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Heide Ecker-Rosendahl: »Ich hatte immer meinen eigenen Kopf«

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Horstmüller / ullstein bild

Leichtathletin Heide Ecker-Rosendahl »Ein Bügeleisen, ein Eierkocher, ein Metzgerei-Gutschein – das waren meine Medaillenprämien«

Zweimal Gold, einmal Silber: Heide Ecker-Rosendahl war 1972 Olympiastar. Heute wird sie 75 und spricht über Erfolg durch Eigenwilligkeit, ihr Duell mit einer DDR-Sprinterin, den Terror in München und eine Morddrohung.
Ein Interview von Uwe Ritzer

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SPIEGEL: Frau Ecker-Rosendahl, in der männerdominierten Sportwelt vor gut 50 Jahren galten Sie als untypische Athletin und als Vertreterin eines emanzipierten Frauenbildes – mit Nickelbrille, Kurzhaarfrisur, Hosenanzügen, vor allem aber mit selbstbewussten Auftritten. Waren Sie Ihrer Zeit voraus?

Ecker-Rosendahl: Ich kam mir zumindest nicht so vor. Meine Eltern hatten mir beigebracht, dass jeder Mensch selbstbewusst seine Entscheidungen treffen muss. So habe ich es gehalten, so haben mein Mann und ich später auch unsere Kinder erzogen. Und wenn damals jemand etwas Falsches zu mir gesagt hat, dann habe ich ihn korrigiert, ob im Zwiegespräch oder live im Fernsehen.

SPIEGEL: Sind Sie ein Kind der rebellischen 68-er Zeit ?

Ecker-Rosendahl: Die spielte sich ja hauptsächlich in Berlin ab, aber natürlich bekam ich viel davon mit. Ich arbeitete bereits ab 1970 als Dozentin an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Da kam es schon vor, dass im praktischen Sportunterricht eine Stunde lang diskutiert wurde, ob man sportliche Bewegung selbst erfühlen oder nur geistig begreifen muss.

SPIEGEL: 1969 engagierten Sie sich für Willy Brandt und galten fortan als links. Jahre später warben Sie im Wahlkampf für einen CSU-Mann. Wie kam das?

Ecker-Rosendahl: Ich habe mich nie nur für eine Partei engagiert. Die kamen oft auf mich zu, ich empfand das als unangenehm. Daher dachte ich: Mach mit allen Demokraten und nicht nur mit einer Partei. In einem Interview sagte ich mal: Mein Privatleben und was ich wähle, geht niemanden etwas an. Ich wollte mich nicht vereinnahmen lassen. Nach meinem Weitsprung-Olympiasieg 1972 in München wollten mir Willy Brandt und sein CDU-Gegenkandidat Rainer Barzel im Fernsehen live Blumen in ihren Parteifarben überreichen lassen. Zum Glück hat das ZDF dies abgelehnt.

SPIEGEL: Ihr langjähriger Trainer Gerd Osenberg nannte Sie »nicht immer einfach«. Hatte er recht?

Ecker-Rosendahl: Ganz bestimmt. Ich hatte immer meinen eigenen Kopf und wollte mitbestimmen. Auch wenn es um die Trainingsgestaltung ging. Es kam auch vor, dass er etwas plante und ich ablehnte. Dann habe ich das mit ihm diskutiert, und am Ende wurde trainiert, worüber wir uns einig waren.

SPIEGEL: Das hat Ihnen in der Öffentlichkeit Ablehnung und Anerkennung zugleich eingebracht. Der »Kicker« nannte Sie »ein Girl, das in die neue Zeit passt«. Laut Umfragen kannten Sie fast 100 Prozent der Deutschen. Wie gingen Sie damit um?

Ecker-Rosendahl: Entspannt. Von außen habe ich nie Druck an mich herangelassen. Den habe ich mir als Sportlerin immer selbst gemacht.

SPIEGEL: Wie bei den Olympischen Spielen 1972 in München – Sie galten als größte bundesdeutsche Gold-Hoffnung.

Ecker-Rosendahl: Vier Jahre vorher in Mexico-City war ich im Weitsprung wegen einer Krankheit nur Achte geworden. Im Fünfkampf war ich die Favoritin, aber dann riss mir beim Aufwärmen ein Muskel im Bein, damit waren die Spiele '68 vorbei. 1972 in München wusste ich, dass es von meinem Leistungsvermögen her klappen könnte. Ich wollte unbedingt Gold und habe mich entsprechend vorbereitet und motiviert.

SPIEGEL: Zum Beispiel, indem Sie sich dem Trubel im Olympischen Dorf entzogen.

Ecker-Rosendahl: Das stimmt. Zur Eröffnungsfeier bin ich gegangen und erst zwei Tage vor meinem ersten Wettkampf angereist. Ich wusste, dass großer Rummel ausbricht, wenn ich irgendwo auftauche, dass ich nicht unerkannt durch München schlendern kann. Ich wollte mich ganz auf meine Wettkämpfe konzentrieren und habe deswegen vom Drumherum, von der Spielstraße und dem Kulturangebot im Olympischen Dorf in München so gut wie nichts mitbekommen.

SPIEGEL: Bei den Spielen vor 50 Jahren holten Sie Gold im Weitsprung und mit der 4x100-Meter-Staffel, dazu Silber im Fünfkampf. Nach heutigen Maßstäben würden Sie als Superstar sehr viel Geld verdienen. Was haben Ihnen Ihre Erfolge damals eingebracht?

Ecker-Rosendahl: Ein Bügeleisen, einen Eierkocher, ein paar andere Elektrogeräte, ach ja, und einen Metzgerei-Gutschein. Das waren die Prämien für meine Münchner Medaillen. Wir waren alle Amateure, darüber hat der damalige IOC-Chef Avery Brundage rigoros gewacht. Ich hatte mein Diplom als Sportlehrerin gemacht und arbeitete ab 1970 als Dozentin an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Vom Gehalt habe ich gelebt, musste aber Diskussionen erleben, ob das überhaupt zulässig sei, Sportlehrerin und Leistungssportlerin zugleich.

SPIEGEL: Wären Sie lieber heute Spitzensportlerin?

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Heide Ecker-Rosendahl: »Ich hatte immer meinen eigenen Kopf«

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Ecker-Rosendahl: Darüber denke ich oft nach, komme aber immer zum Ergebnis: Nein. Der Druck auf die Athletinnen und Athleten ist heute viel größer. Für die geht es ständig um die Existenz. Man spürt es, wenn sie in Interviews selbst mittelmäßige Leistungen schönreden müssen, um Anerkennung herbeizureden, damit nur ja kein Sponsor von der Fahne geht. Die wenigsten in der Leichtathletik verdienen großes Geld. Ich hatte damals meinen Beruf und im Sport alle Freiheiten und konnte auch mal sagen: Das mache ich nicht.

SPIEGEL: Stimmt es, dass Sie Olympia '72 lieber anderswo als in München erlebt hätten?

Ecker-Rosendahl: Ja, aber das hatte nichts mit der Stadt zu tun. Sie müssen sich in die Zeit versetzen: Man reiste damals noch nicht so locker durch die Welt wie heute. Als junges Mädchen war ich mal in den Niederlanden und in England gewesen. Ich wollte die Welt sehen, erst recht, nachdem ich am olympischen Jugendlager 1964 in Tokio und vier Jahre später an den Spielen in Mexico-City teilnehmen durfte. Das war aufregend, deshalb wäre mir eine Metropole außerhalb Deutschlands als Olympiastadt 1972 lieber gewesen.

SPIEGEL: In München kam es mit dem Attentat auf die israelische Mannschaft zum Tiefpunkt der olympischen Geschichte. Wie haben Sie das erlebt?

Ecker-Rosendahl: Wütend und hilflos. Es war, als wäre jemand in das Innerste unserer Familie gewaltsam eingedrungen. Wir erfuhren am frühen Morgen von der Geiselnahme im israelischen Quartier, später sahen wir Polizisten auf den Dächern herumklettern. Vor allem wir Leverkusener Leichtathletinnen hatten enge Beziehungen zu israelischen Sportlerinnen, wir kannten uns gut und trainierten sogar miteinander. Erst im Frühjahr 1972 war ich zum Trainingslager im israelischen Wingate Institute in Netanya gewesen. Als israelische Sportlerinnen zu ihrer Sicherheit evakuiert und in eine Tiefgarage im Olympischen Dorf gebracht wurden, gingen einige von uns hin und kümmerten sich um sie. Dann wurde ich ins Büro des Deutschen Leichtathletikverbands gerufen und erfuhr, dass gegen mich eine telefonische Morddrohung eingegangen war.

SPIEGEL: Was geschah daraufhin?

Ecker-Rosendahl: Ich musste das olympische Dorf sofort verlassen und wurde in ein Münchner Hotel einquartiert. Niemand wurde informiert. Nur ein ganz kleiner Kreis von Menschen wusste, wo ich war. Mein späterer Mann John kam aus Leverkusen angereist. Von wem die Drohung kam, wurde nie geklärt. Vermutlich ein Trittbrettfahrer.

SPIEGEL: Drei Tage nach dem Anschlag kam es zum deutsch-deutschen Duell der 4x100-Meter-Staffeln. Mit Ihnen und Renate Stecher, die Gold über 100 und 200 Meter gewonnen hatte, traten die beiden Besten als Schlussläuferinnen auf der Zielgeraden an. Sie und Ihr Team schlugen die DDR sensationell. Wie politisch aufgeladen war dieses Rennen?

Ecker-Rosendahl: Auf der Bahn war es ein rein sportlicher Wettkampf. Ich lief gegen die beste Sprinterin der Welt, wollte sie einfach schlagen und spürte nach dem Vorlauf, dass da was gehen kann. Beim Rennen bin ich mit leichtem Vorsprung vor Renate in die letzten 100 Meter gestartet und habe immer versucht zu hören, ob sie kommt. Aber das Stadion tobte derart laut, dass ich nichts hören konnte. Ich wusste, dass sie immer zum Ende hin aufdreht und ich dann dagegenhalten muss. Als ich so bei 80 Metern weder Renates Schritte noch ihren Atem hörte, dachte ich mir: Jetzt kommt sie nicht mehr.

SPIEGEL: Renate Stecher startete in der Staffel nie als Schlussläuferin und wollte das auch in München nicht. Aber die DDR-Funktionäre wollten unbedingt das Zieleinlauffoto mit der Siegerin Stecher vor der Klassenfeindin Rosendahl.

Ecker-Rosendahl: Die Politik wurde nur von außen reingetragen. Bis in die späten Sechzigerjahre gab es keine großen deutsch-deutschen Rivalitäten, wenn wir uns bei Wettkämpfen trafen. Zu den DDR-Mehrkämpferinnen Inge Exner und Gerda Mittenzwei hatte ich gute Kontakte, schrieb Briefe und schickte auch mal Päckchen. Dann aber baten sie mich, damit aufzuhören, weil die Kontrollen immer strenger und die Aufpasser für DDR-Athleten immer mehr wurden. Kontakte zu pflegen, wurde unmöglich. Wir sprachen eine Sprache, hatten aber immer weniger miteinander zu tun.

»Fasching in Olympia«: 1972 feierte Heide Rosendahl auch zusammen mit dem jäh erblondeten Franz Beckenbauer

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Foto: Werek / ullstein bild

SPIEGEL: Mit Blick auf 1972 – was ist Ihnen vom erfolgreichsten Jahr Ihrer Karriere besonders in Erinnerung geblieben?

Ecker-Rosendahl: Ganz ehrlich? Neben den Erfolgen in München vor allem mein 25. Geburtstag. Der fiel erstmals auf den Rosenmontag, zum ersten Mal in meinem Leben. Schon als Kind auf einer katholischen Schule habe ich in einem frommen Kalender nachgeschaut, wann der 14. Februar auf einen Rosenmontag fällt. 1972 war es endlich so weit. Also haben wir in einer Kneipe am Dom doppelt gefeiert: Geburtstag und Karneval. Das war großartig.