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Nadja Tiller 2019 bei einer Theaterpremiere in Hamburg.

© imago images/Eventpress

Nachruf auf Nadja Tiller: Erst ein Skandal, dann die Karriere

Sie wurde als „Das Mädchen Rosemarie“ berühmt und drehte 120 Filme. Jetzt ist Nadja Tiller mit 93 Jahren gestorben.

Beim Tanzen flüstert ein Freund ihr eine Warnung zu: „Provozier nicht die Gesellschaft, das kannst du dir nicht leisten. Du bist ihr Produkt!“ Rosemarie entgegnet verächtlich: „Diese miese Bagage!“ Nadja Tiller trompetet den Satz wie eine Fanfare, sie agiert mit einer Mischung aus Hochmut und Härte. Der Film „Das Mädchen Rosemarie“ kam 1958 ins Kino, nur ein Jahr nachdem die Prostituierte Rosemarie Nitribitt ermordet in ihrem Frankfurter Apartment gefunden worden war.

Die erotisch aufgeladene Gesellschaftssatire, von Rolf Thiele nach einem Drehbuch des Journalisten Erich Kuby inszeniert, wurde ein Skandalerfolg. Dass die Nitribitt zum Synonym für die Dekadenz und Verlogenheit der Wirtschaftswunder-Ära wurde, ist auch ihrer Darstellerin zu verdanken.

Nadja Tiller kurvt im weißen Mercedes 190 SL durch Frankfurt, trägt Pünktchenkleid und Hut und Hund und spielt die Femme fatale mit sehr großen braunen Augen. Umschwärmt wird sie von Industriellen und Rüstungsprofiteuren, die wie in einer Parade ihren schwarzen Limousinen entsteigen. Einer bezahlt ihr Apartment. Aufgeklärt ist der Mord bis heute nicht.

„Alle hatten Angst um ihre Reputation“, erzählte Tiller später in einem Interview. „Wir durften zwar im Frankfurter Hof wohnen. Aber wir durften in dem Hotel, das eine Anlaufstelle der Nitribitt gewesen war, nicht drehen. Der Produzent musste die ganze Hotelhalle in einem Studio in Berlin nachbauen lassen. Das Hochhaus mit dem Mercedes-Stern obendrauf, in dessen Autosalon die Nitribitt ihren 190 SL gekauft hatte, durften wir auch nicht zeigen. Nicht einmal die Frankfurter Tankstellen wollten sich als Location hergeben.“ Bei den Filmfestspielen von Venedig, die den Film trotz Protesten aus dem Bonner Innenministerium zeigten, wurde die Hauptdarstellerin gefeiert.

Die Tiller hätte ein Weltstar werden können. Sie bekam Angebote von Fellini (für „La Dolce Vita“), Antonioni („La Notte“) und Visconti („Rocco und seine Brüder“) – und lehnte alle ab. „Heute sagt man natürlich: Wie kann man nur?“, sagte sie später. „Aber damals war ich einfach schlecht beraten. Ich habe aufgehört, mich darüber zu ärgern.“ 

Es wurde trotzdem eine große Karriere. Tiller stand für Robert Siodmak und Julien Duvivier vor der Kamera, arbeitete mit Jean Gabin und Michael Caine. Zu den 120 Filmen, die sie drehte, gehören auch die lange vergessenen, heute gerühmten Werke „O Happy Day“ und „Engel, die ihre Flügel verbrennen“ aus der 1970 entstandenen BRD-Trilogie des tschechischen Regisseurs Zbynek Brynych.

Tiller, 1929 in Wien geboren, hatte ihr Engagement am Theater in der Josefstadt verloren, weil sie 1949 im Badeanzug zur „Miss Austria“ gewählt worden war. Sie ging zum Film und wurde mit der Familiensaga „Die Barrings“ (1955) bekannt.

Mit ihrem Kollegen Walter Giller, den sie 1953 am Set des Musikfilms „Schlagerparade“ kennenlernte, war sie fast 60 Jahren bis zu dessen Tod 2011 verheiratet. Nun ist Nadja Tiller in einem Hamburger Pflegeheim gestorben. Sie wurde 93 Jahre alt.

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