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Kristin Boese träumt von Olympia und einem Kind

Kitesurfen: Kitesurf Trophy 2003 Kitesurfen: Kitesurf Trophy 2003
Kitesurferin Kristin Boese am Strand von St. Peter Ording
Quelle: Bongarts/Getty Images/Bongarts
Die Potsdamerin Kristin Boese ist Deutschlands beste Kitesurferin. Nach ihren Kurzzeit-Ruhm vor drei Jahren hat sie konkrete Zukunftspläne.

Die Rennen auf Fuerteventura waren noch nicht ganz erledigt, da studierte Kristin Boese schon die Wettervorhersagen für Teneriffa. Das Wetter soll gut werden für Urlauber. Viel Sonne auf den Inseln des ewigen Frühlings. Aber das ist schlecht für Boese, denn sie ist gestern zum Arbeiten von der einen Kanareninsel auf die nächste geflogen. Und zum Arbeiten braucht sie Wind, viel Wind. Ein Tief im Anflug wäre da nicht schlecht, aber davon ist weit und breit keines in Sicht. Kristin Boese (33) aus Potsdam ist Kitesurfprofi. In ihrer jungen Zunft gibt sie so etwas wie die Elder Statesfrau: Die Abenteuerathletin Boese ist neunmalige Weltmeisterin bei der schnellen Jagd auf einem kleinen Brett, auf dem sie sich von einem Lenkdrachen rasant oder auch mit spektakulären Kunststücken durch die Ozeane ziehen lässt.

Am Samstag hat sie in Sotavento den 15 Tage dauernden, mit 148.000 Euro Preisgeld dotierten und damit größten Weltcup der Saison beendet. Und schon da hat ihr der Wind einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nicht, dass er schlapp gemacht hätte, der Wind. Es konnten jeden Tag Wettbewerbe ausgetragen werden im Süden der kargen Wüsteninsel. Ganz nah am Strand, so dass die Urlauber aus Deutschland, Frankreich oder England in ihren roten oder weißen Plastikstühlen alles direkt vor dem Ufer verfolgen konnten bei strahlend blauem Himmel in der Lagune von Pajara. Doch der Wind blies zu schwach für die taktischen Vorlieben einer Weltklasse-Kitesurferin. „Mein Sport ist zu einer Materialschlacht geworden: Je weniger Wind es gibt, desto mehr entscheidet die Qualität von Board und Finnen, und am Samstag blies eben viel zu wenig Wind“, sagte sie, nachdem sie am Finaltag noch von Rang zwei auf vier in der Wettrenndisziplin durchgereicht worden war und im Freestyle, der Disziplin mit den Kunststückchen, Fünfte wurde: „Ich kann mir aber pro Saison nur ein Board für 1700 Dollar leisten, während andere bereits ihr zweites oder drittes fahren mit immer neuen Finnen, die bis zu 350 Dollar das Stück kosten.“

Kampf um Olympia 2016 in Rio

Das Wassergleiten am Drachen steht an der Schwelle zum großen Ruhm. Die Kitesurfer hoffen auf die Aufnahme in das Programm der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro. Davon träumt jeder junge Sport, weil es den Durchbruch bedeutet. Die Fernsehsender sorgen dann mit Übertragungen für weitere Beliebtheit und bessere Sponsorenverträge. Die Sportler hieven so eine Entwicklung aus dem täglichen Überlebenskampf an die Sportfördertöpfe ihrer Länder mit Trainingsmöglichkeiten und finanziellen Hilfen. Die Lenkdrachensurfer hoffen auf eine Abkürzung auf dem Weg unter die fünf bunten Ringe: Sie wollen von den Seglern mitgenommen werden. Die sind bereits im Programm und müssten nur eine ihrer altbackenen Disziplinen zugunsten der Kitesurfer opfern. Dieser Weg wäre leichter als die Neuaufnahme als eigenständiger Sport. Die Olympier würden sich kaum sperren, trachten sie bei der Renovierung ihres über Dekaden angestaubten Programms mit Modernem Fünfkampf oder Schießen doch nach dynamischen Sportarten, die die Jugend der Welt vor den Fernseher lockt. Kitesurfen wäre da ideal. „Mich fasziniert die Kraft des Drachens im Wind und die Motivation, ihn zu bändigen: Olympia wäre für Kitesurfen das Größte“, sagt die sonnengebräunte Boese mit ihren hellen Strähnen in den dunkelblonden langen Haaren voller Leidenschaft: „Da will jeder Sportler hin, dann hätten wir es geschafft. Und 2016 wäre ich 39. Mit 40 will ich dann ein Kind haben.“

Seit Jahren gibt Boese in Deutschland die Frontfrau ihres Trendsports. Und seit es die Olympia-Pläne gibt, ist sie wie selbstverständlich zur Botschafterin für das Projekt mutiert. Sie hat mal eine Ausbildung bei Mannesmann gemacht zur Kauffrau für Bürokommunikation. Dann hat sie sogar noch ein Publizistik-Studium an der FU Berlin aufgenommen, aber nach vier Semestern ist sie 2001 auf die erste Welttournee der Kitesurfer mitgegangen. Seither hängt ihr Leben an den Leinen, die den Drachen halten. Sie hat die Hochs mitgemacht, mit Titeln, Pokalen, Sponsoren, die fünfstellige Beträge zur Unterhaltssicherung spendieren. Sie kennt die Berühmtheit, für die der Playboy 2007 sorgte, wenn er durchtrainierte Sportler wie Boese („Meine Eltern waren nur stolz, aber mein Freund war zuerst skeptisch“) erotisch fotografieren lässt.

Vor acht Jahren starb ihre Freundin Silke

Aber sie hat auch Tiefs erlebt. Vor acht Jahren starb ihre Freundin, die Deutsche Meisterin Silke Gorldt, mit der Boese gemeinsam im Bus übernachtete, mit 26 Jahren bei einem Wettbewerb in Zingst auf dem Darß. Damals gab es noch kein Notauslösesystem, mit dem sich ein Surfer von seinem außer Kontrolle geratenen Drachen trennen kann. Boese hat trotzdem weitergemacht. „Es war schrecklich, aber Silke“, sagt sie, „hätte das so gewollt.“

Seit die Weltwirtschaft ins Strudeln geriet, kamen vor allem den kleinen Sportarten die Sponsoren dramatisch abhanden. Auch Boese verlor zwei Geldgeber, der Hauptsponsor halbierte ihr monatliches Salär. Seither ist nicht nur ihre internationale Konkurrenzfähigkeit eingeschränkt, sondern auch ihre Kreditlinie. Die Abzahlungsraten für das Haus, das sie mit ihrem amerikanischen Freund Sky Solbach (27), der für eine US-Firma hauptberuflich Boards entwickelt, drei Stunden südlich von Perth in Australien gebaut hat, sind latent gefährdet. Sie lebt wieder wie zu Beginn ihrer Karriere, als sie sich als Surflehrerin die teuren, weiten Reisen finanziert hat. „Von der Hand in den Mund eben“, sagt sie, „es ist schwierig geworden.“

Der Nachwuchs rüstet auf

Zumal der Nachwuchs dramatisch aufrüstet. Da gibt es die spanische Freestyle-Weltmeisterin Gisela Pulido. Das Mädchen wird von ihrem Vater angetrieben, der sie auch ins Wasser zwingt, wenn sie eigentlich nicht mag, und der ihre Auftritte akribisch filmt, um als Trainer ihre Kunststücke verbessern zu können. Auf Geheiß des Erzeugers begann Pulido mit neun Jahren mit dem Kitesurfen, inzwischen ist sie 16, und spektakelsüchtige Sponsoren wie Red Bull sorgen für ein vergleichsweise luxuriöses Budget. „Da bin ich schlicht zu alt“, bangt Boese, obwohl sie mit ihrer Aufgeschlossenheit und ihren Geschichten nicht nur optisch viel mehr hergibt. Immerhin winkt ihr im kommenden Jahr eine größere Wettbewerbsgleichheit: Auch mit Blick auf Olympia sollen zuverlässige Einheitsnormen für Boards vorgeschrieben werden.

Vorerst muss Boese ihr Profidasein den Zwängen unterordnen: Um ihren Sport weiter zu popularisieren, gibt sie weiblichem Nachwuchs kostenloses Training. So auch am übernächsten Wochenende in Wustrow, wo sie selbst erst mit 22 das Surfen gelernt hat. Die Affinität zu wogenden Wellen war ihr nicht gerade in die Wiege gelegt worden: „Meine Mutter ist total wasserscheu, so dass ich erst 1998 das erste Mal in Verbindung mit Meer gekommen bin“, sagt sie.

Und das Leben, das sich 280 Tage pro Jahr auf Reisen von Strand zu Strand abspielt, ist eng kalkuliert. „Zum letzten Race-Wettkampf nach Argentinien kann ich nicht reisen, weil das zu teuer ist“, sagt Boese, „deswegen kann ich jetzt mein Board verkaufen. Nächste Saison brauche ich ohnehin ein neues."

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