Collien Ulmen-Fernandes wird chronisch unterschätzt. Im Interview erzählt sie uns, wie verletzend das ist und wie sie für Gleichberechtigung kämpft.
Collien Ulmen-Fernandes, 38, ist: Moderatorin ("ZDFneo"), Schauspielerin ("Jerks"), Kolumnistin ("Süddeutsche Zeitung"), Mutter einer siebenjährigen Mini-Feministin und chronisch unterschätzt. Uns hat sie sehr offen erzählt, wie sehr sie das verletzt. Mit starken Projekten kämpft Collien Ulmen-Fernandes um Anerkennung und Gleichberechtigung für uns alle.
Der EMOTION Women's Day wurde auf den 19. Oktober 2020 verschoben. Die wichtigsten Fragen und Antworten findest du hier.
„Macht mal andere Musik an“, ruft Collien Ulmen-Fernandes, „ich brauch was Schnelleres!“ Mit ihren 1,60 Meter versinkt sie beinahe in dem Oversize-Blazer. Schnelligkeit, das ist eh so ein Thema bei ihr. „In meiner Branche habe ich ständig das Gefühl, mithalten zu müssen“, wird sie uns später erzählen und wirkt dabei plötzlich sehr verletzlich. „Egal, wie viel ich mache – es ist den Leuten nie genug.“
EMOTION: Mit der ZDFneo-Sendung „No more Boys and Girls” oder Ihrem Kinderbuch „Lotti und Otto“ setzen Sie sich dafür ein, dass Gender-Klischees aufgebrochen werden. Gab es einen Moment in Ihrer Karriere, in dem Sie sich besonders über konservative Rollenbilder und die Nachteile, die Frauen daraus entstehen, geärgert haben?
Lies auch: Optimismus lernen: 8 Tipps, die dir das positive Denken erleichtern
Collien Ulmen-Fernandes: Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Bei Viva habe ich meine Moderationstexte selbst geschrieben, aber meine Vorgesetzten haben meist den Großteil der Texte rot durchgestrichen. Es hieß, das sei Männerhumor. Das wollten die an mir nicht sehen. Ich durfte oft nicht so sein, wie ich wollte. Ich hätte es leichter gehabt, wenn ich keine Frau wäre oder ein anderer Typ Frau.
Ich durfte oft nicht so sein wie ich wollte.
Collien Ulmen-FernandesTweet
Harte Worte.
Ich wurde mal mit einem Kollegen zum Chef bei Viva bestellt. Die Ansage lautete: Ich solle weniger ironisch sein und mein Kollege, ein kerniger, bärtiger Typ, sollte bitte ein kleines bisschen ironischer sein, das würde gut zu ihm passen. Aber er wollte das gar nicht. Ich hätte es toll gefunden, aber die wollten mich als weiblichen Konter lieber lächelnd neben ihm sehen. Ich habe damals mit Klaas Heufer-Umlauf zusammen für mehr Humor bei Viva gekämpft. Er durfte am Ende, ich nicht.
Haben Sie überlegt zu kündigen?
Ich bin mehrfach in den Streik getreten, weil ich mich so sehr darüber geärgert habe, dass ich ständig zensiert wurde. Hat aber nicht so viel gebracht ...
Dann haben Sie klein beigegeben?
Ganz ehrlich? Bei vielen anderen Sendern war es noch viel schlimmer. Umso glücklicher bin ich heute, dass ich in meiner SZ-Kolumne ruhig provozieren darf. Ich kann es ab, wenn Leute sich beschweren.
Ich bin mehrfach in den Streik getreten, weil ich mich so sehr darüber geärgert habe, dass ich ständig zensiert wurde.
Collien Ulmen-FernandesTweet
Werden Sie in der Branche anders wahrgenommen, seit Sie mit Christian Ulmen verheiratet und Mutter sind? Nein. Aber durch meine SZ-Kolumne, die Dokus für ZDFneo oder mein Kinderbuch habe ich seit drei Jahren das Gefühl, die Leute gucken bei mir endlich mal etwas genauer hin. Vorher bekam ich nur Angebote für Tussi-Jobs.
Vielleicht liegt es an Trash-Formaten wie „Gülcan und Collien ziehen aufs Land“, die Sie früher gedreht haben. Damals hat ProSieben „It-Girls vom roten Teppich aufs Land“ geschickt, nach dem US-Vorbild von „The Simple Life“ mit Paris Hilton.
So war es nicht. In den Meetings zu dem Format betonte man mir gegenüber sehr oft, dass es eben nicht wie „The Simple Life“ werden soll. Zu der Zeit lief bei MTV ein Format mit Joko Winterscheidt, in dem er unter anderem auf einem Bauernhof arbeitete und verschiedene andere Jobs ausprobierte. Es hieß, so was in der Art wolle man mit uns auch machen. Nach dem Bauernhof sollten wir auf einem Schiff arbeiten. Vor Ort spürte ich dann bereits am ersten Tag, dass man mich komplett verarscht hat. Vieles, was man vor Ort inszenierte, war das Gegenteil von dem, was man mir zuvor erzählt hatte. Für den zweiten Teil auf dem Schiff habe ich dann nicht mehr unterschrieben.
Vor Ort spürte ich dann bereits am ersten Tag, dass man mich komplett verarscht hat.
Collien Ulmen-FernandesTweet
Wie wichtig ist Ihnen, was andere über Sie denken?
Ich habe kein Problem damit, wenn mich jemand doof findet. Mich stört, wenn Fakten verdreht werden. Ich habe mal in einer Zeitschrift über mich gelesen: „Sie nennt sich Schauspielerin, war aber noch nie in einer Hauptrolle zu sehen.“ Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits acht Hauptrollen gespielt. Oder im Jahr 2015, da habe ich „The Dome“ moderiert und drei Formate bei Viva, ich habe zwei Prime-Time-Filme und eine Serie für die ARD gedreht, habe für das ZDF, NBC, Sky, MDR und 3sat moderiert und diverse Musikformate bei RTL II, ich habe ein eigenes Satireformat entwickelt und Dokumentationen gedreht, war für einen Grimme-Preis nominiert und gewann Preise für meine Sendung „Spurensuche“.
Als ich dann in einem Moderatorinnen-Ranking auftauchte, schrieb ein Journalist: Komisch, was macht die denn in dem Ranking, die hat doch seit einem Jahr gar nichts gemacht? So was ärgert mich sehr!
Gab es schon Phasen, in denen Ihnen die ganze Arbeit zu viel wurde?
Ich würde mir gern mehr Auszeiten nehmen, habe aber schnell das Gefühl, dass ich mir das nicht erlauben kann. Nach meinem aktuellen Dreh für meine neue Fernsehsendung habe ich vier Tage frei, ehe ich wieder für eine Filmhauptrolle vor der Kamera stehe. So möchte ich eigentlich gar nicht arbeiten, habe aber immer das Gefühl, ich muss.
Ich habe kein Problem damit, wenn mich jemand doof findet. Mich stört, wenn Fakten verdreht werden.
Collien Ulmen-FernandesTweet
Die Regisseurin Anika Decker hat kürzlich gesagt, dass sie von „Powerfrauen“ auf der Kinoleinwand die Nase voll habe. Sie wünscht sich mehr schwache Frauen.
Das finde ich toll. Ich finde auch, dass es zu wenig kaputte Frauen im Fernsehen gibt. Wenn dann sind sie eher auf eine niedliche Art tollpatschig oder voll süß chaotisch, aber so, dass Männer sie dabei noch charmant und niedlich finden können, und bloß nicht zu anstrengend. Beim Zappen bin ich neulich bei dem Film „Mängelexemplar“ hängen geblieben. Die Hauptdarstellerin war krank, nervig, selbstsüchtig und sehr, sehr anstrengend ... Das fand ich wahnsinnig befreiend! Ich wünsche mir mehr solche Frauenfiguren im deutschen Fernsehen.
Nehmen Sie sich die Zeit, mal zu reflektieren, was Sie alles Tolles geschafft haben?
Egal, was und wie viel man macht – in Interviews kommt immer die Frage: Und was machen Sie danach, was kommt als Nächstes? Ich habe das Gefühl, es reicht einfach nie.
Die Hauptdarstellerin war krank, nervig, selbstsüchtig und sehr, sehr anstrengend ... Das fand ich wahnsinnig befreiend!
Collien Ulmen-FernandesTweet
Haben Sie das Gefühl, dass Männer kompetenter wahrgenommen werden?
Absolut. In einer Sendung sprach mich eine Moderatorin mal auf „das Kinderbuch, das Sie zusammen mit Ihrem Mann Christian Ulmen geschrieben haben“ an und fügte noch hinzu „bei dem Thema gehe ich mal davon aus, dass er geholfen hat“. Bei Männern erlebe ich es meist eher umgekehrt. Bei Wikipedia hat zum Beispiel jemand auf der Jerks-Seite eingetragen: „Idee: Christian Ulmen“. Dabei war die Serie gar nicht seine Idee. Man ging einfach davon aus, also schrieb man das so. Seitdem steht das überall, auch dass er die Sendung produziere, dabei stimmt auch das nicht.
Sie drehen gerade für ZDFneo „Generation Helikoptereltern“. Worum geht’s?
Das Phänomen der „Helikoptereltern“ nimmt immer stärker zu. Wir gehen in den Sendungen der Frage nach, warum immer mehr Eltern zu Helikoptereltern werden und was das mit den Kindern macht. Wo fängt die Überbehütung an? Wie viel davon ist gut? Oder werden Kinder durch zu stark behütende Eltern zu unselbstständigen kleinen Tyrannen erzogen? Dazu machen wir verschiedene Versuchsanordnungen und wir sprechen mit Experten und Expertinnen, Psychologinnen, Pädagoginnen und Hirnforschern, die das für uns einordnen.
Viele Mütter, die beruflich zurück stecken, laufen im Fall einer Trennung Gefahr, später in die Altersarmut abzurutschen. Haben Sie Rücklagen?
Ich habe indische und schwäbische Wurzeln (lacht). Ich habe die Sparsamkeit also von beiden Seiten in die Wiege gelegt bekommen und schon früh an meine Rente gedacht. Während sich einige, meist männliche Kollegen ihr drittes Auto gekauft haben, habe ich größere Summen, etwa aus Werbedeals, immer sofort in Immobilien gesteckt, damit ich theoretisch von den Mieteinnahmen leben könnte. Es war mir wichtig, nie von einem Mann abhängig zu sein, sondern mich selbst ernähren zu können.
Es war mir wichtig, nie von einem Mann abhängig zu sein, sondern mich selbst ernähren zu können.
Collien Ulmen-FernandesTweet
Hatten Sie als junges Mädchen weibliche Vorbilder?
Meine Mutter war Hausfrau und ich habe schnell gemerkt, dass ich so nicht leben möchte. Schlimm fand ich, wenn mein Vater sagte: „Du kannst dir von meinem Geld etwas kaufen.“ Dabei hat sie ja auch gearbeitet, indem sie sich um die Kinder und den Haushalt gekümmert hat und das ganz alleine. Die Care-Arbeit sollte endlich auch als Arbeit angesehen werden.
Entwickelt sich Ihre siebenjährige Tochter auch zu einer kleinen Feministin?
Sie hat mal gefragt: „Mama, muss man unbedingt einen Mann haben oder kann ich auch allein bleiben?“ Wenn jemand sagt: „Wenn du später mal heiratest ...“ sagt sie sofort: „Ich will nicht heiraten!“ In ihrer Vorstellung sollen Christian und ich auf ihr Kind aufpassen, während sie als alleinerziehende Mutter arbeiten geht. Das hat sie jetzt schon so bei uns angefragt (lacht).
Die Care-Arbeit sollte endlich auch als Arbeit angesehen werden.
Collien Ulmen-FernandesTweet
Die Sozialen Medien vermitteln schon Kindern unrealistische Schönheitsideale. Wie vermitteln Sie Ihrer Tochter ein positives Körpergefühl?
Sie bekommt ständig Puppen geschenkt mit unrealistisch dünner Taille, riesigen Augen, kurzem Minirock und Overkneestiefeln. Ich finde die schrecklich, aber meine Tochter und ihre Freundinnen lieben diese Puppen. Dazu gibt es auch eine Serie, die sie ständig schauen will. Leider sind die Role Models für kleine Mädchen sehr auf Beauty getrimmt. Kinder orientieren sich stark an ihrem Umfeld und daran, was die Peergroup toll findet. Trotzdem sollte man als Eltern versuchen, gegenzusteuern.
Mit einer Mutter, die immer perfekt gestylt ist und modelt, wird es für Ihre Tochter bestimmt nicht einfacher, wenn sie in die Pubertät kommt.
Wie kommen Sie darauf, dass ich modele? Ich bin und war niemals Model! Genau wie mein Mann und viele andere Prominente habe auch ich hin und wieder Kooperationen mit Firmen. Mein Mann wirbt zum Beispiel für Diät-Produkte und Grillwurst. (Sie lacht.) Da schreibt niemand, er sei Model.
Lies auch: