WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. ICONIST
  3. Lykke May Andersen - vom Topmodel zur Schauspielerin

ICONIST Ex-Model Andersen

Früher Laufsteg-Schönheit, heute Leinwand-Biest

Die Dänin Lykke May Andersen war früher ein gefragtes Model, das sich privat mit prominenten „Bad Boys“ vergnügte. Inzwischen arbeitet sie als Schauspielerin - und beweist dabei Mut zur Hässlichkeit.

Sanne scheint tief und fest zu schlafen, vielleicht ist sie auch besinnungslos. In ihrer Unterwäsche liegt sie da, und Tristan liegt halb auf ihr, ein tätowierter Hüne mit einem ungesunden Appetit auf harte Drogen und einem Hang zu unkontrollierten Wutausbrüchen. Die Kamera fährt durch die verwahrloste Wohnung. Im Raum nebenan wimmert ein acht Wochen altes Baby. Die Windeln sind offensichtlich schon seit Tagen nicht mehr gewechselt worden. Der Säugling ist mit seinem eigenen Kot beschmiert. Ein Anblick, der kaum auszuhalten ist.

Eine überforderte Mutter, die in ihrem Leben schon zu viel einstecken musste und der Schreckliches bevorsteht: Das ist eine ungewöhnliche Rolle für eine Frau, die jahrelang ihren Lebensunterhalt damit verdient hat, möglichst perfekt auszusehen – und dabei in der Regel eher Spitzenunterwäsche von Victoria’s Secret trug als Baumwollschlüpfer. „Ich habe 16 Jahre in der Modeindustrie gearbeitet und kenne die missglückten Schauspielversuche einiger Kolleginnen“, sagt May Andersen. „Deshalb war es mir wichtig, mehr darzustellen als ein Model, das in einem Film mitspielt.“

Vom Topmodel zur Schauspielerin

Das dänische Topmodel ist nach Berlin gereist, um ihr Filmdebüt vorzustellen, das Sozialdrama „Zweite Chance“ der preisgekrönten Regisseurin Susanne Bier. Kaum einer der Anwesenden ist ihretwegen gekommen, die meisten warten auf ein paar verwertbare Zitate des männlichen Hauptdarstellers Nikolaj Coster-Waldau, der in der Fantasy-Serie „Game Of Thrones“ den Königsmörder Jaime Lannister spielt.

In ihrer dänischen Heimat mag May Andersen ein Star sein. In Deutschland hat sie nur ein Mal für Schlagzeilen gesorgt, als sie in offensichtlich stark alkoholisiertem Zustand auf einem Transatlantikflug randalierte und daraufhin für vier Tage in Polizeigewahrsam genommen wurde.

Aber das ist fast zehn Jahre her, heute trinkt sie Wasser mit Sprudel. Sie hat einen sanften Händedruck und ziemlich dünne Beine. Nicht nur wegen der hohen Wangenknochen erinnert sie ein wenig an Kate Moss, das Model, das alle Feierrekorde hält. Andersen sieht aus wie deren ungezogene Cousine. Im Film hat sie rote Haare und ein ungepflegtes Äußeres. Die Kamera rückt oft ganz dicht an sie heran. „Ich musste raus aus der Wohlfühlzone“, sagt sie. „Das war für mich die einzige Möglichkeit, herauszufinden, was ich auf diesem Gebiet leisten kann.“

Bier bot ihr bei einer Dinnerparty die Rolle an

Dabei hatte das Model May Andersen, in deren Pass als erster Vorname Lykke steht, eigentlich gar nicht vor, ins Filmgeschäft einzusteigen. Sie traf Susanne Bier bei einer Dinnerparty in Kopenhagen, die Geburt ihres eigenen Kindes lag erst ein paar Wochen zurück. „Susanne hat erzählt, dass sie gerade die Besetzung für ihren neuen Film zusammenstellt und fragte, ob ich nicht Interesse hätte, das Drehbuch zu lesen.“ Ein paar Tage später hatte Andersen die Rolle.

Susanne Bier dreht keine romantischen Komödien. Ihre Filme sind dafür bekannt, es dem Publikum nicht leicht zu machen. Für das subtile Rachedrama „In einer besseren Welt“ erhielt sie vor vier Jahren den Oscar für den besten nicht englischsprachigen Film. „Zweite Chance“ ist ebenfalls keine leichte Kost. Der Plot sieht für die von May Andersen verkörperte Sanne das Schlimmste vor, was einer Mutter passieren kann: Das Kind wird ihr genommen. Der von Coster-Waldau gespielte Polizist Andreas dringt heimlich in ihre Wohnung ein. Er entführt das Baby und hinterlässt die Leiche seines gleichaltrigen Sohnes, der scheinbar einen plötzlichen Kindstod starb. Für Sanne folgt am nächsten Morgen ein bitteres Erwachen.

Doch als es um das Leben ihres Kindes geht, entwickelt sie ungeahnte Kräfte.
May Andersen

„Zweite Chance“ ist ein Film, der viele Fragen aufwirft. Hat Andreas das Recht, Sannes vernachlässigtes Baby zu stehlen? Ist es womöglich seine Pflicht? Handelt er aus Mitgefühl oder aus Eigennutz? Wie immer in den Filmen von Susanne Bier gibt es auf diese Fragen keine einfachen Antworten, aber dafür überraschende Wendungen. „Ich schätze diese Art des Filmemachens sehr“, sagt Andersen. „Sie erinnert uns daran, dass es Menschen gibt, die unter schrecklichen Bedingungen leben. Aber du musst auch in der richtigen Stimmung dafür sein. Wenn du dich einfach nur zurücklehnen und zuschauen willst, ohne lange nachzudenken, bist du im falschen Film.“

Mit einem zunehmend temperamentvollen Auftritt gelingt es ihr, aus Sanne eine vielschichtige Figur zu machen, die sich gegen ihre Opferrolle auflehnt, weil sie spürt, dass es sich bei der Babyleiche nicht um ihr eigenes Kind handeln kann. „Sanne ist ein Vogel mit gebrochenen Flügeln“, sagt Andersen. „Sie hat vergessen, dass sie es nicht verdient hat, dass man auf ihr herumtrampelt. Doch als es um das Leben ihres Kindes geht, entwickelt sie ungeahnte Kräfte.“

Anzeige

May Andersen hat hart daran gearbeitet, vor einer Kamera zu stehen und dabei natürlich zu wirken. Im Grunde gleiche das Modeln einer Miniatur-Ausgabe der Schauspielerei, sagt sie. „Sie wollen diesen Look von dir, und du musst jene Sachen tragen. Du setzt dich auf einen Stuhl, und dann malen sie dich an und machen einen anderen Menschen aus dir. Der Mensch, der du eigentlich bist, bleibt in der Garderobe zurück.“

Mit 13 Jahren das erste Mal vor der Kamera

Sie nippt vorsichtig an ihrem Wasserglas. Die Zeit hat erste Spuren in ihren Gesichtszügen hinterlassen. May Andersen ist 32 Jahre alt und hat schon eine lange Karriere hinter sich. Als 13-jähriges Mädchen wurde sie von einem Modefotografen auf der Straße angesprochen, mit 16 gehörte sie zu den gefragtesten Models in Europa und stand für Prada und Miu Miu auf dem Laufsteg, mit 18 siedelte sie nach New York über.

May Andersen stand Model für Peter Lindbergh, Mario Testino und Paolo Roversi. Ihr Gesicht zierte das Cover der britischen „iD“, der deutschen „Vogue“, der italienischen „Glamour“ und des amerikanischen „Playboy“. Bei Fashion Shows präsentierte sie die Haute Couture von Valentino und die Ready-to-wear-Kollektionen von Burberry, Ralph Lauren und Vivienne Westwood. Sie warb für Sonnenbrillen, Kosmetikprodukte, Spitzenunterwäsche.

Dabei hat sie nie darüber nachgedacht, dass sie vor lauter Arbeit all die schönen Dinge verpassen könnte, die für andere junge Leute in ihrem Alter selbstverständlich sind. „Ich habe es einfach gemacht“, sagt sie. „Ich fand es besser, als in die Schule zu gehen, weil ich voller Energie steckte und keine Sekunde still sitzen konnte. Deshalb war es für mich die richtige Entscheidung, nach New York zu gehen und in der Fashion-Industrie zu arbeiten.“ Andersen überlegt kurz und fügt hinzu: „Aber angenommen, ich hätte eine 15-jährige Tochter: Würde ich sie ziehen lassen, damit sie als Model Karriere machen kann? Auf keinen Fall.“

May Andersen und ihre Liebschaften

Nach ein paar Jahren fingen die immer gleichen Rituale der Modebranche an, sie zu langweilen. Anderson ging nach Kalifornien und datete eine Reihe wilder, einigermaßen prominenter Männer aus der Entertainmentindustrie. So war sie eine Weile mit dem Schauspieler Stephen Dorff liiert, den man aus der Comic-Verfilmung „Blade“ kennen kann. 2006 wechselte das Model zu „Jackass“-Star Steve-O, der sich bis dato unter anderem dadurch ausgezeichnet hatte, seinen Hodensack an seinen Oberschenkel getackert zu haben. Außerdem ließ er sich sein eigenes Gesicht auf den Rücken tätowieren. Nun gelangte er zu neuem Ruhm, weil Dorff eine ernst klingende Morddrohung auf seinem Anrufbeantworter hinterließ – und Steve-O ein Video davon ins Internet stellte, wie er die Nachricht zusammen mit Anderson lachend abhörte.

Es war übrigens in diesem Jahr, dass Andersen im Flugzeug randalierte und per richterlichem Beschluss zu einem Anger-Management-Kurs verdonnert wurde, der ihr die Aufenthaltsgenehmigung in den USA sicherte. 2007 wiederum kam sie mit Rapper Kid Rock zusammen, der zuvor kurz mit ihrer Fast-Namensvetterin Pamela Anderson verheiratet war. Ein Jahr später war sie mit dem Model-Kollegen Jamie Burke zu sehen, der vorher schon durch Affären mit Kate Moss und Sienna Miller aufgefallen war.

Arschlöcher gibt es in jeder Branche.
May Andersen

Das reichte alles nicht an Aufregung. May Andersen gründete auch noch ein Denim-Label namens „Chicks with Guns“ und schrieb eine Autobiografie mit dem Titel „My Nine Lives“. Sie zog zurück nach New York und begann, sich mit Kunst zu beschäftigen. Sie machte ein Praktikum in der renommierten Galerie „The Hole“ und stieg zur stellvertretenden Leiterin auf. „Das hat mir die Lebensenergie zurückgegeben“, sagt Andersen.

Anzeige

Bei einer Vernissage lernte sie den 30 Jahre älteren Großkünstler und Filmemacher Julian Schnabel kennen. Schnabel trennte sich von seiner damaligen Partnerin. Andersen wurde schwanger und bekam ein Baby. Eine Zeit lang waren die beiden unzertrennlich, doch die Beziehung hat nicht lange gehalten. „Wahrscheinlich ist die Kunstwelt genauso oberflächlich und genauso lächerlich wie die Modewelt“, sagt sie. „Arschlöcher gibt es in jeder Branche.“

Inzwischen lebt May Andersen in Évian-les-Bains auf der französischen Seite des Genfers Sees, der Liebe wegen. „Es ist ein schönes und friedliches Leben“, sagt sie. „Ich liebe es“. Manchmal begleitet sie ihren neuen Partner, den dänischen Fußballprofi Nicki Bille Nielsen, zu den Auswärtsspielen des FC Évian Thonon Gaillard, bei dem er derzeit unter Vertrag steht.

Der 27-jährige Fußballer passt durchaus ins andersensche Beuteschema: Gerade wurde er von einem dänischen Gericht zu einer Bewährungsstrafe von 60 Tagen verurteilt. Vergangenen April hatte er in Kopenhagen nach einer durchzechten Nacht ein Fahrrad sowie eine Parkuhr umgetreten. Als eine Polizistin ihn festnehmen wollte, biss er ihr in den Arm.

Wenn Andersen von den Dreharbeiten zu „Zweite Chance“ etwas mitgenommen habe, dann sei es Dankbarkeit. „Ich bin dankbar für mein privilegiertes Leben, für meinen wunderbaren Sohn und unsere enge Verbindung. Und ich weiß jetzt, dass ich eine gute Mutter bin.“ Als wolle sie das der ganzen Welt beweisen, postet sie auf ihrem Instagram-Feed regelmäßig Familienfotos, die sie mit ihrem kleinen Sohn Shooter Sandhead Schnabel zeigen.

Wenn es nach May Andersen ginge, würde sie gerne noch mehr Filme machen. Aber sie ist realistisch. „Es gibt so viele Leute, die von einer Schauspielkarriere träumen“, sagt sie. „Darauf zu setzen, wäre eine unsichere Wette. Jetzt besorge ich mir erst mal mir einen Agenten, und dann sehen wir weiter.“ Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis May Andersen zur Ruhe kommt.

Unsere besten Geschichten posten wir bei Facebook. Folgen Sie ICON doch auch dort!

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen