eben genau, was sie will. Aber sie ist bereit, sich und ihre Arbeit in Frage zu stellen. Sie sagt: „Wenn man sich traut, viel Neues auszuprobieren, birgt das ja auch das Risiko zu scheitern.“

Das gute Gewissen der Nation

Den schönsten Mund des deutschen Films hat man sie genannt, und obwohl Christiane Paul zu den Frauen gehört, die solche Komplimente zart erröten lassen, darf man das so stehen lassen.

Schließlich ist dieser schön geschwungene Julia-Roberts-Mund dafür bekannt, dass ihm kluge Sätze über die Lippen rutschen. Paul ist Ärztin, Vegetarierin und Umweltschützerin – und nebenbei auch noch alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Seit sie 2011 den Ratgeber „Das Leben ist eine Öko-Baustelle“ geschrieben hat, wird sie von Frauenmagazinen umgarnt. Als gutes Gewissen der Nation, wenn man so will. Es gibt ja auch kaum ein Thema, zu dem sie nicht etwas sagen könnte.

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Kinder? Sie hat zwei, von zwei Männern, eine dreizehnjährige Tochter und einen achtjährigen Sohn. Single? Seit der Scheidung von einem Chirurgen lebt sie alleine mit den Kindern in Berlin-Schöneberg, einem Bezirk, von dem sie sagt, er sei zwar nicht so hip wie der Prenzlauer Berg, aber dafür viel entspannter. Kinder und Karriere? Klappt irgendwie, muss ja auch, geht eben nicht anders. Sie sagt, an ihrem Pensum habe sich nichts geändert. Sie drehe drei bis vier Filme im Jahr. Und wenn sie nicht in Berlin sei, müsse ihre Kinderfrau eben einspringen.

Sie beherrscht den Balanceakt

Älterwerden? Ein heikles Thema. Sie sagt, natürlich sehe man sich anders an und vergleiche sich mit anderen Frauen. Sie könne nicht mehr einfach so durchpowern. Sie brauche jetzt häufiger mal eine Pause. „Es wäre Quatsch zu sagen, ich wäre darüber total erhaben.“ Ihre Sätze klingen ein bisschen wie auswendig gelernt.

Die Frau ist eben PR-Profi. Sie beherrscht den Balanceakt. Ein bisschen etwas von sich preisgeben, aber eben auch nur so viel, dass ein Rest von Geheimnis bleibt.

Sie muss jetzt auch los, sie murmelt was von Terminen. Doch vorher bittet die Kellnerin sie noch um ein Autogramm für ihre Tochter. Sie kramt eine Karte aus ihrer Tasche. Das Foto zeigt die Mädchenfrau Christiane Paul, merkwürdig alterslos, ein schöner Mund. „Für Emily“ , kritzelt sie in steilen Lettern darauf. „Herzlich, Christiane Paul.“

Der Beobachter, ARD, 5. Dezember, 20.15 Uhr.

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