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Film Ruth Leuwerik †

Die Vernünftige mit dem praktischen Bubikopf

Ruth Leuwerik als Effi Briest mit Bernhard Wicki als Major von Innstetten 1955 in „Rosen im Herbst“ Ruth Leuwerik als Effi Briest mit Bernhard Wicki als Major von Innstetten 1955 in „Rosen im Herbst“
Ruth Leuwerik als Effi Briest mit Bernhard Wicki als Major von Innstetten 1955 in „Rosen im Herbst“
Quelle: picture-alliance / KPA Honorar &
Ruth Leuwerik und Dieter Borsche waren das deutsche Kinotraumpaar der Fünfzigerjahre. Jetzt ist die Schauspielerin, die gern die Grenzen der Konvention überschritt, 91-jährig gestorben.

Es war der erste Skandal in der Geschichte der Berliner Filmfestspiele. Regisseur und Drehbuchautor beharkten sich auf offener Bühne. Alfred Andersch distanzierte sich wütend von dem Film, den Helmut Käutner aus seinem Roman „Die Rote“ gemacht hatte: Die rüde Umgangsweise mit einem Originaldrehbuch sei typisch für einen deutschen Film „älterer Bauart“, Käutner habe sein Originaldrehbuch „ganz verdorben“.

Käutner nannte das Verrat. Da wurde Andersch sarkastisch. Käutner, erklärte er, sei zu „keinerlei Selbstkritik fähig“, im Gegenteil: Dieser Mann sei ja der Meinung, dass er nur Meisterwerke produziere! Das war der Augenblick, in dem die Hauptdarstellerin in Tränen ausbrach. All das geschah am 30. Juni 1962.

„Die Rote“ war Deutschlands erster Nouvelle-Vague-Film. Er war tatsächlich ein Meisterwerk, auch wenn er die damaligen Kritiker überforderte. Von einer „verquollenen Geschichte“ war gehässig die Rede, Ulrich Gregor nannte sie einen „pseudophilosophischen Schwulst“.

Ruth Leuwerik, Mitte der Sechzigerjahre
Ruth Leuwerik, Mitte der Sechzigerjahre
Quelle: picture alliance / Keystone

Helmut Käutner erklärte sich die breite Ablehnung, die ihm damals entgegenschlug, Jahre später so: „Ruth Leuwerik war von vornherein verloren für diesen Stoff ... Wenn man sie überhaupt nicht gekannt hätte, hätte damit eine Karriere begonnen. Aber sie, die die untadelige Dame der deutschen Gesellschaft für viele Jahre gewesen ist, die innig liebende Mutter, sie war hier eine moderne, gebrochene Figur, eine Sekretärin, die mit zwei Männern lebte und einem dritten anheimfiel in Venedig – das war etwas, was die Leute von ihr nicht wissen wollten.“

Ruth Leuwerik war „Die Rote“. Und wenn man von den 31 Kinofilmen, die sie gemacht hat, den bedeutendsten und schönsten nennen sollte, dann wäre es dieser. Mit den erstaunt-fatalistisch hingehauchten inneren Monologen und den überwältigenden, melancholisch grauen Bildern eines Otello Martelli. Käutner hatte Recht. „Die Rote“ bedeutete den Anfang vom Ende einer Karriere, die 1950 mit der Kinokomödie „Dreizehn unter einem Hut begonnen“ hatte.

Ein Jahrzehnt war sie „Die ideale Frau“

Dabei war die Leuwerik ein Jahrzehnt lang „Die ideale Frau“ gewesen. Die starke, taktvoll operierende Partnerin von weichen Männern („Vater braucht eine Frau“, „Königliche Hoheit“) oder von solchen, die nach dem Krieg noch nicht wieder Tritt gefasst hatten („Die große Versuchung“, „Die Trapp-Familie“). Sie war die Vernünftige mit dem praktischen Bubikopf.

Leuweriks Frauenfiguren haben die Fünfzigerjahre deshalb überlebt, weil sie den aufkommenden Konflikt – Kinder oder Karriere – schon vorausahnten. In der Hälfte ihrer Kinofilme spielte die Leuwerik berufstätige Frauen. Unternehmerinnen, Studienrätinnen, Anwältinnen. Als „ideale Frau“ war sie sogar Bürgermeisterin. In diesem Film von Josef von Baky gibt es eine Szene, in der die Leuwerik ihrem bornierten Ehemann das Grundgesetz unter die Nase hält: „Artikel 3, Absatz 1: ,Männer und Frauen sind gleichberechtigt’.“

Ruth Leuwerik als Kaiserin Sissi 1954 in „Ludwig II.“ – ein Jahr, bevor Romy Schneider die Figur für immer belegte
Ruth Leuwerik als Kaiserin Sissi 1954 in „Ludwig II.“ – ein Jahr, bevor Romy Schneider die Figur für immer belegte
Quelle: picture-alliance /

Alle, die sie liebten, sind ihrer Stimme erlegen. Diesem leicht Atemlosen, das die Leuwerik immer gehabt hat. Besonders wenn es galt, das Unvorhergesehene zu tun. Die Grenzen der Konvention, die die engen, moralisch muffigen Fünfzigerjahre bestimmte, mutig zu überschreiten. „Wenn du mich heute nicht küsst“, hatte sie 1954 in Käutners „Bildnis einer Unbekannten“ zu O.W. Fischer zu sagen, „dann mal’ mich wenigstens so, wie du mich schon mal gemalt hast.“ Nackt.

Die Leuwerik sagte es ein bisschen gehetzt, vor Scham schon fast den Tränen nah, so, dass man wusste, es ging um Leben oder Tod. Solche Augenblicke unbeherrschter, fast schon aggressiver Sehnsucht hat Ruth Leuwerik der Kamera immer wieder geschenkt. Diese Fähigkeit hat Melodramen wie „Ein Herz spielt falsch“ oder „Die Stunde, die du glücklich bist“ geadelt und einer Tragödie wie „Liebling der Götter“ etwas zeitlos Berührendes gegeben.

Leuwerik in einer Aufnahme von 1998
Leuwerik in einer Aufnahme von 1998
Quelle: dpa
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Ruth Leuwerik, die am 23. April 1924 in Essen geboren wurde, noch während des Krieges privaten Schauspielunterricht nahm und danach zunächst in Münster, Bremen, Lübeck und Hamburg Theater spielte, hat nie einen Skandal evoziert wie die Knef, und sie hat nie etwas Besessenes an sich gehabt wie die Schell. Nach ihrem Rückzug ins Private hat sie mit ihrem Mann weit weg vom Bussi-Betrieb in München gelebt.

Als ihr das Deutsche Filmmuseum zum achtzigsten Geburtstag eine große Ausstellung ausrichtete, war sie überrascht. Über die Verehrung und Zuneigung, die man ihr in Berlin entgegenbrachte. (Sogar der Museumsdirektor gestand, ihr in den Fünfzigerjahren „auch mal geschrieben“ zu haben.) An der Distanz, mit der Ruth Leuwerik den Exponaten der Ausstellung gegenübertrat, konnte man erkennen, dass die ideale Frau der Fünfzigerjahre anschließend noch ein ganz anderes Leben gelebt hat.

Es könne ihr immer noch passieren, hat Ruth Leuwerik damals in Berlin erzählt, dass sie irgendwo stehe und jemand sage: „Diese Stimme kenne ich doch! Sind Sie nicht...?“ Damit ist es ist jetzt unwiederbringlich vorbei. Jetzt ist Ruth Leuwerik im Alter von 91 Jahren in München gestorben.

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