Tischgespräche: Dieses Mal mit Petra Morzé

Tischgespräche: Dieses Mal mit Petra Morzé
Gespräche bei Tisch. Gemeinsam essen und trinken ist laut Statistik eine aussterbende Art, Zeit miteinander zu verbringen. Angelika und Michael Horowitz haben 20 befreundete Künstler um diese Zeit gebeten.

freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Dieses Mal zu Gast: Schauspielerin Petra Morzé.

"Ein bisschen mehr Leichtigkeit des Seins"

Petra Morzé liebt Arthur Schnitzler … auch deshalb, weil er für Frauen jeden Alters wunderbare Rollen geschrieben hat. Die Burgschauspielerin, die ein Leben lang auf der Suche nach dem richtigen Maß ist, sagt über sich selbst: "Als Künstlerin bin ich frei, als Mensch nicht." Aber wenn Petra Morzé die Wiener Stadtgrenze hinter sich gelassen hat und den Semmering hinauffährt, geht ihr das Herz auf: "Je höher ich hinaufkomme, desto ruhiger und glücklicher werde ich. In den Bergen kann ich loslassen, die Dinge dort stehen lassen, wo sie hingehören. Alles bekommt wieder seinen richtigen Platz."

Würdest du dich als Genussmensch bezeichnen?
Petra Morzé: Wenn du mich so fragst, muss ich dir gestehen, dass ich das nicht so genau weiß. Wahrscheinlich frage ich mich grundsätzlich zu wenig, was mir Freude macht, was ich genießen kann. Ich könnte dir die Frage, was mich quält, was schwierig für mich ist, viel leichter beantworten. Genuss war für mich lange Zeit negativ besetzt.

Weil du Genuss mit Genusssucht gleichgesetzt hast?
Ja. Bei beiden Begriffen - sowohl dem Genuss als auch der Qual - steht bei mir immer die Frage des richtigen Maßes an. Das ist vielleicht mein Problem. Das richtige Maß zu finden. Aber lass mich über den Begriff "Genuss" nachdenken. Genuss ist etwas, bei dem man sich fallen lassen kann, wenn man zu sich kommt, bei sich ist. Gleichzeitig lässt sich Genuss nicht erzwingen. Nur weil man sich etwas wünscht, muss es noch nicht gelingen. Genuss ist für mich eine Frage des Bewusstseins oder der Bewusstwerdung.

Nenn mir ein konkretes Beispiel.
Zum Beispiel unser heuriger kleiner Ausflug aus Wien heraus, hierher auf den Semmering. Die Fahrt zum Looshaus, der Wald, die Berge, die Luft, die Stimmung. All das hat mich geöffnet, ich fühle mich jetzt wohl. Und dieses Gefühl lässt mich wieder lieb sein mit mir selbst.

Eine schöne Beschreibung. Würdest du dich als Genussmensch sehen? Kannst du mit Genuss umgehen?
Die erste Frage beantworte ich laut und schnell mit Ja, die zweite mit einem klaren Nein. Aber ich hoffe, ich bin gerade dabei dies zu lernen.

Gerade heißt was?
Gerade heißt seit Jahren, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube, man muss mit Genuss auch umgehen lernen. Dazu ist es allerdings nötig, zuallererst einmal herauszufinden, was einem guttut. Was ist persönlicher Genuss? Das muss man ja erst für sich entdecken. Genuss ist etwas sehr Individuelles. Und dieser Prozess des Entdeckens dauert länger - zumindest bei mir.

Das heißt, du hast dir bis jetzt Genuss verwehrt?
Ja.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Petra Morzé

Bist du sehr gläubig erzogen worden? Hast du deshalb das Gefühl, dass Genuss Lust bedeutet und daher vielleicht Sünde ist?
Nein, überhaupt nicht. Dass ich ein gläubiger Mensch geworden bin, ist ein Resultat der letzten Jahre. Aber das hat nur mit mir, nichts mit meinen Eltern zu tun - obwohl ich am Land aufgewachsen bin. Mein Vater war Maler und Bildhauer. Für ihn galt immer nur alles oder nichts. Das ist auch in mir verankert - in allen Lebenslagen gibt es für mich nur alles oder nichts.

Das macht das Leben nicht immer einfach.
Das kannst du laut sagen. Manchmal ist es fast gefährlich, so streng mit einem selbst zu sein.

Kommt diese Strenge von deiner Erziehung?
Ja, natürlich. Dank Sätzen wie "Schlaf nicht so lange, sonst ist der ganze Tag im Eimer" habe ich heute noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich länger schlafe. Aber je länger ich über Genuss nachdenke, umso mehr hat dieses Gefühl für mich mit Natur zu tun. Ich habe in den letzten Jahren die Berge für mich entdeckt. Sobald ich draußen bin aus der Stadt - der Prater reicht nicht ganz für dieses Gefühl -, überwältigen mich in der freien Natur die Gefühle. Manchmal muss ich sogar spontan weinen.

Weil du so stark berührt bist?
Ja. Dazu musst du wissen, dass letzten Endes die Natur es war, die mich überleben ließ. Ich bin zwar in Kärnten geboren, aber im Weinviertel in einem kleinen Ort bei Mistelbach aufgewachsen. Immer wenn ich Probleme mit den Eltern hatte, bin ich in die Natur geflüchtet. Habe dem Bauern am Feld geholfen, habe geheut und Erdäpfel angepflanzt.

Hattest du oft Probleme?
Ja, sehr oft, und diese Arbeit in der Natur hat mich geerdet. Das war sehr wichtig für mich. Noch heute ist es mir wichtig, zu wissen, woher das, was ich esse, kommt.

Das heißt Essen und Ernährung sind dir wichtig?
Ja, aber ich hatte auch immer ein gestörtes Verhältnis dazu. Auch weil ich ständig Angst habe zuzunehmen. Dieses ewige Zu- und Abnehmen in meinem Beruf führt zu einem gestörten Verhältnis zum Essen. Trotzdem hilft mir und beruhigt mich immer wieder der Gedanke an die Erdäpfel, die ich damals angepflanzt habe, an das Holz, das ich aus dem Wald geholt und mit dem ich eingeheizt habe.

Dadurch fühltest du dich behütet und sicher.
Genau. Selbst wenn ich jetzt im Winter nach Hause komme, schätze ich mich glücklich, dass meine Kinder und ich eine warme Wohnung haben und nicht frieren müssen.

Das klingt fast so, als wärst du ein Nachkriegskind. Aber dafür bist du viel zu jung.
Ja, aber ich habe mich schon als junges Mädchen sehr intensiv mit Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt und mich schon als kleines Mädchen mit dem Leid der Juden beschäftigt. Ich habe sehr oft Bilder von Menschen im Kopf, die in Kriegsgebieten leben und sich dort nicht die einfachsten Bedürfnisse stillen können.

Woher kommen diese dunklen Gedanken?
Wahrscheinlich daher, dass ich selbst eine sehr schwierige Kindheit und Jugendzeit hatte. Der Jude war für mich das größtmögliche Opfer. Und wahrscheinlich habe ich mich selbst auch immer als Opfer meiner Eltern gesehen. Das hat sich in meine Mädchenseele eingebrannt.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Petra Morzé

Ich nehme an, daher erklärt sich auch dein schwieriges Verhältnis zum Genuss.
Ja, das hat sich auch nicht wesentlich verändert. Ich hatte und habe oft Zeiten, in denen es mir nicht gut geht, und erst jetzt beginne ich, mir bewusst Freude zu bereiten …

… und erhellst dir dadurch die dunklen Tage?
Ja, dann kaufe ich mir zum Beispiel Blumen oder gehe spazieren - wozu ich mich allerdings zwingen muss - oder ich fahre hierher. Gerade eine Stunde von Wien entfernt, und es tut mir so gut, hier zu sein. Hier werde ich wieder zum Kind und freue mich.

Und wenn du auf der Bühne bist? Erlebst du dort Momente des Genusses?
Nein, so einfach ist das nicht. Jene Sekunden in einer Vorstellung, in denen man wirklich losgelöst ist, sind allerdings wunderschöne Momente.

Aber das dauert immer nur Sekunden, nie eine ganze Aufführung lang?
Ja, nie.

Würdest du diese Augenblicke als Glücksmomente empfinden?
Ja. Aber wenn man auf der Bühne steht, kann man sich nie fallenlassen, es hat immer sehr viel mit Konzentration und Präsenz zu tun.

Kannst du dich zuhause fallenlassen?
Ja, wenn ich allein bin. In Gesellschaft gelingt mir das nur sehr schwer. Ich glaube, man ist immer mental in sich gefangen.

Hilft dir die Bühne nicht auch, aus deinem Alltagsleben hinauszutreten?
Ja, das schon. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Manchmal frage ich mich, was die Alternative zur Schauspielerei wäre.

Und … gäbe es eine?
Nein, weil das, was ich mache, ganz ursächlich mit mir zu tun hat. Ich werde und muss immer mit Wort und Sprache zu tun haben. Schon als fünfzehn, 16-jähriges Mädchen habe ich beim Film statiert, mit ungeheurer Freude. Das Schauspielstudium war wahrscheinlich meine unbeschwerteste Zeit.

Ist diese Freude heute noch so vorhanden?
Nein. Ich stehe mir heute selbst im Weg. Pablo Picasso hat einmal gesagt, er hätte ein ganzes Leben gebraucht, um wieder so zu malen wie ein Kind. Das sagt für mich so viel aus. Dieses Unbeschwerte oder Ursprüngliche. Dieses Losgelöste - dass man sich nicht kontrolliert. Diese Augenblicke werden immer seltener. Dazu trägt erstens bei, dass ich nun in meine zweite Lebenshälfte komme. Und Dinge wie Alter und Abschiede tragen zu einem Gesamtpaket bei, das eine ungeheure Schwere bekommt.

Bist du schwermütig?
Das Melancholische, Schwermütige klopft bei mir wahrscheinlich schneller an als bei anderen Schauspielern. Früher habe ich einfach gemacht und getan, heute überlege ich viel mehr und lasse weniger zu.

Vielleicht schaltest du deinen Kopf zu sehr ein.
Ja, viel zu viel.

Tischgespräche: Dieses Mal mit Petra Morzé

Glaubst du, dass viele Künstler dem Essen und Trinken mehr Gewicht geben als andere Menschen?
Ist das so?

Das frage ich dich.
Kann sein. Ich erinnere mich an die Spielzeit bei den Festspielen Reichenau, als im Südbahnhotel "Das weite Land" aufgeführt wurde. Die Nachmittagsvorstellung dauerte vier Stunden und ging fast nahtlos in die Abendvorstellung über, die wieder vier Stunden dauerte. Was mich damals aufrecht hielt, war der Gedanke an dieses herrliche Steak, das danach in der Pension Löffler auf mich wartete.

Wolltest du dich damit belohnen?
Es war eher eine physische Sache. Ich war körperlich kraftlos und schwach. Dieses Stück Fleisch gab mir Kraft unter dem Motto: "Iss ein Stück Fleisch und du wirst stark und g`sund." Ich glaube ja, dass Essen ganz tief geht, es ist nicht nur Nahrungsaufnahme. Darin liegen das Lagerfeuer der Urmenschen, die Jagd, das Gefühl von Sattheit und Wärme. Ich glaube, dass man durch Essen sehr gut Spannung abbauen kann.

Kochst du auch gerne selbst?
Ich würde gerne. Aber ich kann nicht kochen.

Warum würdest du gerne, man muss ja nicht kochen können.
Weil ich glaube, dass Menschen, die kochen, bessere Menschen sind.

So ein Blödsinn.
Lass es mich erklären. Ich glaube, dass Menschen, die kochen, sich bewusst mehr Zeit nehmen, sich oder jemand anderem etwas Gutes zu tun. Sie haben Muße. So langsam ein Stück Paprika in kleine Stücke zu schneiden, ist etwas Schönes. Das kann man genießen, wenn man es kann.

Und das kannst du nicht?
Kurzfristig kann ich es. Ich glaube, andere Menschen zu bekochen, ist etwas sehr Schönes. Man liebt die Menschen, die einen bekochen.

Wirst du dadurch weniger geliebt?
Vielleicht.

Aber Menschen, die kochen, werden doch sicherlich nicht mehr geliebt als eine Schauspielerin, die auf der Bühne steht und eine Figur zeichnet, die die Menschen vor Glück fast ohnmächtig werden lässt. Oder? Es wird zurzeit sowieso viel zu viel Lärm ums Kochen gemacht.
Ja, das stimmt, aber das ist etwas anderes. Ich war immer mit Männern zusammen, die toll gekocht haben. Auch der Vater meiner beiden Kinder ist ein wunderbarer Koch. Seine Mutter war auch eine herrliche Köchin. Über Menschen, die gut kochen können, hängt einfach so ein Flair …

Auf die Frage: "Wo hast du im Leben bis jetzt am schlechtesten gegessen?", müsstest du demnach antworten: "Bei mir zu Hause."
Ja, das stimmt.

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Peter Altenberg sagte über die Landschaft am Semmering: "Man verliert sein Herz an so vieles, da kann man es doch auch einmal an etwas gewinnen." Ein Satz für die Ewigkeit, wie ich finde.
Stimmt. Auch mir geht das Herz auf, wenn ich hier die Serpentinen auf den Kreuzberg hinauffahre. Je höher ich hinaufkomme, desto ruhiger und glücklicher werde ich. Vor allem im Sommer sind es diese Blicke, die sich tief in mich eingraben. Es ist das "Ins Land hineinschauen". Wenn ich die Berge sehe, beginnen die Relationen wieder zu stimmen. In meiner Wohnung in Wien gelingt mir das kaum. Der Semmering schafft das. Hier kann ich loslassen, die Dinge dort stehen lassen, wo sie hingehören. Alles bekommt wieder seinen richtigen Platz. Dann könnte ich weinen.

Hast du das Gefühl, dass dann alles wieder gut wird?
Dann bin ich das, was ich bin. Beschützt von der Natur. Wenn ich oben am Semmering stehe und in das Land hinunterschaue, steigt eine große Sehnsucht in mir hoch.

Sehnsucht wonach?
Nach Langsamkeit. Sehnsucht, endlich wieder Briefe zu schreiben und nicht Mails oder SMS.

Was hindert dich daran?
Die Gesellschaft, schließlich ist man Teil eines Kollektivs. Wenn man in ihr lebt, muss man auch in ihrem Tempo funktionieren.

Lass uns noch einmal auf den Semmering zurückkommen, wo du im Sommer 2004 in der Rolle der Genia in "Das weite Land" auf der Terrasse des Südbahnhotels auf und ab gingst und ins Tal hinunterschautest. Der Moment muss ein unvergesslich schöner gewesen sein.
Ja, das sind Bilder in meinem Kopf, die ich nie vergessen werde, so schön war es. Auch jenes Bild, als ich in dem Zimmer im obersten Stock des alten Hotels stand - die Fenster reichten bis zum Boden - und auf den Althammerhof am Kreuzberg schaute. Ich wusste, dort drüben spielen gerade meine Kinder, die mit mir gemeinsam in diesem Bauernhof den Sommer verbrachten. Ich wartete auf den Beginn der Vorstellung, ahnte dort drüben meine Kinder und war mitten in der Natur. Ein wunderschöner Moment. Das späte Licht über den Baumwipfeln - unvergesslich. Mehr geht nicht.

Nicht umsonst waren der Semmering, die Rax und der Schneeberg beliebte Plätze der Sommerfrische.
Ja, das verstehe ich so gut. Was mich außerdem sehr anzieht an dieser Kulturlandschaft, ist das Wissen, wer hier oben aller war. Die vielen Schriftsteller und Künstler. Ich glaube, dies zu spüren. Auch hier im Alpenhof, den Adolf Loos einst erbaut hat. Diese Plätze muss man schützen. Es wird viel zu viel niederplaniert und gleichgemacht. Man muss das Besondere erhalten.

Ja, diese Solidarität des Mittelmaßes ist schlimm.
Wie Recht du hast. Da sind die Menschen solidarisch - im Aufrechterhalten des Mittelmaßes.

Du warst jetzt einige Jahre nicht hier heroben, am Kreuzberg, dieser Semmeringlandschaft. Wie war die Rückkehr?
Ein wenig wie Heimkommen. Und ich hatte das Gefühl, dass ich es damals nicht immer so zu schätzen wusste. Ich war ständig im Stress - die Proben, die Kinder waren klein - und ich musste laufend organisieren. Ich war oft so müde. Heute habe ich mir gedacht, ich müsste es viel mehr schätzen, in so einer Landschaft, in so einem Haus wie dem Südbahnhotel spielen zu dürfen. Ich habe ja leider auch ein wenig die Tendenz - auch um mich vor Verletzungen zu schützen -, die schönen Augenblicke, die ich erlebe, klein zu erhalten, um danach, wenn dieser Moment vorüber ist, nicht verletzt zu werden.

Womit du dich aber auch wieder um eine Art des Genusses bringst.
Genau. Das wäre auch Genuss für mich. Den Augenblick so zu nehmen, wie er ist - und ihn nicht schon von Anfang an mit dem Abschiedsschmerz zu überlagern und zu verhängen. Akzeptieren, dass Genuss vorübergeht und nicht anhalten kann. Denn gäbe es dieses Gefühl immer, wäre es nicht so stark und auch kein Genuss.

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Wenn im Theater der Vorhang nach der letzten Vorstellung fällt, folgt danach nicht ein Gefühl der Leere?
Ja, ein absolutes Gefühl der Leere. Aber ich muss sagen, dass bei mir grundsätzlich das Gefühl der Leere sehr rasch kommt. Das wäre zum Beispiel wieder eine Erklärung für mein Problem mit dem Genuss. Genuss ist eine Lebenskunst, sage ich euch. Ich habe ein Problem mit der Intensität, dieses "alles oder nichts" schlägt immer wieder durch.

Aber diese Intensität hat ja auch etwas sehr Schönes.
Ja, aber sie verlangt immer mehr. Das ist ja auch ein Problem dieser Zeit, dieses Nie-Zufrieden-Sein, Immer-Mehr-Wollen, schnell, schnell noch dorthin jetten, dieses oder jenes sündteure Stück kaufen. Schnellimpfungen, deren Wirkung so rasch nachlässt. Die Dosis, die man sich spritzt, hält immer kürzer an.

Kaufst du denn oft und gerne ein?
Nein, überhaupt nicht. Das ist nicht mein Problem, aber diese Intensität meines Gefühlshaushaltes schafft mich. Darum suche ich wahrscheinlich so verzweifelt nach dem richtigen Maß. Ich mag mich immer nur dann, wenn ich gut ausschaue. Warum kann ich mich nicht auch gernhaben, wenn ich einmal nicht perfekt bin? Das hat für mich sehr viel mit Genussfähigkeit zu tun. Mein Anspruch an Perfektion hindert mich daran.

Was macht deine Arbeit als Schauspielerin hier in dieser Landschaft, am Semmering oder in Reichenau, so besonders?
Man spürt eine gewisse Renaissance der Sommerfrische. Das Publikum, das hierher kommt, ist in Urlaubsstimmung, und das ist sehr schön. Einzigartig im Vergleich zu all den vielen anderen Festspielen, die wie Schwammerl aus dem Boden schießen, ist auch, dass Sommertheater im besten Sinne gemacht wird. Intendant Peter Loidolt spielt hier Werke, die einen ursächlichen Bezug zu dieser Landschaft haben. Entweder die Schriftsteller, wie zum Beispiel Arthur Schnitzler, der den dritten Akt von "Das weite Land" im Südbahnhotel geschrieben hat, oder die Stücke selbst, wie "Die letzten Tage der Menschheit", worin Karl Kraus Anklage gegen diese Gesellschaft erhebt. Der Bezug zu dieser Landschaft gibt den Stücken eine besondere Authentizität. "Cyrano de Bergerac" wäre hier sicherlich deplatziert.

Gibt es einen Autor, den du besonders liebst. Einen, den du ein Leben lang spielen möchtest?
Auf diese Landschaft hier bezogen?

Bezogen auf dich, auf dein Leben.
Arthur Schnitzler. Der wird mich durch mein Leben begleiten. Eben auch, weil er für Frauen jeden Alters wunderbare Rollen geschrieben hat.

War Schnitzler Frauen gegenüber so besonders einfühlsam?
Nein, das glaube ich nicht. Aber vielleicht deshalb, weil er persönlich daran gescheitert ist, mit Frauen richtig umzugehen. Er zeigt die Männer, wie sie sind. Wahrscheinlich deshalb, weil er auch so war.

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Du stehst jetzt in der Mitte deines Lebens, was wünscht du dir als Mensch und als Schauspielerin?
Als Mensch ist es natürlich mein größter Wunsch, gesund zu bleiben - das wird mir immer wesentlicher. Aber diesem Wunsch widersprechend, wäre es das Allerschlimmste, das mir passieren könnte, meine Kinder zu überleben. Davor habe ich wirklich Angst.

Und welche Rolle möchtest du unbedingt noch spielen?
Das hat weniger mit der Rolle als mit dem Thema zu tun. Ich kann es nur allgemein sagen. Je älter ich werde, umso stärker möchte ich ein anderes als das derzeitige Frauenbild aufzeigen. Zum Beispiel, dass die Frau auch ein vernunftbegabtes Wesen ist - diesbezügliche Rollen sind in der Theaterliteratur allerdings selten. Und ich möchte auch aufzeigen, aber das ist wahrscheinlich eher im Film als im Theater möglich, wie Frauen von heute mit Alter, Abschied und mit einer Attraktivität umgehen, die jenseits des Begehrensmarktes der Männer liegt.

Kann man als attraktive Schauspielerin und Frau trennen, ob man von einem Mann als Schauspielerin wegen der Rolle, die man gerade spielt, begehrt wird oder als Frau, die hinter dieser Rolle steht.
Männer verwechseln oft die Schauspielerin mit der Frau. Und jene, die mich als Schauspielerin begehren, interessieren mich überhaupt nicht.

Magst du schauspielerische Herausforderungen wie zum Beispiel die Rolle in Götz Spielmanns "Antares"?
Ja, sehr. Ich würde mir öfter solche Herausforderungen wünschen.

Wenn man so wie du zuletzt in einer Kritik mit Paula Wessely verglichen wird, sieht man dies als Bürde?
Nein, überhaupt nicht. Denn wenn ich arbeite, bin ich frei.

Das heißt, du bist als Künstlerin freier denn als Mensch?
Absolut. Ich glaube an mich als Künstlerin mehr als an mich als Mensch. Schon als Schauspielstudentin hat mich ein Satz der Romy Schneider sehr bewegt und betroffen gemacht: "Im Film kann ich alles, im Leben nichts." Vielleicht habe ich mir das zu sehr verinnerlicht.

Ich hoffe, das ist nicht dein Lebensmotto geworden?
Nein, überhaupt nicht. Trotzdem habe ich mich oft wie Romy Schneider gefühlt, und auch - genauso wie sie - ein wenig mit der eigenen Tragik gespielt. Aber es gibt im Leben Punkte, an denen man die Chance hat, sich zu entscheiden. Und das habe ich getan. Ihre Melancholie und Einsamkeit kann ich jedoch unheimlich gut nachvollziehen.

Gibt es eine lebende große, internationale Schauspielerin, die du bewunderst?
Meryl Streep.

Was möchtest du deinen Kindern mit auf ihren Lebensweg geben?
Ich würde ihnen so gerne Stabilität geben. Das ist etwas, das ich nie hatte. Ich möchte immer für sie da sein, aber wirklich da sein - denn immer anwesend sein kann ich bei meinem Beruf natürlich nicht. Aber für sie da sein, wenn sie mich brauchen. Meine Mutter, die war zwar physisch immer da, aber geistig nie anwesend. Nie da, wenn ich sie gebraucht hätte.

Hast du einen Wunsch für deinen weiteren Lebensweg?
Ein bisschen mehr Leichtigkeit des Seins, Selbstironie und auch ein bisserl mehr über mich selbst lachen können.

Buchtipp

Tischgespräche: Dieses Mal mit Petra Morzé

Angelika & Michael Horowitz
TISCHGESPRÄCHE
Über Essen, Trinken und die anderen schönen Dinge des Lebens
Amalthea Signum Verlag
ISBN 978-3-85002-758-8
224 Seiten
VK-Preis: 19,90 €

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