kult! 17 (1-18)

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HIER SPIELT DIE MUSIK!

Yps 1282 mit der Boombox für dein Smartphone. Ab 14. September im Handel und im


mit

IMPRESSUM

Poster

Anschrift:

NikMa Verlag Fabian Leibfried Eberdinger Straße 37 71665 Vaihingen/Enz Tel.: 0 70 42/37660-160 Fax: 0 70 42/37660-188 E-Mail: goodtimes@nikma.de www.goodtimes-kult.de www.facebook.com/goodtimeskult

Herausgeber und Chefredakteur: Fabian Leibfried

Mitarbeiter:

Norbert Arndt, Matthias Auer, Matthias Bergert, Jens-Uwe Berndt, Horst Berner, Kathrin Bonacker, Kirsten Borchardt, Lothar Brandt, Susanne Buck, Petra Czerny, Michael Fuchs-Gamböck, Hans-Jürgen Günther, Thorsten Hanisch, Christian Hentschel, Teddy Hoersch, Michael Klein, Andreas Kötter, ­ Madita Leibfried, Niklas Leibfried, Nicolas von Lettow-Vorbeck, Bernd Matheja, Kati Naumann, Hans-Joachim Neupert, Markus ­ Nöth, Helmut Ölschlegel, Thorsten Pöttger, Alexander Querengässer, Sven Rachner, Malte Ristau, Philipp Roser, Roland­ Schäfli, Thorsten ­ Schumacher, Ulrich Schwartz, Schatz, Lars ­ Christian Simon, Alan Tepper, Jörg Trüdinger, Claudia Tupeit, Uli Twelker, Thomas Wachter, Jürgen Wolff

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Andrea Leibfried, goodtimes@nikma.de

Grafische Gestaltung:

Andrea Zagmester, kult@nikma.de Kathleen Müller, grafik@nikma.de

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kult!

Willkommen bei

S

chon wieder ist ein halbes Jahr ins Land gezogen, Zeit also für die nächste Nummer von kult! Und so halten Sie nun bereits die 17. Ausgabe unseres Magazins in Händen – der Stoff, um in E ­ rinnerungen zu schwelgen, geht eben einfach nicht aus! Zurück in die Zukunft" war die längst zum Kult gewordene Filmtrilogie beti" telt, die 1985 anlief; für unser Magazin ließe sich dieser Slogan variieren zu Vor" wärts in die Vergangenheit" – abtauchen in die (eigene) Vergangenheit. Mit einem breiten Themenspektrum in gewohnt anspruchsvoller Weise wollen wir Sie auch diesmal mitnehmen auf eine Zeitreise in die Kindheit und Jugend. Also in Zeiten, als man Langnese-Eis schleckte, sich durch die Abenteuer von Tom Sawyer & Huckleberry Finn unterhalten ließ und sich Comics schmökernd mit Daniel Düsentrieb an dessen Erfindungen erfreute. Als gemäß der damaligen Rollenverteilung Mädchen mit Barbie-Puppen spielten, während die Jungs Matchbox-Autos bewegten und davon träumten, am Lenkrad eines Opel Bitter zu sitzen. Und man kann schmunzeln, wenn man sich heute vor Augen hält, wie einst die Wohnzimmer eingerichtet waren und welch große Rolle die Farbe Orange einmal im deutschen Alltag spielte. Vielleicht lässt der eine oder die andere sich ja auch dazu inspirieren, in der Plattensammlung (etc.) zu stöbern, um sich selige Musikzeiten von Achim Reichel mit den Rattles, Wonderland oder als psychedelischer Pionier ins Gedächtnis zurückzuzurufen. Und mit Nena erneut "99 Luftballons" steigen zu lassen oder sich im Zuge des Ost-West-Brückenschlags darüber zu informieren, welche Schallplatten auf der anderen Seite der Mauer verfügbar waren ... Den Wunsch, dass Sie viel Spaß beim Schmökern haben, verbinde ich mit der Bitte, uns wissen zu lassen, welche kult!-Themen Sie sich für die nächsten Ausgaben wünschen. Es grüßt Sie herzlich

Neu

Titelfoto:

Nena: Didi Zill

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­Fabian Leibfried -Herausgeber/Chefredakteur-

amam 20.04.2018 erscheint 20.4.2018 kult! Nr.Nr.1818erscheint GoodTimes

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kult! 60er · 70er · 80er

Ausgabe Oktober 2017 1/2018 (Nr. 17)

INHALT RUB RIKE N 3 Editorial/Impressum 4 Inhaltsverzeichnis 5 Mein erstes Auto Mitarbeiter & Prominenz 6 News from the past

76

Altes neu ausgepackt

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21 kult! Verlosung 21 kult! Rätsel 39 kult! Shop 41 kult! Abo-Bestellschein 47 Nena/Mein Name ist Nobody

36

18

Riesenposter

12 Unterwegs mit einem Planespotter Paparazzo der Stahlvögel

14 Linda Gray (Dallas)

War das nicht eine verrückte Zeit?!" "

18 Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer Eine Hymne in Prosa auf die Kindheit

56

22 Das Jahr 1977

Deutscher Terror-Herbst, der Tod des King Of Rock'n'Roll & sich bekriegende Sterne

62

26 Promi-Paare

62 Barbie

Im moralischen Gewitterhagel

30 Werbe-Ikonen – Serie (Teil 5)

Geliebt – gehasst – vergöttert ...

32 Langnese-Eiskrem

Vom Star-Club in die Elbphilharmonie

36 Lederstrumpf

Geschätzt, geliebt, gelobt

64 Achim Reichel

Klementine – nicht nur sauber, sondern rein!

66 Kultbücher

Köstliche Kindheit! Der Meisterschütze und der letzte Mohikaner fesselten Babyboomer

40 50 Jahre Geldautomaten

68 Captain Future

32

Sternenritter ohne Furcht und Tadel

72 Das neue Interieur der 60er Jahre – Serie (Teil 1)

30

Die Idee, die aus der Badewanne kam!

42 Daniel Düsentrieb

Geometrie statt Gemütlichkeit

44 Nena

Italienischer Chic aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis

76 Erich Bitter und seine Autos

Dem Ingeniör ist nichts zu schwör 40 Jahre – NDW-Ikone, internationaler Star und mehrfache Mama

78 Die Farbe Orange in den 70er Jahren

44

46 The Time Tunnel

Bahn frei für ungebremste Fröhlichkeit

55 Rosy Rosy

Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit

56 Das Lustige Taschenbuch" wird 50 "

Ein Witz zu jeder Leiche

58 Hammer Film Productions

Bill McKinney

80 Ivanhoe

Bildungsfernsehen à la Hollywood

82 Edgar Wallace

Bayerische Erotik-Ikone der Subkultur

86 Kino-Bösewichte – Serie (Teil 5)

Der Kolumbusfalter ist zurück

88 Computerspielemuseum in Berlin Zocken ist Kultur!

Von irren Wissenschaftlern, Vampiren und Fell-Bikinis

90 Die Geschichte der O

Ein Liebesbrief der ganz besonderen Art

80

92 Matchbox

Das legendäre Auto aus der Streichholzschachtel

90 88 56 92

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Seite

4

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94 Sticker im öffentlichen Raum Klebrige Leidenschaft

96 VEB – Deutsche Schallplatten – Serie (Teil 3)

Litera – Das akustische Schatz kästchen für die ganze Familie


Mein erstes Auto

VW Käfer (orange) Malte Ristau

Hans-Joachim Neupert

VW Passat (grün)

Renault R 4 (gelb) Kathrin Bonacker

Citroen C1 (blau) Claudia Tupeit

Markus Nöth

VW Polo (hellbraun)

Fiat 127 (giftgrün)

Opel Corsa (rot) Susanne Buck

Philipp Roser

Petra Czerny

Datsun Cherry (silber)

VW Käfer (orange) Michael Fuchs-Gamböck

Opel Ascona B (zitronengelb)

Roland Schäfli

Sven Rachner

VW Scirocco (weiß)

Opel Kadett City (rot)

VW Passat (rot) Michael Klein

Ulrich Schwartz

Andrea Zagmester

VW Käfer (himmelblau)

Opel Rekord D Coupe (rot) Andreas Kötter

Achim Reichel

Christian Simon

VW Käfer (beige)

VW Käfer (weiß) Andrea Leibfried

60er ein Mein erstes Auto war Anfang der weißem Dach FORD TAUNUS 15M in Blau mit grill. und Weltkugel über dem Kühler en eingeAls besonderes Extra hatte er ein attenspieler. bauten Philips Mignon Single-Pl igs liefen Auf den Fahrten zu den Rattles-G Little Eddy Cochran, Gene Vincent und nicht zu Richard und alles, was im Radio hören war.

Alan Tepper

Renault Espace (beigemetallic)

VW Polo (grün) Kathleen Müller

Mitarbeiter & Prominenz

DKW Junior (grau)

Fiat 127 Sport (silber) Fabian Leibfried

kult!

Matthias Bergert

Wartburg (grün)

VW Passat (rot)

Foto: © Hinrich Franck

Kati Naumann

Lothar Brandt

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Bücher & Comics WIKING – AUTOTRÄUME

N from the past rakterisierung des Menschen Robert Redford, die mehr als gelungen ausfällt. Eine exquisite Lektüre.

85 JAHRE MINIATUREN ZU WASSER, ZU LANDE UND IN DER LUFT

YAMAHA ZWEITAKT

2017, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66710-998-9 168 Seiten; 34,90 €

Von Peter Abelmann und Axel Koenigsbeck

Von Ulrich Biene

Ulrich Biene wusste schon mit seinem Buch Faller – Kleine Welt ganz groß" zu begeis­ " tern. Nun hat er einen Hardcover-Band in Top-Druckqualität vor­ gelegt, der sich den Mo­ dellen (natürlich meist Maßstab 1:87) der Fir­ ma Wiking widmet, die auf eine 85-jährige Unternehmensgeschichte zurückblicken kann. Der reich illustrierte Band, in dem sich ne­ ben den Fotos der Modelle und der Produkti­ onsstätten auch zahlreiche Abbildungen von alten Werbeprospekten oder Kartons finden, kann mit einem präzisen, detailverliebten Text aufwarten, der nicht nur Fakten vermit­ telt, sondern auch die Faszination, die von den Mini-Lkws, Schiffen, Straßenbahnen und – wenn auch nur kurz – Flugzeugen ausging. Ein aufschlussreicher Band und zugleich ein Mus­terbeispiel für lebendige Sachliteratur.

ROBERT REDFORD DIE BIOGRAPHIE

Von Michael Feeney Callan 2017, Droemer Verlag ISBN 978-3-42630-136-4 732 Seiten; 16,99 €

Robert Redford ist einer der bedeutendsten Schauspieler Hollywoods, der sich im Gegen­ satz zu vielen Kollegen nicht von den Verlo­ ckungen der Traumfabrik blenden und ver­ führen ließ, sondern sich selbst treu geblieben ist. Veranstaltungsreihen wie das Sundance Film Festival und vor allem Blockbuster wie Der Clou", Der große " " Gatsby", vor allem Die Un­ " bestechlichen" und Jenseits " von Afrika" sowie Der " Pferdeflüsterer" haben seine Popularität auf alle Zeiten zementiert, doch auch sein sozialpolitisches Engagement und seine Bemühungen gegen die Erderwärmung bewirkten Respektbe­ kundungen. In der überaus detailreichen, mit zahlreichen Fotos illustrierten und mit einer Filmografie versehenen Bio kann sich der Le­ ser einen Eindruck über das Werk des sym­ pathischen Mannes verschaffen. Der größte Verdienst des Buchs liegt aber bei der Cha­

VON DER YA1 BIS ZUR RD 500 UND DT 400 2017, Schneider Media ISBN 978-3-66710-702-2 280 Seiten; 29,90 €

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Man kann dieses feine Nachschlagewerk anschauen, wie ein Kind ein Bilderbuch anschaut – mit großen, staunenden Augen und mit dem sehnlichen Wunsch, die Dinge, die man sieht, berühren oder gar besitzen zu können. Das im modernen Motorradbau aufgrund von Umwelt- und Lärmschutzbe­ stimmungen zur Randerscheinung verkom­ mene Zweitaktprinzip und die Modelle, in denen diese Motoren bei Yamaha bis in die frühen 1980er Jahre ver­ baut wurden, legten den Grundstein für den bis heute währenden Erfolg der Marke. So beflügeln der Big-Bike-Schreck RD 250/350 oder der Gelände-Dampfhammer DT 400 bis heute die Sinne aller YamahaFans, die in den 70er Jahren jung und stark und wild waren. Ikonischen Motorrädern und Lebensgefühl haben Peter Abelmann und Axel Koenigsbeck, als freie (Buch-)Auto­ ren für verschiedene Motorradpublikationen längst als ausgewiesene Experten anerkannt, auf 280 Seiten mit 800 meist farbigen Fo­ tos und Abbildungen ein beeindruckendes Denkmal gesetzt. Eines, das dem Leser ein sinnliches Erlebnis beschert, bei dem die ty­ pische blaue Zweitaktfahne beinahe in der Luft zu hängen scheint.

FRAUEN DER 1920er JAHRE GLAMOUR, STIL UND AVANTGARDE Von Thomas Bleitner

2017, Insel Verlag ISBN 978-3-45836-262-3 208 Seiten; 16,00 €

Die Goldenen Zwanziger", " The Roaring Twenties" " oder Les Années Folles" " – alles schwärmerische Be­ schreibungen einer Dekade, in der die Lebenslust – nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs – nur so zu sprühen schien. Natür­ lich spielten dabei zahlreiche Faktoren eine wichtige Rolle, doch vor allem die Emanzipa­ tion der Frauen sorgte für neue Impulse. Der Hamburger Autor Thomas Bleitner stellt in Seite

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seinem vorzüglichen Buch bedeutende Frauen mittels faszinierender Fotos und aussagekräf­ tiger Texte vor. Literatur und Kunst (Zelda Fitzgerald, Tamara de Lempicka), Cabaret und Tanz (Anita Berber, Josephine Baker) oder Fotografie und Film (Clara Bow, Louise Brooks) sind nur einige der Themenschwer­ punkte, in die der Autor sein Werk unterteilt. Eine schillernde Zeitreise in eine vergangene und – für die meisten – vergessene Zeit.

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ODER DIE GANZE GESCHICHTE DES FUSSBALLS IN NEUNZIG SPIELEN

Von Christian Eichler

2017, Droemer Verlag ISBN 978-3-42630-139-5 512 Seiten; 16,99 €

Der Sportjournalist Christian Eichler kann nicht nur spannend und unterhaltsam schrei­ ben, sondern hat auch originelle Ideen. Wie der Titel schon proklamiert, verdeutlicht Eichler die Geschichte des beliebten Sports anhand historisch relevanter Spiele. Klar, das Wunder von Bern" fehlt nicht, auch das " Wembley-Tor aus dem Jahr 1966 wird ange­ sprochen, und das WM-Endspiel Deutsch­ land – Niederlande im 1974 findet sich wieder (hier sahen Kicker auch noch wie Kicker aus und nicht wie Schnullis!). Doch auch bewegende Mo­ mente wie ein Spiel an der Westfront am 24./25. Sep­ tember 1914 oder ein Match Deutschland – Russland, das mit 16:0 endete (1912), werden thematisiert. Dabei begeistert die Verknüpfung von sorg­ sam recherchierten Fakten und temporeichen Spielbeschreibungen. Wärmste Empfehlung!

MONTY PYTHON’S FLYING CIRCUS HIDDEN TREASURES Von Adrian Besley

2017, Edition Olms ISBN 978-3-28301-279-3 98 Seiten; 39,95 €

Einen Einblick in die bizarre Welt der Py­ thons (die auch ein Vorwort zu dem großfor­ matigen, in einem Pappschuber erhältlichen Band beisteuerten) präsentiert der Autor des englischsprachigen Werks Adrian Besley. Neben zahlreichen be­ kannten Illustrationen und einem ausgiebigen bibliografischen Teil mit Einzelporträts sind es die zahlreichen Beilagen – in braunen Schutzhüllen steckend –, die Licht auf ungenutzte Beiträge werfen, wie


NEWS from the past der Text zum bitterbösen Sketch Ursula " Hitler". Darüber hinaus finden sich Replika von Werbeflyern, ein Bastelbogen!!!, Poster, die legendäre Postkarte von Eric Idle und Queen Elizabeth zum 25. Thronjubiläum und aktuelle Postkarten. Nach der Lektüre des opulenten Bandes wird jeder Leser schnell zum Medium Fernsehen wechseln und sich ein paar alten Sendungen anschauen, denn die waren tatsächlich einmalig.

GEORGE LUCAS DIE BIOGRAFIE

Von Brian Jay Jones 2017, edel ISBN 978-3-84190-557-4 478 Seiten; 24,95 €

George Lucas hat die Ausstrahlung eines gutmütigen und netten Opas, was wohl kaum auf das Genie hinter dem unscheinbaren Er­ scheinungsbild schließen lässt. Er hat mit seinem Star Wars"-Epos und dem darauffol­ " genden Kult die Dimensionen des Vorstell­ baren erweitert, denn noch nie zuvor war so ein Hype um eine Filmreihe entstanden, einhergehend mit einer unvergleichlichen Wertschöpfungskette. Der renommierte Autor Brian­ Jay Jones schildert den Werdegang des Regisseurs, wobei er aber nicht nur auf die cineastischen Aspekte seines Schaffens abzielt, sondern auch dem Menschen nahe zu kommen versucht. Letz­ teres gelingt nicht immer, gilt Lucas doch als verschlossener und wortkarger Privatier. Al­ lerdings lassen die zahlreichen O-Töne aus Interviews und die Kommentare von Zeitzeu­ gen ein Bild entstehen, das einer akzeptablen Annäherung gleichkommt. Und eines ist si­ cher: Star Wars"-Fans werden hier ihre helle " Freude haben, da Jones mehr als nur einen Blick hinter die Kulissen präsentiert.

VERGESSENE AUTOS

ERLOSCHENE DEUTSCHE MARKEN Von Halwart Schrader

2017, Motorbuch Verlag ISBN 978-3-61303-996-4 352 Seiten; 69,00 €

Halwart Schrader hat sich mit diesem Pracht­ band in exzellentem Druck wahrscheinlich einen Traum erfüllt, denn der informative Text, die tollen Fotos und Abdrucke von Anzeigen oder Broschüren sind so gekonnt verknüpft, dass man die große Leidenschaft hinter der Arbeit spürt. Der Autor nennt ins­ gesamt 137 Markennamen der wichtigsten deutschen Autobauer – auf einige musste er aufgrund von Platzgründen verzichten – und dokumentiert die Firmengeschichte sowie

die bekanntesten Modelle. Das reicht von Maybach mit zum Beispiel dem wunder­ schönen SW 38, Horch mit dem kultigen 853A über Melkus und dem RS 1000 Flügeltürer bis hin zu nur noch Spezialisten bekannten Marken aus der Frühzeit wie Orient Express, Wanderer, Cu­ dell oder Mathis. Ein Werk eines Kenners für Autofans, die sich an Ingenieurskunst und besonders formvollendeten Automobilen er­ freuen.

THE JACKSONS

EINE FAMILIE – EIN TRAUM – EINE LEGENDE

Von The Jacksons mit Fred Bronson

Zum 50. Jubiläum der Debütsingle "My Boy" erscheint der vorzügliche und großformatige Bildband mit über 1000 Abbildungen, der einen umfangreichen Überblick über das Schaffen der Jacksons bietet, die allzu oft im Schatten des Me­ gastars Michael Jackson verschwinden. Neben den groß angelegten Bildstrecken, bei denen man häufig seltene oder noch nie gesehene Fotos berücksichtigte, dienen Kurztexte der Band und von Zeitzeugen der Vervollständigung eines plastischen Gesamteindrucks. Zusätz­ lich sind Abbildungen von Plattencovern zu sehen, Musikmagazinen, Sequenzen aus dem Familienalbum, Konzertaufnahmen und einige Impressionen von Michael Jacksons Solokarriere. Ein schöner Bildband, bei dem man sich in einigen Passagen ein wenig mehr Text zur Erläuterung gewünscht hätte.

DAS DRAMATISCHE LEBEN UND STERBEN DER GRÖSSTEN RENNFAHRER 2017, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66710-970-5 144 Seiten; 39,90 €

Dieser einzigartige, emotionale Bildband versammelt Porträts von 19 Rennfahrern, die vor allem in den 70er und 80er Jahren des ver­ gangenen Jahrhunderts auf den unterschied­ lichsten Rennstrecken bei zum Teil spekta­ kulären Unfällen ihr Leben ließen. Keiner im Fahrerlager wusste, ob man sich nach dem Rennen, nach dem Training oder einer Test­ fahrt wiedersah. Zu schlecht waren die Si­ Seite

Die von den genialen Comicgrößen Albert Uderzo und René Goscinny geschaffenen Helden Asterix und Obelix sind wieder da! Das mit Spannung erwartete neue Abenteuer der gallischen Freunde trägt den Titel Aste­ " rix in Italien"! Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Italien ist von den Römern be­ setzt … Ganz Italien? Nein, nicht komplett! Während Cäsar von einem vereinten Italien

kult!

Unsere Gewinner der Verlosung aus kult! Nr. 16 – 2/2017: DVD Die Hausmeisterin: Klaus-Peter Wiez, Oberhausen Waltraut Clausen, Trochtelfingen DVD Rette mich wer kann: Horst Doffing, Bottrop John Oertel, Staßfurt

CD Hanni & Nanni: Marita Peil, Bad Kreuznach Thomas Rathjens, Itzehoe

Von Elmar Brümmer, Ferdi Kräling

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2017, Egmont Comic Collection ISBN 978-3-77044-037-5 48 Seiten; 12,00 €

CD Schlümpfe: Hannelore Frickmann, Lehrte Dragana Usainovic, Herbrechtingen

VERLORENE FREUNDE

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ASTERIX IN ITALIEN

Von Jean-Yves Ferri und Didier Conrad

2017, edel ISBN 978-3-84190-565-9 320 Seiten; 39,95 €

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cherheitsvorkehrungen an den Rennstrecken, zu rudimentär die ärztliche Versorgung vor Ort, zu experimentell die Fahrzeugkonstruk­ tionen – und zu arrogant die Veranstalter, die oft genug selbst unter widrigsten Witterungs­ bedingungen Rennen star­ teten. Der Verlust von gu­ ten Freunden gehörte des­ halb viel zu lange einfach dazu. Elmar Brümmer hat hier mit großer Kenntnis und Einfühlsamkeit das Leben, die Erfolge und die tödlichen Unfälle und ihre Ursachen analysiert. Der Motorsportfotograf Ferdi Kräling steuerte die beeindruckenden Fotografien dazu bei.

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CD Wencke Myhre: Hans Lutz, Ansbach Julia Cieslik, Immendingen Lasarczik, Lutherstadt Wittenberg CD 5 Freunde: Albert Bulling, Schwäbisch Gmünd Saskia Klare, Augustdorf

Herzlichen Glückwunsch!


N from the past träumt, besteht die Halbinsel aus verschie­ denen Regionen, die großen Wert auf ihre Unabhängigkeit legen. Darum ist das Leben nicht leicht für die römischen Legionäre ... Obelix ist überrascht, dass dort längst nicht nur Römer wohnen, die es mit Zauberkräften zu vermöbeln gilt! Stattdessen gibt es viele Italiker, die ganz nach gallischer Manier ihre Unabhängigkeit wahren wollen. Sie lehnen den Her rschaftsanspr uch von Julius Cäsar mit sei­ nen Legionen strikt ab. Unsere Lieblingshelden Asterix und Obelix stürzen sich in ein fes­ selndes Abenteuer und entdecken das außergewöhnliche Italien der Antike! Mit den Riesenerfolgen Asterix bei " den Pikten" und Der Papyrus des Cäsar" " haben Jean-Yves Ferri und Didier Conrad ihr Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Am 19. Oktober erscheint nun endlich das neue Abenteuer: Asterix in Italien"! Halten " Sie sich bereit für eine turbulente Fahrt über die Halbinsel!

VW-BULLI

FLOTTER TRANSPORTER Von Peter Kurze

2017, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66711-156-2 112 Seiten; 16,90 €

70 JAHRE VW BUS

auto motor und sport Edition 2017, Motorbuch Verlag ISBN 978-3-61330-836-7 164 Seiten; 9,90 €

Beide Bildbände stellen die Geschichte und Entwicklung des beliebten Transporters aus der Nachkriegszeit bis heute vor. Dabei spa­ ren sie nicht an Fotos aus den unterschiedlichsten Einsatzbereichen, an­ hand derer die ganze Vielseitigkeit des „Bul­ lis" ersichtlich wird. In­ teressante Skizzen zur Technik fehlen ebenso wenig wie Abbildungen des einen oder ande­ ren Werbeplakats. Gut verständliche und bei aller Sachlichkeit auch unterhaltsame Texte bil­ den dabei die Basis und erinnern an die Anfangs­ jahre eines der erfolg­ reichsten Fahrzeuge der heimischen Automobil­ industrie. Alle VW-BusFans werden durch diese Bücher zum Träumen und Erinnern an die längst vergangene Jugendzeit angeregt.

FESTIVAL DEL RIO

kriegsfahrzeuge, hat dafür sein umfassendes Archiv durchforstet und kenntnisreiche, un­ terhaltsame Texte zu kleinen Kunstwerken erstellt. Ein toller Rückblick auf die goldenen Jahre.

Von Roland Schäfli

2017, Brotsuppe ISBN 978-3-90568-980-8 192 Seiten; 22,00 €

Ausgerechnet eine Woche vor Beginn des Filmfestes stirbt der Festivaldirektor während seines Lieblingsfilms Citi­ " zen Kane". Es liegt nun an seinem Assistenten Federico Del Rio, das Filmfestival in gewohnten Bahnen stattfin­ den zu lassen. Jedoch ist Del Rio ein ambi­ tionsloser 130 Kilo schwerer Genussmensch, dessen Filmgeschmack sich auf reine Unter­ haltungsstreifen beschränkt und von dem ein künstlerisch wertvolles Programm kaum zu erwarten ist. So genießt und missbraucht er die neugewonnene Macht in vollen Zügen, muss sich allerdings auch mit intellektuellen Filmkritikern anlegen, die Avancen eines Hollywood-Stars ertragen und genug Gewicht verlieren, um in einen Smoking zu passen. Und permament droht die Enthüllung durch eine Reporterin, die, wie er, langsam dahin­ terkommt, dass der verstorbene Direktor die Finanzen alles andere als geordnet hinterlas­ sen hat. Kein Wunder also, dass Katastrophen nicht lange auf sich warten lassen. Roland Schäfli hat hier eine unterhaltsame und mit viel Humor gewürzte Geschichte rund um ein renommiertes Film-Kult-Spektakel gespon­ nen, das beweist, dass richtiges Leben noch viel aufregender sein kann als Kino.

AUTO UNION DKW

IM SPIEGEL DER WERBUNG VON 1949 BIS 1966 Von Ralf Friese

2017, Delius Klasing Verlag ISBN 978-3-66710-913-2 160 Seiten; 39,90 €

Dieser zeitgeistige Bildband zeigt, wie schön die Auto Union für neue Produkte ihrer Marke DKW ab 1949 geworben hat. Vom kleinen Schnelllaster F89 L, der das erste in Ingolstadt gebaute Automobil überhaupt war, über den großen DKW F 93 (3=6), den modern trapezförmigen DKW Junior bis hin zum Heckflossen-Traumroadster Auto Uni­ on 1000 SP – in diesem Buch finden sich die ori­ ginalen Prospekte aller dieser sympathischen Wirtschaftswunderwa­ gen. Damals ahnte wohl noch niemand, dass da­ raus einmal einer der er­ folgreichsten deutschen Automobilhersteller werden würde: Audi! Der Autor Ralf Friese, ausgewiesener Fachmann für DKW-Nach­ Seite

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GT LOVE

50 JAHRE OPEL GT

Von Jens Cooper, Harald Hamprecht 2017, Delius Klasing Verlag ISBN: 978-3-66711-063-3 304 Seiten; 49,00 €

Kapitän, Admiral, Diplomat, Manta, Monza – es gibt viele Opel mit klangvollen Namen und aufregenden Designs. Aber kein Modell der Marke mit dem Blitz ist so legendär wie der GT. Das Sportcoupé ist für Generationen von Autofahrern gleichermaßen Blickfang, Mei­ lenstein, Kult und Traum. Die Autoren span­ nen hier einen Bogen über 50 Jahre Erfolgsge­ schichte zum aufsehenerregendsten Opel aller Zeiten, der sich auch im Motorsport bewährt hat. Nur Fliegen ist schöner" " lautete so auch der Slogan für den GT. Und: Als ex­ perimenteller Diesel- und Elektro-GT fuhr die deut­ sche Antwort auf die Corvette sogar Weltre­ korde ein. Dieser reichbebilderte Großband lädt alle GT-Fans zum Träumen ein und darf in keiner Sammlung fehlen!

HORROR-KULTFILME

Von Angela Fabris et al. (Hrsg.) 2017, Schüren Verlag ISBN 978-3-89472-618-8 192 Seiten; 24,99 €

Horrorfilme ziehen das Publikum schon seit Jahrzehnten in den Bann. Ob es sich nun tat­ sächlich um spannende und beängstigende Streifen handelt oder um Leinwandwerke, bei denen die Grenze zur Persiflage schnell überschritten wird – diese Kult-Filme ge­ hören mittlerweile zum festen Bestandteil des wissenschaftlichen Diskurses. In einem the­ oretisierenden, aber nicht lehrerhaften Ton haben verschiedene Autoren in dem hochinteressanten Buch Beiträge zu Themen wie Francis Ford Coppolas Dracula"-Verfilmung, Mu­ " sik in Horrorfilmen und dem italienischen Gothic Horror verfasst, nicht zu vergessen der lesenswerte Artikel Hammer – House Of " Horror" von Jörg Helbig. Im Anhang wurden zudem diverse Rankings berücksichtigt (die besten Streifen/Regisseure/Filme, bei denen Frauen Regie führten), die dem Leser eine neue Perspektive ermöglichen.


NEWS from the past CDs + LPs KATJA EBSTEIN / MARGOT WERNER

ORIGINALE – 2 ALBEN AUF 1 CD Zwei Originalalben zusammengefasst auf ei­ ner CD, die neuesten Ausgaben dieser Reihe liefern Musik von Katja Ebstein und Margot Werner. Bei Katja Ebstein geht die Reise zu­ rück in die Mitte der 70er Jahre, 1976 wurde IN PETERSBURG IST PFERDEMARKT veröffentlicht. Alle Lieder dieser LP wurden von Christian Bruhn komponiert (Texte von Michael Kunze), mit dem die Sängerin beim Eurovision Song Contest 1970 mit "Wunder gibt es immer wieder" einen hervorragenden dritten Platz errang. Und genau so, wie die Mu­ sik damals bei diesem Wettbewerb klang, so sind auch die Songs die­ ses Albums angerichtet: schwungvoller bis nach­ denklicher Pop, über weite Strecken im Stile französischer Chansons arrangiert, ohne Fra­ ge gehobene 70er-Jahre-Ware. Musikalisch in dieselbe Richtung gehend, aber mit einem anderen Hintergrund, dann das ein Jahr später veröffentlichte LIEBE. Hier setzte Ebstein neben Schlagerkomponist Joachim Heider (Michael Holm, Christian Anders, Marian­ ne Rosenberg) auf internationale Vorlagen, hatte Songs aus Musicals von Andrew Lloyd Webber und Stephen Sondheim sowie Co­ ver-Versionen mit deutschen Texten von Cat Stevens ("Morning Has Broken") und BreadSänger David Gates ("If") im Programm. Klar

in Richtung Chanson tendierten auch die bei­ den Alben von Margot Werner, UND FÜR JEDEN KOMMT DER TAG (1974) sowie NUR EINE FRAU (1977). Hier war es vor allem Abi Ofa­ rim, der für die Kompo­ sitionen zuständig war, neben Spezialisten wie Frank Duval, Ralf Toursel und Robert FrankJacobi. Klasse hierbei auch die instrumen­ tale Begleitung, im Münchner Arco-Studio waren zu dieser Zeit die besten deutschen Studiomusiker versammelt, darunter Cracks wie Paul Vincent, der später bei den Solo­ werken von Queen-Sänger Freddie Mercury, Powershouter Meat Loaf oder Blues-RockLegende Eric Burdon für den Gitarrensound zuständig war. (Electrola/Universal, 2017, 2 CDs)

VICKY LEANDROS

ORIGINALE ALBUM-BOX 2 Fünf Originalalben als hochwertige VinylReplica-CDs in einer Sammelbox, so einfach ist das Konzept hinter dieser Reihe. Die erste Charge von Vicky Leandros gab es bereits im Jahr 2015, in der ORIGINALE ALBUMBOX 2 geht es nun über fünf Al­ ben von 1977 bis 1983. Auf DU, DU LIEGST MIR AM HERZEN zeigt sich die auf der griechischen Insel Korfu ge­

borene Sängerin tief mit deutscher Tradition verbunden, hatte Volkslieder wie "In einem kühlen Grunde", "Muss i denn" oder "Es wa­ ren zwei Königskinder" im Programm. Im Jahr 1981 kam das programmatische ICH GEHE NEUE WEGE heraus, bei dem sie sich musikalisch vom Schlager verabschie­ dete und ihr Stil mehr in Richtung internatio­ naler Pop ging – die Texte waren aber immer noch in Deutsch. Erst mit dem im selben Jahr erschienenen LOVE IS ALIVE vollzog sie diesen Schritt konsequent, hier bestand das komplette Album aus englischsprachigen Liedern, bei "Je t'aime mon amour" wurde sie von Landsmann Demis Roussos beglei­ tet, Johnny Hallyday hieß der Duettpartner bei "On A Night Like This". Nach diesem internationalen Ausflug lieferten VERLO­ RENES PARADIES (1982) und VICKY (1983) dann wieder deutsche Texte, typisch für die frühen 80er Jahre war der Spagat zwi­ schen klassischem Schlager und Synthie Pop, wobei sich bei Vicky Leandros der Einsatz von flächigen Keyboards und elektronischem Schlagzeug noch in Grenzen hielt. Die ein­ zelnen, im Outfit der Original-LPs gestalteten Alben sind in aufklappbare CD-Hüllen ver­ packt, Produktionsinfos finden sich im Inne­ ren, als Bonus-Tracks gibt es Non-AlbumSingles mit Coverabbildungen. (Electrola/Universal, 2017, 5 CDs)

DALIAH LAVI JAHRESRINGE

Im Mai dieses Jahres verstarb mit Daliah Lavi eine Künstlerin, deren Leben so bunt und vielschichtig war wie die Musik, mit der sie ihre größten Erfolge feierte. Dass sie nach

A.R. & MACHINES THE ART OF GERMAN PSYCHEDELIC 197O - 74

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N from the past dem Wehrdienst in der israelischen Armee zunächst als Mannequin und dann als Schau­ spielerin ihre Brötchen verdiente, ist vielen un­ bekannt, auf der Lein­ wand konnte man sie neben Stars wie Gert Fröbe ( Im Stahlnetz des " Dr. Mabuse"), Lex Bar­ ker ( Old Shatterhand") und Dean Martin " ( Leise flüstern die Pistolen") sehen; im Jahr " 1962 wurde sie für einen Golden Globe als Beste Nachwuchsschauspielerin" nominiert. " Musikalisch erlebte sie Anfang der 70er Jahre mit Hits wie "Willst du mit mir geh'n", "Oh, wann kommst du" und "Wer hat mein Lied so zerstört, Ma?" ihre erfolgreichste Zeit. Zu Be­ ginn der 80er Jahre wechselte sie von Polydor zu EMI, mit den LPs WENN SCHON, DANN INTENSIV und HERZBLUT gelang es ihr dort, kurzfristig wieder an alte Erfolge an­ zuknüpfen. Diese beiden Alben – ergänzt um jeweils zwei Bonus-Tracks – werden nun als Doppel-CD wiederveröffentlicht, hier zeigte Daliah Lavi, dass sie auch bestens im moder­ nen Pop zu Hause war. Mit "Ich wollt' nur mal mit dir reden" (Stevie Wonders "I Just Called To Say I Love You") und "Die erste Nacht der Ewigkeit" (Albert Hammonds "To All The Girls I've Loved Before") nahm sie auch ihre erfolgreiche Strategie der 70er Jahre wieder auf, Cover-Versionen von bekannten Hits mit ins Programm zu nehmen. Toll gemacht auch das Booklet, in dem es neben den Produkti­ onsinfos sowie den originalen Liner-Notes auch klasse Bilder zu sehen gibt. (Electrola/Universal, 2017, 12/52:27, 13/48:55)

FREDDY QUINN

ORIGINALE ALBUM-BOX 2 In den 50er und 60er Jahren war er der erfolg­ reichste Gegenpol zu neumodischen Trends wie Beat und Rock'n'Roll, doch spätestens ab den 70er Jahren konnte sich auch Freddy Quinn den moderneren Wünschen des Publi­ kums nicht mehr entziehen. Während sich die erste ORIGINALE ALBUM-BOX aus dem Jahr 2014 sowohl heimatlichen Volksliedern als auch der damals zeittypischen Sehnsucht nach fernen Ländern widmete ("Nimm mich mit Kapitän auf die Reise"), liefert der zweite Fünferpack größtenteils internationale Ware. Mit VORHANG AUF versammelte Quinn 1972 erfolgreiche Musical- und Filmmelodien wie "True Love", "Summertime" und "Oh, What A Beautiful Mornin'", dazu Medleys aus Annie Get Your Gun" und West Side Sto­ " " ry". TENNESSEE SATURDAY NIGHT, IT'S COUNTRY TIME und COUNTRY – GET ME BACK TO TENNESSEE entstanden zwi­ schen 1970 und 1981, an den Titeln der LPs

unschwer zu erkennen, wohin hier die mu­ sikalische Reise geht, nach Amerika, ins ge­ lobte Land der Country-Musik. Natürlich war Quinns gefühlvoller Gesangsstil ideal für die­ se Art von Musik, selbst Vorlagen von Outlaws wie Hank Williams ("Your Cheating Heart") und Kris Kristofferson ("Sunday Mornin' Co­ min' Down") klangen bei ihm wie samtige Wohlfühlsongs. Dass er für Lieder wie "Green Green Grass Of Home", "High Noon", "You Are My Sunshine" oder "San Antonio Rose" der richtige Interpret war, das versteht sich von selbst. Das fünfte Album dieser Box stammt aus dem Jahr 1982 und trägt den programma­ tischen Titel UND DARUM BIN ICH HEU­ TE WIEDER HIER. Mit dieser LP versuchte Freddy, seine ausklin­ gende Karriere noch einmal anzukurbeln, wollte im deutschen Schlagergeschäft Fuss fassen. Joachim Hei­ der, ein Songwriter und Produzent, der von Dorthe Kollo über Bernd Clüver bis zu Jürgen Drews ein breites Spektrum betreute, sorgte hier für die Songs. Alle Alben kommen mit Bonus-Tracks, in den aufklappbaren Digipaks findet man daher die Produktionsinfos sowie Cover-Abbildungen der jeweiligen Singles. (Electrola/Universal, 2017, 5 CDs)

NANA MOUSKOURI

NENA

POIROT

Seit unglaublichen 40 Jahren steht Nena nun schon auf den Konzertbühnen der Welt, wie wohl keine andere deutsche Sängerin lieferte sie so, ganz nebenbei, den Soundtrack für die letzten vier Dekaden. Jetzt erscheint mit der Doppel-CD 40 – DAS NEUE BEST OF AL­ BUM ein Rückblick auf diese Zeit, und wenn man sich die Jahreszahlen der Erscheinungstermine ih­ rer Lieder ansieht wird deutlich, dass Nena im Gegensatz zu vielen anderen Acts der 80er Jahre immer wieder auch mit neuem Material erfolgreich war. So geht die Reise von ihrem ersten Hit "Nur ge­ träumt" über den Mega-Erfolg "99 Luftbal­ lons", das prophetische "Wunder gescheh'n" und das kryptische "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" bis zu neueren Erfolgen wie "Liebe ist". Klasse auch, dass es auf der zwei­ ten Disc noch genügend Platz für die eine oder andere Rarität gibt, wie eine Single der ­Stripes (Nenas erste Band), die Duette mit Kim Wilde, Westbam und Trio-Frontmann Stephan Remmler sowie der Cover-Version des Bap-Hits "Do kanns zaubere". (Sony Music, 2017, 20/80:44, 20/77:30)

Nicht einmal zwischen zwei Fällen hat der bel­ gische Meisterdetektiv Hercule Poirot (David Suchet) seine Ruhe. Gerade aus Syrien zurück­ gekehrt, wo er einen tragischen Zwischenfall erlebt hat, und auf dem Weg nach London, um dort an einem Fall weiterzuarbeiten, gerät die Fahrt im legendären Orient-Express von Istan­ bul nach Calais weniger erholsam als erwartet. Sein Mitreisender Samuel Ratchett, der sich um seine Sicherheit sorgt, möchte Poirot zu seinem Schutz gewinnen. Poirot lehnt ab, und noch in derselben Nacht wird Ratchett ermordet. Da der Zug in einer gewaltigen Schneelawine festhängt und niemand unbemerkt fliehen konnte, muss sich der Täter noch an Bord befinden. Gemein­ sam mit einem anwesenden Arzt und Monsieur Bouc, dem Chef der Zugli­ nie, nimmt Poirot die Ermitt­ lungen auf. Ein Filmklassiker, den man immer wieder gerne anschaut – und: Er ist anläss­ lich der Neuverfilmung von Mord im Orient-Express" " mit Johnny Depp, Willem Dafoe, Michelle Pfeiffer u.a. wieder up-to-date. Inklusive Booklet mit vielen interessanten Extra-Informationen! (Poyband/WVG, 2017, 89 Min.)

40 – DAS NEUE BEST OF ALBUM

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NANA

Im deutschen Sprachraum sorgte Nana Mous­ kouri mit Schlagern wie "Weiße Rosen aus Athen" und "Einmal weht der Südwind wieder" für Furo­ re, international kennt man sie eher als hochklas­ sige Interpretin von Jazz und Chansons, mit über 300 Mil­ lionen verkauften Platten liegt sie (hinter Madonna) auf Platz 2 der weltweit erfolgreichs­ ten Sängerinnen. Eines ihrer Highlights, das im Jahr 1965 veröffentlichte NANA, wird nun wieder neu als LP aufgelegt. Produziert wurde dieses Album von Quincy Jones, doch den Löwenanteil am Erfolg dieser außergewöhnlichen Songsammlung teilen sich Arrangeur Bobby Scott und die traumhafte Stimme von Nana Mouskouri. Es gibt nur we­ nige Arrangeure, die wie Scott die musikalische Begleitung so opulent und dennoch feinfühlig anrichten können, und wenn es der Sängerin dann noch gelingt, die zwischen schlichtem Folk und orchestralem Pop pendelnden Vorlagen so zurückhaltend wie leidenschaftlich zu interpre­ tieren, dann darf man zurecht von einer musika­ lischen Sternstunde sprechen. (Mercury/Universal, 1965, 12 Tracks)

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Unterwegs mit einem

Von Nicolas von Lettow-Vorbeck

Planespotter

Paparazzo der Stahlvögel

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lappernde Ziehkoffer, hektische Anzugträger, aufgekratzte Touristen, Gemurmel in einem Dutzend Sprachen, Triebwerkslärm, Autohupen. Der Flughafen Berlin-Tegel ist ein Nicht-Ort. 2016 wurden hier rund 21,2 Millionen Fluggäste abgefertigt, Platz vier unter den Flughäfen in Deutschland. Wer mit dem Bus oder Taxi hier ankommt, will sich so schnell wie möglich in die Lüfte erheben. Wer aus den Wolken kommend hier landet, möchte zügig in die Zentren der Spreemetropole eintauchen. TXL, so der Flughafencode von Berlin-Tegel, in die Nähe von Entspannung oder gar Freizeitvergnügen zu rücken – für die meisten Menschen ein absurder Gedanke. Michael – Anfang 60, Schiebermütze, Lederjacke – verbringt jede Woche viele Stunden in TXL Skulptur "Vor dem und fliegt doch nieStart nach Calais mals von dort ab. zum Europa-Flug Sein Hobby ist es, von 1911" Flugzeuge zu fotografieren. Als Planespotter bezeichnet er sich selbst. Äußerlich ist Michael nicht von den Flugpassagieren zu unterscheiden, denn er trägt eine voluminöse Reisetasche unter dem Arm. In ihr stecken eine Spiegelreflexkamera, Akkus und mehrere Wechselobjektive. Zielsicher steuert Michael die Besucherterrasse an, zieht ein Ticket am Automaten, nickt dem Wachmann zu und lässt die Röntgenkontrolle über sich ergehen. Die Aussichtsterrasse in Tegel ist äußerst weitläufig und bietet einen 360-Grad-Blick auf das Airport-Geschehen. Michael geht zu seinem Stammplatz nahe der Skulptur „Vor dem Start nach Calais zum EuropaFlug von 1911" des Bildhauers Karlheinz Biederbick. Der FlugzeugPaparazzo legt ab, stärkt sich mit einem Müsliriegel. Seite

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Wie ist er eigentlich zum Planespotten gekommen? „Schon als Kind ist mein Vater mit mir am Wochenende häufig nach Tempelhof gefahren. Die internationale Atmosphäre am Flughafen hat mich immer fasziniert. Flugplätze sind Orte, an denen sich alles kurzzeitig vermischt, keiner zu Hause ist. Und ein Flugzeug ist für mich ein Versprechen! Ein Versprechen, in wenigen Stunden an jeden Ort der Welt gelangen zu können." Michael knüllt das Müsliriegel­ papier zusammen, wirft es schwungvoll in den Mülleimer. Liebevoll nimmt er seine Kamera aus der Tasche, putzt über das Objektiv und überprüft die Akkuladung. Lösen die Flugzeuge ihr Versprechen ein? Der Planespotter schweigt kurz, schaut hinüber zum Tower: „Leider habe ich bisher wenig von der Welt gesehen. Ich hatte nie viel Geld. Größere Reisen waren nicht drin. New York, Tokio und Bangkok bleiben ein Traum. Hat nicht sollen sein. Aber vielleicht ..." Ein lautes Dröhnen reißt den Spotter aus seinen Gedanken, ein Airbus A321 der Lufthansa lässt seine zwei Triebwerke an. Richtung Traumziel? „Nein, ganz sicher nicht! Die Lufthansa hat sich weitgehend TXL-Tower aus Tegel zurückgezogen, die fliegen nur noch die Strecken nach Frankfurt am Main und München. Der Airbus hüpft kurz über Deutschland. Die innerdeutschen Strecken machen einen erheblichen Teil des Verkehrs in TXL aus. Im September 2010 setzte die Lufthansa sogar mal zur Probe die Boeing 747-400 auf der Strecke nach Frankfurt ein. Mann, das war ein Spektakel!" Eisig bläst der Februarwind aus Nordwest, Michael schlägt den Kragen seiner Jacke hoch. Was ist eigentlich das Lieblingsflugzeug des

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Aviatikfans? „Ach, das wechselt jedes Jahrzehnt. Früher war ich verrückt nach der Concorde, die war ja ein paarmal in Tegel. Unvergesslich! Dann fand ich die Boeing 747 – den Jumbojet – stark. Und seit einiger Zeit fahre ich total auf die Bombardier Q400 ab. Die hat so ein tolles Propellergeräusch!" Ist Spotten ein typisches Männerhobby? „Die Allermeisten von uns sind tatsächlich Männer. Aber manchmal trifft man auch Frauen, die sich für Flugzeuge begeistern können. Ich würde mich natürlich über einen höheren Damenanteil sehr freuen", feixt der Spotter. Nach einer Partnerbörse sieht die Flughafenterrasse im Augenblick aber wahrlich nicht aus. Neben Michael sehen nur ein Großvater nebst Enkelkind und zwei asiatische Geschäftsleute dem emsigen Treiben zu. Seit Kindertagen knipst Michael schon Flugzeuge. Hat man sich nicht irgendwann an den Fliegern sattgesehen? „Ich habe in meinem Leben viele tausend Male beobachtet, wie so ein Stahlvogel abhebt. Und wissen Sie was? Es ist für mich immer noch wie ein Wunder! Jedes einzelne Mal! Ich weiß schon, welche Naturgesetze dafür verantwortlich sind, zu uns." Kanzlerin Merkel und ihre Regierung fliegen natürlich auch auf aber unbegreiflich bleibt es dennoch!" Kommen Gedanken wie diese Tegel. Längere Strecken werden mit gebrauchten, umgebauten Airbus auch den GeschäftsA340-300 in Angriff genommen, für kurze Reisen oder Ferienf liegern steht kleineres Fluggerät zur Verfügung. Die deutsche in den Sinn, die geraRegierungsflotte ist ein vertrauter Anblick für Michael, de einige Meter unter er drückt bei ihrem Anblick nur noch selten auf den Michael in die Boeing Auslöser. „Ich habe ja schon so viele Fotos zu Hause 737 der Air Berlin einrumliegen. Man sollte es auch nicht übertreiben." Früher, steigen? Flugzeuge sind in analogen Zeiten, da war das Platzproblem allerdings Kunstwerke der Technik natürlich viel größer, so Michael. Foto-Abzüge, Negative für die Planespotter. und Dias stapelten sich noch vor zehn Jahren bis unter Vielleicht haben sie sich die Decke seiner kleinen Wohnung. Heute ist alles fein die kindliche Sicht auf säuberlich eingescannt und passt auf eine kompakte die Welt bewahrt, die Festplatte. „Ich fotografiere jetzt mehr als damals. Kann dem Leben eine Prise ja alles ganz schnell wieder löschen. Halte einfach drauf Magie verleiht. Ist es und suche mir dann den besten Schuss aus." dieser kindliche Touch, Online stellen mag der Planespotter seine Bilder nicht. Flugfans unter sich der manche Menschen Es reicht ihm, regelmäßig am Computerbildschirm in den über die Planespotter den Kopf schütteln lässt? „Klar, findet uns der gesammelten Schätzen zu schwelgen. Das ist ein bisschen wie in einem eine oder andere seltsam. Wir sind tatsächlich verrückt – genau wie Familienalbum zu blättern, berichtet er. Besonders schöne Stücke hat alle anderen Hobbyisten auch! Fußballfans etwa ... Die reisen durch Michael bei sich zu Hause aufgehängt. „Heute längst verschwundene ganz Europa, nur um ihre Mannschaft spielen zu sehen. Und glauben, Flugzeugtypen wie die Boeing 727 oder die McDonnell Douglas DC-10 die Jungs unten auf dem Rasen könnten ohne sie nicht gewinnen." leben dank meiner Aufnahmen weiter. Auch die legendäre Pan Am oder Stichwort Fußball – Berliner Planespotter kennen sich mit den aktuTrans World Airlines dröhnen durch meine Erinnerungen. Zeitgeschichte, die viele Jüngere heute nicht mehr kennen." Apropos Jüngere – hat die Berliner Spotterszene eigentlich Nachwuchsprobleme? Michael wechselt sein Objektiv, schaut einer knatternden Propellermaschine hinterher: „Man müsste ja denken, mit dem Internet und den modernen Handys geht das Interesse am Fliegen zurück. Stimmt aber gar nicht! Ich plaudere hier ganz oft mit Kindern oder Jugendlichen. Die finden alle Flugzeuge klasse und wollen Pilot oder Fluglotse werden. Denen verrate ich gerne den einen oder andeellen Bundesliga- und Champions-League-Tabellen verdammt gut ren Fotokniff, so ein Hobby verbindet die Generationen. Da spielt der aus. Denn wenn Spitzenspiele in der Hauptstadt ausgetragen werden, Altersunterschied keine Rolle." rücken die Mannschaften oft mit außergewöhnlichen Fliegern an. „Der Michael dreht sich um und winkt einem Mann am anderen Ende der FC Barcelona war im Sommer 2015 mit einem Airbus A340-600 von Terrasse zu. „Alter Freund von mir, ein Spotter-Kollege. Habe ihn seit Iberia da. Ein eleganter Vogel mit einer Länge von beachtlichen 75 einem Monat nicht mehr gesehen. Wir gehen nach dem Schließen Metern! Und als unsere Jungs im Sommer 2014 Fußballweltmeister der Terrasse immer zusammen eine Currywurst essen, am Kurtwurden, habe ich sie hier in Tegel begrüßt. Die kamen direkt aus Rio de Schumacher-Platz", lacht Michael und geht auf seinen Freund zu. Janeiro – in einer Boeing 747-8 der Lufthansa, eine unglaublich schöne Feuerrot leuchtet nun der Himmel über Tegel – kitschige, winterliche Maschine! Im Mai 2012 war sogar der Airbus A380 bei uns zu Gast. Eine Sonnenuntergangsstimmung. Sollte der Flughafen BER jemals eröffLufthansa-A380 wurde damals auf den Namen der Hauptstadt getauft. nen, müsste TXL nach jetziger Planung des Berliner Senats für immer Hat der Wowereit mit Spreewasser gemacht!" schließen. Ein Horrorszenario für Michael? „1974 wurde Tegel eröffnet, Sportliche Großereignisse, Staatsbesuche, Filmpremieren – in Berlin ist war ursprünglich für 2,5 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt! Von immer was los! Das spürt man auch in Tegel. „Regierungsflugzeuge diesem Flughafen habe ich mich schon so oft verabschiedet. 2007, sind stets was Feines. Die Air Force One durfte ich schon fünfmal 2011, 2012, 2013 ... Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Tegel ist sehen! Auch die Boeing 747 des Sultans von Brunei war dufte! Und die ziemlich zäh und überrascht immer wieder. Vielleicht überlebt TXL am Scheichs aus Dubai oder Katar kommen immer mit tollen Spielzeugen Ende mich und alle aktuellen Berliner Spitzenpolitiker!" GoodTimes

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Foto: © Davide Caenaro, C Giger Verlag

LINDA GRAY

Sie sind 76. Die Straße Ihres Lebens befindet sich noch immer im Bau?

Foto: Bildarchiv Hallhuber

Ich glaube, die Menschen nehmen an, dass ich Sue Ellen bin. Nicht ihr Fehler. Wenn man so viele Jahre in ihr Wohnzimmer kommt, kann man das schon verwechseln. Aber niemand von uns ist so eindimensional. Ich bin ein Mensch. Mit dem Buch wollte ich einen Einblick in dieses Leben geben, das nicht so einfach und geradlinig verlaufen ist. Darum der Titel: „The Road To Happiness Is Always Under Construction."

Immer mal wieder sind kleine Reparaturen fällig! Man schaut sich sein Leben an und sagt, hey, das kann ich doch besser! Auch kleine Dinge summieren sich. Natürlich werden es weniger, je älter man wird.

Der deutsche Titel Sue Ellen und Ich" " Charakter vor Ihr setzt den fiktionalen reales Selbst. Kommt Sue Ellen noch immer zuerst? Seite

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Oh, nein. Zwar liebe ich Sue Ellen. Sie ist wie eine Freundin. Ich danke ihr, denn sie war ein wichtiger Teil meines Lebens, sie hat mein Leben verändert. Dank ihr hatte ich eine schöne Karriere.

Was verloren Sie, als Sie Dallas" freiwillig nach elf Jah" ren aufgaben?

Vieles. Erst anschließend habe ich gemerkt, wie ich es vermisste, einfach jeden Tag zur Arbeit gehen zu können, mit Freunden einen tollen Job zu machen. Das war ein Segen. Nicht viele von uns freuen sich jeden Morgen darauf, mit ihren Freunden zur Arbeit gehen zu können! Aber ich bekam auch etwas: Ich bekam mein Leben zurück. Ich wusste ja gar nicht mehr, wie das war, länger als bis 4.30 Uhr morgens zu schlafen (lacht)!

Foto: Bildarchiv Hallhuber

Wollen Sie mit dem Buch eine falsche Vorstellung korrigieren, die das Publikum von Ihnen hat?

Larry Hagman hat einmal gesagt: Sag nie die Wahrheit, wenn es auch eine " gute Lüge tut!" Damit kann sich seine Sue Ellen jedoch einmal mehr nicht einverstanden zeigen. In ihren Memoiren ist Linda Gray schonungslos ehrlich – nicht zuletzt gegenüber sich selbst. Und auch im Interview mit kult! hält sie mit der Wahrheit nicht hinterm Berg ...

Viele Frauen erzählten Ihnen, Sue Ellen habe sie inspiriert, ihren Ehemann zu verlassen. Denken Sie manchmal, wie viele Leben Sie damit verändert haben?

Heute schon. Aber während man die Rolle spielt, denkt man natürlich nicht an solche Folgen. Wir haben so viele Episoden gedreht, dabei hat man kaum Zeit, sich mal umzuschauen. Ich wollte einfach meinen Job so gut wie möglich machen und dann nach Hause gehen.

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Als Sie Sue Ellen als Alkoholikerin spielten, die den Frust ihrer Ehe mit Drinks ersäuft, dachten Sie dabei an den Alkoholismus Ihrer Mutter? Und sprachen Sie mit den Autoren darüber, wie die Rolle geschrieben werden sollte?

gen. Durch „Dallas" dachte das Publikum im Ausland aber auch, alle Amerikaner wären wie Sue Ellen und J.R: reich und mächtig, in riesigen Häusern lebend, mit Juwelen und Autos. Dass „Dallas" genau in jener spannenden Zeit unserer Gesellschaft auftauchte, ist historisch interessant. „Dallas" bot den Menschen eine wöchentliche Fluchtmöglichkeit aus ihrem Alltag.

Nein, habe ich nie. Denn Sue Ellen und meine Mutter waren total getrennt. Ich wollte nicht, dass das Problem meiner Mutter Teil meiner Arbeit wird. Meine Mutter trank, aber sie war dennoch 62 Jahre glücklich verheiratet. Sie war also nicht wie Sue Ellen. Ich habe das immer auseinandergehalten. Klar, jetzt sagen die Menschen: „Ihre Mutter war Alkoholikerin, da muss es ihr leichtgefallen sein, die trinkende Sue Ellen darzustellen." Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Das wollte ich im Buch klarstellen. Foto: © Ed Thrasher

Historisch gesehen ist es interessant, dass Betty Ford (die Frau des US-Präsidenten Gerald Ford) ihr Alkoholproblem öffentlich machte, während Sue Ellen im Fernsehen für jedermann sichtbar eine Alkoholikerin war.

Hier begann meine Liebesaffäre " mit London." Foto: © Ed Thrasher

Stimmt. Als unsere First Lady offen über dieses Problem sprach, war das ein Novum. Wenn damals jemand zugab: „Ich mache eine Therapie", dann dachten alle: Die ist verrückt, die wird jetzt eingewiesen. Alkoholprobleme waren tabu.

War Dallas" der Blueprint " für Serien wie House Of Cards", in denen "es um Geld und Macht geht?

1968. Nichts als Zähne und " falsche Wimpern. Ed schoss dieses Foto in Encino und nutzte es für meine erste Model-Mappe."

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Heute wollen die Fans ja eigentlich kein Autogramm mehr, sondern ein Selfie.

Dieser große Haufen Post – das ist so rührend, dass diese Menschen sich noch immer ein signiertes Foto wünschen. Aber ja, wenn ich draußen bin und jemand ein Selfie will, klar, mach' ich!

370 Millionen Menschen sahen weltweit die legendäre Folge, in der enthüllt wird, wer auf J.R. geschossen hat. Sind solche Quoten heute überhaupt noch möglich?

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Ich liebe „House Of Cards!" Aber ich will nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir haben in der Fernsehwelt sicherlich den Trend gesetzt, große Familien mit Problemen zu zei-

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Foto: mitGenehmigungLinda Gray

dem Fernseher live dabei sein. Ich weiß noch, viele Bars und Restaurants mussten TV-Geräte aufstellen, weil die Gäste sonst weggeblieben wären. Heutzutage schaut man solche Events ja auf dem Telefon.

Dabei hat es drei Staffeln gedauert, bis Dallas" beim " etabliert war. Stammpublikum

Der Sender hat uns dreimal verschoben. Anfangs waren wir am Samstag gesetzt, das funktionierte nicht. Statt uns rauszuwerfen, hat man experimentiert. Erst auf dem Sendeplatz am Freitag wurden wir zum Hit.

sie ihren Daytime-Job, abends treten sie auf. Und manchmal kommen da ja auch die Castingagenten vorbei.

Können Sie das derzeitige Revival der 80er Jahre nachvollziehen?

Ich liebe die 80er! War das nicht eine verrückte Zeit!? Alles war überlebensgroß! Darum war „Dallas" perfekt für diese Ära. Die Mode und die Frisuren und die Autos! „Dallas" bildete die 80er wunderbar ab, es war für diese Zeit und für diese Gesellschaft die perfekte Show.

In Deutschland wurden Sie von Rita Engelmann synchronisiert. Darum klingen Sie bei uns wie Catherine Deneuve oder Bette Midler.

Hierzulande war der Dienstagabend Dallas-Night". "

Oh, how sweet! Wenn man heute 1981: Achten Sie auf die Körpersprache! nicht gleich gute Ratings kriegt, ist Ich fühlte mich Larry deutlich näher. man weg vom Fenster. Wir hatten viel Das wusste ich nicht, das ist ja Glück, dass die Networks an uns glaubten und eine Heimat für uns toll! Außer meiner französischen Stimme traf ich leider meine fanden. Synchronsprecherinnen selten. Es macht schon Spaß, mich auf Japanisch sprechen zu hören. Foto: mit Genehmigung Linda Gray

Möchten Sie Ihren loyalen Fans in Deutschland, Österreich und der Schweiz noch etwas mitteilen?

Sie schreiben im Buch, die Schauspielerei sei die größte Liebe Ihres Lebens gewesen. Und wenn Sie nicht Schauspielerin hätten werden können?

Ich liebe Design und Architektur. Wäre ich nicht Schauspielerin geworden, hätte ich gern die Welt noch hübscher gemacht. Darum liebe ich Fashion und Musik, einfach alles, was unser Leben bereichert.

Foto: Bildarchiv Hallhuber

Sie berichten im Buch, wie Sie als Mädchen erst die Scheu überwinden mussten, vor Publikum zu sprechen. Heute treten Sie, auch in London, auf der Bühne auf. Haben Sie noch Lampenfieber?

Manchmal schon. Ich muss mich immer wieder daran gewöhnen. Aber Newcomern in unserer Branche kann ich die Bühne nur empfehlen. Vor allem in Amerika. Ohne Agent kriegt man keinen Job. Und man kriegt keinen Agenten, ohne dass man schon aufgetreten ist. Catch 22, wie wir sagen. Darum ermutige ich junge Akteure: Geht ans Theater! Spielt vor Menschen! Tagsüber erledigen Seite

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Dallas" setzte mit Rekordquoten und " den vielleicht größten Schulterpolstern der 80er Jahre Standards. Aus der Rolle der Sue Ellen, als betrogene Ehefrau des Ölmagnaten J.R. ursprünglich nur als Nebenfigur angedacht, machte die 1940 geborene Linda Gray eine Identifikationsfigur des weiblichen Publikums. Obwohl sie noch in anderen Serien spielte und auch erfolgreich auf der Bühne stand, blieb die trunkene Lady der Southfork Ranch ihre prägendste Rolle. In Deutschland trat sie zusammen mit Larry Hagman in einer Gastrolle bei Ein " Schloss am Wörthersee" auf. 1982 wurde sie mit dem Bambi ausgezeichnet. In ihrer Biografie beschreibt sie ihre schmerzhafte Scheidung nach über 20 Jahren unglücklicher Ehe, und wie ihre Freunde, die Hagmans, ihr über die Trennung hinweghalfen. Mit viel Sinn für Selbstironie erinnert sie sich an die Bühnenrollen, als sie in London und dann am Broadway in The Graduate" auftrat " und dafür die Hüllen fallen ließ. Ironischerweise war ein Auftritt in der Filmfassung der Reifeprüfung" einer ihrer ersten Modeljobs: " Auf dem Filmplakat doubelte" sie die Beine von Hauptdarstellerin " Anne Bancroft, was ihr 25 Dollar einbrachte.

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Foto: Bildarchiv Hallhuber

Der Ewing-Clan: Dallas" war die " Vorlage für TV-Serien über mächtige und verdorbene Sippschaften.

© Pressefoto

Ich möchte euch danken. Von ganzem Herzen. Dafür, so tolle Fans zu sein. Ohne euch wäre „Dallas” nicht dieses riesige 1986 führte ich das erste Mal Regie bei Phänomen geworden. " einer Dallas'-Episode." ' Ich meine das ganz ehrlich: ohne Publikum keine Show! Zu Deutschland habe ich eine besondere Beziehung, ich war mehrmals da, erhielt den Bambi. Heute freue ich mich einfach, den Fans danken zu können! Roland Schäfli


07.05. D端sseldorf 08.05. Luxemburg (LU) 10.05. Saarbr端cken 11.05. Z端rich (CH) 12.05. Singen 14.05. Kempten

15.05. Regensburg 18.05. Rostock 19.05. Zwickau 25.05. Lingen 28.05. Kassel 29.05. Hannover

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Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer

Eine Hymne in Prosa auf die Kindheit Mit Tom Sawyers Abenteuer" und Huckleberry Finn" " " schuf der amerikanische Schriftsteller Mark Twain vor fast 150 Jahren Romane, die zu unvergänglichen, in aller Welt gelesenen Klassikern wurden. Unzählige Adaptionen für Film, Fernsehen, Hörspiel, Bühne oder Comic prägen heute ihr Bild mit. Leider verfälschen sie es nicht selten auch. Von Michael Klein

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er Samstagmorgen war in strahlender Frische und brausender Lebenslust angebrochen. In allen Herzen klang und „ sang es, und wessen Herz jung war, der begann fröhlich zu singen. Freude spiegelte sich in allen Augen, und jeder Schritt war beflügelt. Da erschien Tom auf der Bildfläche mit einem Eimer voll Farbe und einem langstieligen Pinsel. Prüfend flog sein Blick über den Zaun, und der Glanz der herrlichen Natur erlosch für ihn; dafür senkte sich tiefe Trauer in sein Gemüt. Gut hundert Fuß lang war der Bretterzaun und gut neun Fuß hoch. Das Leben erschien ihm öde und leer und das Dasein als eine Last." Jeder kennt sie, die großartigen Handlungen und Erzählmotive der beiden Romane. Selbst wer sie nicht gelesen hat – und es wäre schade, es nicht getan zu haben –, erinnert sich an sie aus einer der zahllosen Bearbeitungen: das ausgelassene Piratendasein der jugendlichen Helden Tom Sawyer und Huck Finn auf der Jackson-Insel; das freudige Erscheinen der Jungs beim Trauergottesdienst zum vermeintlich vorausgegangenen eigenen Hinscheiden; Toms findige Mark Twain Zaunstreichlist; der verkniffen-gestrenge Dorfschullehrer Mr. Dobbins mit seiner Stockhiebpädagogik; die erste Kinderliebe (die sich, darüber kommt es zum kurzzeitigen Zerwürfnis, bereits als zweite erweist); das zunächst lustvolle, später gefährliche Verirren bei Toms Wanderung mit seiner Liebsten durch die labyrinthischen Gänge einer Höhle; das „Sivilisiertwerden" des sich selbst überlassenen Streuners und Trinkersohns Huck bei der Witwe Douglas Gelungene Übersetzung: Tom Sawyers " sowie seine Freiheitsfahrt Abenteuer" und Huckleberry Finn" "

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mit dem Schwarzen Jim den Mississippi hinab. Obwohl vor weit mehr als anderthalb Jahrhunderten in einer halb-verschlafenen Gegend am Mississippi angesiedelt, ist es doch zugleich zeitlos. Jenseits des Konkreten erkennt man seine eigene Kindheit wieder, ihre Freuden und Schrecken, Unbeschwertheiten und Plagen, die außerordentliche Elastizität des jugendlichen Herzens, die Stärke der ersten Eindrücke, die Perspektive des beginnenden Lebens, das noch völlig offensteht und dessen Träume der Unerfahrenheit alle erfüllbar erscheinen. Beide Romane verbinden einen episodischen Charakter mit einem durchgängigen Handlungsbogen. In „Tom Sawyers Abenteuer" ist es der nächtliche Mord an Dr. Robinson, für den fälschlich der romantisch-versoffene Sargtischler Muff Potter verantwortlich gemacht und vor Gericht gestellt wird, während Tom Sawyer – der ein heimlicher Beobachter der Tat war – es besser weiß und deshalb in der moralischen Zwickmühle steckt, die Wahrheit auszusagen und die Rache des hochfinsteren Schurken Indianer-Joe heraufzubeschwören oder zu schweigen und einen Unschuldigen an den Galgen zu liefern. Das Handlungszentrum von „Huckleberry Finn" ist die Flucht des Schwarzen Jim aus der Sklaverei in die Freiheit und Hucks Konflikt, entweder mit ihm zu ziehen und damit die himmlische Verdammnis auf sich zu laden oder Jim zu verraten und sich auf diese Weise als vorbildlicher, gesetzestreuer Bürger zu erweisen (wir werden darauf Die Erstausgabe von Tom Sawyer" (1876) zurückkommen). Beide Romane sind " voller prächtiger, unvergesslicher Figuren, neben den Genannten vor allem noch Toms Tante Polly und der verquer-durchtriebene Landstreicher Finn, Hucks Vater.

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te sich ihr düsteres Ende besonders tief ein: Als er mit seinen Das Allermeiste aus den beiden Romanen hat Freunden, wie er es oft tat, an diesem Ufer herumstreunte und konkrete, freilich lediglich ähnliche Vorbilder in ein Schlammloch trat, erhob sich (möglicherweise durch die in Mark Twains eigener Kindheit und Jugend Wasserverdrängung) darin etwas Seltsames. Die Jungs sahen in einem kleinen Mississippi-Städtchen namens genauer hin: Es war die Leiche des entlaufenen Sklaven. Wie es Hannibal, Missouri. Tom ist nach Mark Twain zu seinem Ende gekommen war, wurde nicht geklärt. Nein, zahlselbst modelliert, der gerne über die Stränge reiche Hintergründe der Romane sind kein Spaß. schlug und es mit den pädagogisch verordneten Tugendpflichten des Lebens alles andere Diese waren auch niemals als Belustigung für Kinder gedacht, als genau nahm. So trieb er sich gerne auf, im im Gegenteil: Mark Twain verfasste sie ausdrücklich als Bücher und rund um den Mississippi herum, und gar für Erwachsene, die im Herzen junge Leute geblieben sind. Es manches Mal musste man ihn halb ertrunken war sein Freund und Lektor William Dean Howells, der ihm aus dem Wasser fischen. „Neunmal zog man riet, die Romane als Bücher für Jugendliche zu bewerben – die mich so gut wie tot ans Ufer", erinnerte er sich später, „so dass man annahm, ich sei eine Ein Fernsehklassiker: "Tom Erwachsenen läsen sie ja ohnehin. „Lausbubengeschichten" war Katze in Verkleidung." Seine Mutter, von der er Sawyers und Huckleberry Finns lange Zeit das Siegel, das man „Tom Sawyers Abenteuer" und einen Gutteil seines trockenen Humors erbte, Abenteuer" (1968) auf DVD „Huckleberry Finn" mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit aufdrückte. „Lausbubengeschichten", das klingt heiter, aber zugleich machte sich allerdings niemals Sorgen um ihn, aus einem ebenso einharmlos und unbedeutend. fachen wie einleuchtenden Grund, den sie jedermann hören ließ: „Wer geboren ist, um am Galgen zu Leider tappen die allerenden, ertrinkt nicht." Huck meisten Verfilmungen Finns reales Vorbild bestand in die Falle dieses in einem abgerissenen Jungen falschen Etiketts, aus der Nachbarschaft, der gehen damit an den Tom Blankenship hieß. Die Feinheiten und erns­ Romanhandlungen erweiteren Hintergründen sen sich dabei als veredelnde des Stoffs vorbei Variationen der tatsächlichen und dichten dreist Ereignisse. Die Wahrheit war Klamaukszenen hinzu, gleichermaßen banaler wie die mit der Vorlage grausamer. Der arme Strolch, nichts zu tun haben der das Vorbild für den inhafund deren Niveau tierten Muff Potter abgab, Mark Twain lediglich kam beispielsweise nicht frei. zu Spott veranlasst Der ganz junge Mark Twain hätte. Wenn Toms kariwurde von ihm gebeten, ihm katurhaft gespieltem Streichhölzer zu besorgen, Streberbruder Sid eine damit er rauchen könne, und Torte ins Gesicht fliegt er tat es. Es war eine ganz Die Ankündigung des ersten Teils von Tom Sawyers und " oder Tom und Huck neue Sorte Streichhölzer, und Huckleberry Finns Abenteuer" in der Hörzu 48/1968 Muff Potter mit einer sie brannten wie Zunder. Eines Skelettattrappe erschrecken wollen, graust es dem Twain-Kenner. Nachts ging das kleine Holzgebäude, das als Gefängnis diente, in Etliche Verfilmungen bemühen sich um Putzigkeit und sind im Herzen Flammen auf, und der Gefangene verbrannte. Mark Twain hat zeitoft abgrundtief bieder. Das sind Mark Twains Romane aber eben lebens geglaubt, dass es seine Streichhölzer waren, die den armen gerade nicht. Kerl das Leben kosteten. Auch Jims Flucht ging auf ein reales Vorbild zurück, doch dieses führte lediglich bis zum Illinois-Ufer auf der Gelungene Verfilmungen sind rar gesät, und die Zierde, die beste Hannibal gegenüberliegenden Seite des Mississippi. Mark Twain prägzu sein, trägt ausgerechnet eine, die unter deutscher Federführung entstand. Vielleicht ist es nicht einmal ein Zufall, dass sie aus dem Jahr 1968 stammt. Die Liste der Verdienste der vierteiligen Verfilmung, die der Film- und Fernsehproduzent Walter Ulbrich mit großer Mark-Twain-Kenntnis schrieb und der Regisseur Wolfgang Liebeneiner inszenierte, ist lang. Obwohl bei den Dreharbeiten in Rumänien der Mississippi von der Donau gedoubelt wurde (aber sie macht das hervorragend) und das St. Petersburg der Romane hier und da deutlich gemalte Studiokulissen offenbart (allerdings nicht bei der Erstausstrahlung 1968, denn die Bildauflösung damals war bedeutend geringer und ließ derlei Malerhandwerk noch in Unschärfe), ist keine andere Verfilmung derart werkgetreu. Ulbrichs Werk hält sich exzellent an den Geist der Vorlagen und findet sowohl das richtige Maß zwischen Anspruch und niveauvoller Unterhaltung als auch zwischen der Perspektive Jugendlicher und der nos­ talgisch gefärbten der Erwachsenen. Ulbrich folgte klugerweise dem Prinzip, die literaGoodTimes

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te sich Ende der 70er Jahre auch eine Fernsehserie fürs Kinder prog ramm, die geläutert, aber angenehm unterhaltsam wieder auf die Lausbuben­ geschichten setzte und mit Brigitte Horney als Tante Polly aufwartete.

risch-humoristische Sprache Twains in Off-Kommentaren zu einem wichtigen Element der Verfilmung zu machen – was furios gelingt, zum einen, weil die Textauswahl glänzend ist, zum anderen, weil Ernst Fritz Fürbringer als Sprecher ihnen den genau richtigen Tonfall gibt.

Und nirgends verrät Ulbrich die ernsteren Seiten des Stoffs an irgendwelche Späße. Mark Twain ist späDie ironisch-vergnüglichen Marc di Napoli lebt heute als Kunstmaler ter in seinem Leben Darstellungen der ausgehenden in der Bretagne immer wieder zu Pioniermentalität, die Seitenhiebe seinen berühmtesten Helden zurückgekehrt. Die Kurzromane auf Gehorsamkeitserziehung, „Tom Sawyers Ballonfahrt" und „Detektiv Tom Sawyer" Bigotterie der Zeit, ihre schrieb er dann allerdings ausdrücklich für Kinder. Sie entWidersprüche und die Heuchelei Roland Demongeot (Tom) standen als Folge eines lukrativen Angebots einer damals in der Gesellschaft gelingen ebenso und Marc di Napoli (Huck) den USA ausgesprochen populären Kinderzeitschrift. Zwar erschiewie das Porträt des Dorfparias Huck und das Motiv der Sehnsucht der nen sie auch in Buchform, beweisen jedoch, dass Stoff und Figuren Schwarzen nach Freiheit. Es gehört zu den weisen Entscheidungen als Kinderbuch nicht funktionieren. Twain hatte sich bemüht, Ulbrichs, nicht der ganzen Handlung des zweiten Romans, also Kinder-und-Jugendlichen-gerecht zu schreiben, die Ergebnisse „Huckleberry Finn", zu folgen, sondern seinen insgesamt sechsstünwaren verglichen mit den Romanen allerdings ein schwacher digen Vierteiler mit dessen besten Motiven zu beenden: mit Hucks Einsamkeit und wenigen glücklichen Momenten mit seinem Vater, dem vagabundierenden Trunkenbold, sowie mit Hucks Entscheidung, sein christliches Seelenheil zu verspielen, indem er seinen schwarzen Freund Jim bei seiner Flucht unterstützt. Denn Recht, Gesetz und Kirche waren sich in den amerikanischen Südstaaten zu der Zeit, in der der Roman spielt, völlig einig, dass es ein schweres Verbrechen und gegen den Willen Gottes sei, einen entlaufenen Sklaven nicht sofort zu verraten oder festzunehmen. Der Film endet mit Naiv, aber zeitweilig charmant: Tom Sawyer" (1973) mit Johnny Whitaker als Tom, den sich verpassenden weiteren " Jodie Foster als Becky sowie diversen Gesangseinlagen Lebenswegen Toms und Hucks Abklatsch. Insbesondere von „Tom Sawyers Ballonfahrt" hielt Mark und mit einem Sehnsuchtslied der Schwarzen. Wer immer sich mit Twain selber nichts. Immer wieder hat er daran gedacht, seinen den Romanen, Mark Twain und seiner Zeit auseinandersetzt, muss beiden Hauptromanen noch einen dritten hinzuzufügen, doch es die Klugheit dieses von Ulbrich gewählten Schlusses bewundern. Lina blieb bei inhaltlichen Planungen und verschiedenen Fragmenten Carstens gab eine fabelhafte Tante Polly, und Marc di Napoli verkörmit unterschiedlichen Ansätzen. „Tom und Huck unter Indianern" perte Huck Finn und ließ die Mädchenherzen höher schlagen. hieß beispielsweise eines dieser Fragmente, die man in seinem Nachlass fand, „Die Tom-SawyerVerschwörung" ein anderes. Zu allen Zeiten wurden die Romane übrigens auch angefeindet. Manche Zeitgenossen entsetzten sich über die Verherrlichung von Freuden wie Schuleschwänzen, Stören des Gottesdienstes oder über die massenhaft vorkommende Umgangssprache, die niedrig, jugendverderblich und unliterarisch sei. Spätere Zeiten lobten gerade das, nun erzürnten sich Sittenrichter allerdings über den (historisch stimmigen) Gebrauch des Wortes Nigger. Mark Twains Romane sind über derlei Anfeindungen freilich erhaben. Es geht in ihnen um Freiheit, um den Vorrang der Freude am Leben Fernsehserie mit Brigitte Späte Fortsetzung: Tom Sawyer Jackson-Insel-Dasein: " Horney als Tante Polly als Detektiv" (Boje 1970) Illustration von Walter Trier vor der Pflicht und den eisernen Tugenden, um Selbstbestimmung und die Lust, Träume auszuleben. Das sind unverZu den zwar naiven, aber zeitweilig hübsch-charmanten Adaptionen gängliche Themen und Motive, und deshalb werden „Tom Sawyers zählt „Tom Sawyer" von 1973 mit dem „Lieber Onkel Bill"-Darsteller Abenteuer" und „Huckleberry Finn" zeitlose und allgemeingültige Johnny Whitaker als Tom, der ganz jungen Jodie Foster als Toms Liebe Meisterwerke bleiben. Becky und mit diversen Gesangseinlagen. Und einiger Beliebtheit erfreuSeite

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kult! -Preisrätsel

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Lösungswort kult! Nr. 16: Der Kommissar

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Das Jahr 1977

Deutscher Terror-Herbst, der Tod des King Of Rock'n'Roll & sich bekriegende Sterne Nachdem sich Ulrike Meinhof von der Roten Armee Fraktion im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart-Stammheim im Jahr zuvor erhängt hat, nimmt die zweite Generation der Terrorgruppe RAF diesen Suizid zum Anlass, um 1977 mit heftigen Aktionen gegen die Bundesrepublik vorzugehen. Der so genannte Deutsche Herbst beginnt, das Land wird in Terror und Gewalt versinken. Deutschland ist schockiert und trauert kollektiv. Währenddessen trauert auch die Popwelt, denn der ungekrönte "King Of Rock'n'Roll", Elvis Presley, stirbt am 16. August im Alter von gerade mal 42 Jahren, vermutlich an der Einnahme einer zu hohen Medikamentendosis. Die genaue Ursache seines Ablebens ist bis heute ungeklärt. Während sich der eine von der Menschheit wenigs­ tens körperlich verabschiedet, wird ein neuer Kult auf sämtlichen Leinwänden dieses Planeten geboren. Denn am 25. Mai feiert die erste Episode der Star Wars"-Saga " von George Lucas in den Vereinigten Staaten ihre Premiere, um in den folgenden Monaten die Kinos weltweit zu erobern. Sie wird im Folgejahr bei der OscarVerleihung sechsmal mit der begehrten Filmtrophäe ausgezeichnet und gilt als Startschuss für die vielleicht erfolgreichste Kinoserie aller Zeiten. Die fiktionale Zukunft nimmt, zumindest im Lichtspielhaus, ihren Lauf.

1977 Pünktlich zum Jahresbeginn wird in Prag die Bürgerrechtsgruppe Zeitgeschehen

Charta 77 (u.a. mit Václav Havel) gegründet. *** Am 4.1. verüben Mitglieder der Revolutionären Zellen in Gießen einen Sprengstoffanschlag auf ein militärisches Tanklager und ein US-amerikanisches Atomwaffenlager. *** Im Atomkraftwerk Gundremmingen herrscht am 13.1. kurzfristig Krisenstimmung, nachdem es wetterbedingt zu einem Kurzschluss gekommen ist. *** Am 20.1. erfolgt die Amtseinführung von Jimmy Carter als neuem US-Präsidenten. Sein Vorgänger Gerald Ford zieht sich weitestgehend ins Privatleben zurück. *** In Madrid kommt es am 24.1. zu einer Katastrophe: Beim Blutbad von Atocha dringen Mitglieder der Alianza Apostólica Anticomunista in ein gewerkschaftsnahes Anwaltsbüro ein. Fünf Menschen sterben, vier weitere werden angeJimmy Carter schossen. *** Brigitte Mohnhaupt wird am 8.2. aus der Haft entlassen, taucht daraufhin unter und beginnt mit der Neuorganisation der RAF. *** Bei der indischen Parlamentswahl (16.3.–20.3.) erleidet die Kongress-Partei von Indira Gandhi eine Niederlage. Neuer Premierminister wird Morarji Desai von der JanataPartei. Gleichzeitig endet damit der Ausnahmezustand in Indien. *** Generalbundesanwalt Siegfried Buback wird am 7.4. in Karlsruhe von RAF-Terroristen („Kommando Ulrike Meinhof") ermordet. *** Auch in der Türkei geht es blutig her: Bei der größten 1.-Mai-Demo der türSeite

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Von Matthias Bergert und Michael Fuchs-Gamböck

kischen Geschichte werden in Istanbul 34 Menschen von einer KonterGuerilla getötet (Taksim-Massaker). *** In den Niederlanden wird am 23.5. ein Zug von südmolukkischen Jugendlichen entführt. Erst 19 Tage später wird das Geiseldrama beendet – acht Menschen sterben, darunter sechs Geiselnehmer. *** Am 1.6. tritt der Vertrag über die Gründung des Europäischen Rechnungshofes in Kraft. *** Die britische Königin Elizabeth II. feiert am 7.6. ihr 25-jähriges Thronjubiläum. Eine Siegfried Buback Million Menschen nimmt am Umzug teil, mehr als 500 Millionen Menschen verfolgen dieses Ereignis vor dem heimischen Fernseher. *** Zum ersten Mal seit 41 Jahren finden in Spanien wieder freie Wahlen statt. Ministerpräsident Adolfo Suárez wird dabei im Amt bestätigt. *** Menachem Begin wird am 20.6. israelischer Ministerpräsident. *** In Pakistan endet am 5.7. der bürgerkriegsähnliche Zustand: Die Regierung von Premierminister Zulfikar Ali Bhutto wird gestürzt, General Mohammed Zia ul-Haq übernimmt die Macht. *** Aufgrund von Blitzeinschlägen kommt es am 13.7. zu einem massiven Stromausfall in New York, mit verheerenden Folgen. In den Armenvierteln werden 1600 Geschäfte geplündert und mehr als 1000 Brände gelegt. Auch das Westchester County nördlich von New York ist von dem Blackout betroffen. *** Am 30.7. setzt sich der RAFTerror fort. Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, wird in seinem Haus in Oberursel erschossen. *** Die DDR zeigt am 23.8., dass mit Dissidenten nicht zimperlich umgegangen wird: Rudolf Bahro wird festgenommen, nachdem der „Spiegel" einen Auszug aus

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dessen regimekritischen Buch „Die Alternative" gedruckt hat. *** Im September beginnt der Höhepunkt des Terrorismus in Deutschland, der so genannte Deutsche Herbst (5.9.–19.10.). Als erstes wird der Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von einem RAF-Kommando entführt. *** Am 10.9. wird letztmals ein Mensch mit der Guillotine hingerichtet: der tunesische Delinquent Hamida Djandoubi. *** Einen Tag später stirbt der südafrikanische Bürgerrechtler Steve Biko im Gefängniskrankenhaus von Pretoria, nachdem er von der Polizei gefoltert worden war. Peter Gabriel zollt ihm drei Jahre später mit dem Song "Biko" Tribut. Bikos Tod gilt heute als Symbol der Widerstandsbewegung gegen das Apartheidsregime. *** Vom 13. bis 19.10. steuert der Deutsche Herbst seinem dramatischen Ende entgegen. Zunächst wird das Flugzeug „Landshut" nach Mogadischu entführt und durch eine GSG9-Staffel befreit (13.–17.10.). Am 18.10. begehen die inhaftierten RAF-Anführer Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin Selbstmord („Todesnacht von Stammheim"). Am 19.10. wird schließlich der entführte Hanns Martin Schleyer in Mülhausen/Elsass tot aufgefunden. *** Am 26.10. wird die letzte Dampflokomotive von der Deutschen Bundesbahn ausgemustert. Von 1977 bis 1985 gibt es in der BRD sogar ein explizites Dampflokverbot. *** Während des SPD-Parteitags spielen sich am 16.11. in Hamburg dramatische Szenen ab: Der Tübinger Lehrer Hartmut Gründler zündet sich aus Protest gegen die damalige Atompolitik selbst an und stirbt fünf Tage später. *** Ludwig Poullain, Vorstandsvorsitzender der Westdeutschen Landesbank Girozentrale, muss am 23.12. zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass er einen Beratervertrag hat.

Sport

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Die traditionell am Dreikönigstag stattfindende deutsch-österreichische Vier-Schanzen-Tournee in Bischofshofen gewinnt ausgerechnet ein „Klassenfeind des Kapitalismus": der DDR-Skisportler Jochen Danneberg. *** Einen Tag später, am 7.1., gehen die Ski-Podiumsplätze wieder zurück an die westliche – und weibliche – Skidelegation. Bei der Weltcup-Abfahrt im bayerischen Pfronten gewinnt die Österreicherin Annemarie Moser, Platz zwei für die Schweizerin MarieTheres Nadig und den dritten Platz belegt die Bundesdeutsche Irene Epple. *** Bei den deutschen Hallenmeisterschaften der Leichtathletik in Dortmund stellt das einstige „SprinterWunderkind" Annegret Richter am 26.2. mit 23,22 Sekunden einen neuen Hallen-Weltrekord über die 200-Meter-Distanz bei den Frauen Annegret Richter auf. *** Box-Weltmeister Eckhard Dagge verteidigt am 18.3. seinen Titel im Superweltergewicht erfolgreich gegen seinen englischen Herausforderer Maurice Hope. Ort des Spektakels: West-Berlin. Am 6.8. verliert er seinen Titel am selben Ort an den Italiener Rocky Mattioli. *** Als beim Bundesligaspiel Hamburger SV gegen Bayern München am 1.4. eine Gruppe von etwa 100 Zuschauern die Stehtraversen der Westkurve im Volksparkstadion hinabstürzt, kommt ein 15-jähriger Fußballfan ums Leben. *** Am 19.4. lässt sich der deutsche FußballRekordnationalspieler Franz Beckenbauer von der Teilnahme an den nächsten Länderspielen freistellen. Das war die Bedingung für den 31-jährigen, um seinen lukrativen Wechsel zum US-Verein Cosmos New York zu bewerkstelligen. *** In einer Anti-Doping-Charta vom 1.5. lehnt der Deutsche Sportbund im Verbund mit Franz Beckenbauer dem „Nationalen Olympischen Komitee" jegliches Doping kategorisch ab. *** Der international höchst erfolgreiche Springreiter Alwin Schockemöhle erklärt am 6.5. öffentlich seinen Rücktritt vom aktiven Sport. *** Der Hamburger SV gewinnt am 11.5. durch einen 2:0-Sieg in der niederländischen Hauptstadt Amsterdam den Fußball-Europapokal der Pokalsieger. *** Im Capital Centre in Landover bei Washington gewinnt Muhammad Ali am 16.5. seinen Boxkampf gegen Herausforderer Alfredo Evangelista aus Uruguay nach Punkten. Er bleibt dadurch Weltmeister im Schwergewicht. Am GoodTimes

29.9. verteidigt Ali, ebenfalls nach einem Punktsieg, seinen Titel im New Yorker Madison Square Garden gegen den amerikanischen Landsmann Earnie Shavers. *** Am 3.6. unterschreibt der damals 26-jährige britische Fußballprofi Kevin Keegan, der bislang beim FC Liverpool gekickt hat, beim Hamburger SV einen Vertrag. Der Mann mit dem unorthodoxen Wuschelkopf wird rasch zum hanseatischen Publikumsliebling. *** Nationalstürmer Dieter Müller stellt am 17.8. einen neuen Bundesligarekord auf: Für seinen Verein 1. FC Köln erzielt er beim Match gegen Werder Bremen satte sechs Tore. Das Endergebnis lautet 7:2. Der bisherige Rekordhalter stammt ebenfalls aus den Reihen des 1. FC – Karlheinz Thiele hatte am 7.12.1963 gegen den 1. FC Kaiserslautern sämtliche Tore für seinen Klub zum 5:1 geballert. *** In Fuji kommt am 23.10. der Rennwagen des kanadischen Fahrers Gilles Villeneuve beim Großen Preis " von Japan" von der Strecke ab, überschlägt sich und rast in eine Zuschauermenge. Dabei kommen zwei Menschen – ein Fotograf und ein Sportwart – ums Leben. Der Pilot bleibt nahezu unverletzt. *** Zwischen den Bundesliga-Fußballvereinen Bayern München und Eintracht Frankfurt findet am 1.12. ein spektakulärer Trainertausch statt. Dettmar Cramer wechselt von Bayern nach Hessen, Gyula Lóránt schlägt die umgekehrte Richtung ein. Allerdings wird keines der beiden Teams mit dem Tausch glücklich: Der FC Bayern wird am Saisonende gerade mal Tabellenzwölfter, die Frankfurter Eintracht landet lediglich auf Position 13.

Funk & Fernsehen

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In der ersten Comedy-Show für Kinder namens Babbelgamm" " präsentiert Moderator Peter Rapp im ZDF ab dem 1.1. allerlei Lachund Lügengeschichten, zusammen mit großen und kleinen Gästen. Mit dabei sind Fred Sonnenschein alias Frank Zander mit seinen singenden Hamstern oder Tommy Ohrner alias Kalle mit dem Gipsbein. In jeder Sendung tritt zudem ein Schlagersänger auf und trällert ein Lied, darunter Michael Schanze, Cornelia Froboess oder Roland Kaiser. *** In der ARD startet am 22.1. – für insgesamt 60 Folgen und neun Jahre lang – mit Moderator Joachim Fuchsberger das Ratespiel Auf Los geht’s los". Eine so witzige wie skurrile Veranstaltung: " Vier Kandidaten sitzen hinter Pulten vor dem Bühnenvorhang, über dem auf einem Leuchtband die entsprechende Anzahl von Strichen erscheint, die der Buchstabenzahl des gesuchten Begriffs entspricht. Jener gesuchte Begriff wird mittels einer doppeldeutigen und humorvollen Bezeichnung umschrieben. Eine originelle, schräge Samstagabend-Show! *** Am 20.4. startet Moderator Albert Krogmann, und das letztlich über mehr als 100 Folgen, sein ARD-Promi-Magazin Bitte umblättern" – der charmante Vorgänger von heutigen " Trash-Formaten wie „Exklusiv!". In jeder Sendung werden Interviews mit Stars gezeigt oder diese feinfühlig porträtiert. Krogmann bleibt bei seinen Begegnungen stets höflich und zurückhaltend. *** Die " Bonner Runde" nennt sich ab 26.5. die politische Diskussionsrunde mit dem eher konservativ angehauchten Intellektuellenmoderator Johannes Gross, der regelmäßig am Donnerstagabend nach 22 Uhr unterschiedliche Politiker der (damals vier) im Bundestag vertretenen Parteien zu aktuellen Themen befragt. Die Reihe ist Nachfolger der 1963 ins Leben gerufenen Sendung „Journalisten fragen – Politiker antworten". *** Ab dem 18.6. drückt das ZDF mit dem Automagazin Telemotor" – und das bis ins Jahr 1994 – aufs Gas. In dieser Reihe, " zunächst samstags um 19.30 Uhr, dann donnerstags ab 21 Uhr und schließlich am Samstagnachmittag ausgestrahlt, gibt es Tests und Berichte rund ums Thema „Verkehr". Aus der Kulisse einer Kfz-Werkstatt moderieren Sportcracks wie Rainer Günzler, Hanns-Joachim Friedrichs, Harry Valérien oder Karl Senne. *** Nicht nur kleine Zuschauer sitzen während der 28 vom ZDF ab dem 3.7. ausgestrahlten Episoden der italienischen Zeichentrickserie Grisu, der kleine Drache" vor " 1/2018

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der Glotze. Denn die Mini-Echse, die sich zum Entsetzen ihres Feuer speienden Vaters in den Kopf gesetzt hat, Brände zu löschen, anstatt sie zu verursachen, ist einfach nur liebenswert und schräg. *** Am 31.7. wird der erste von zwei Teilen der von Rainer Werner Fassbinder in Szene gesetzten ZDF-Produktion Bolwieser" gezeigt. Das Drehbuch " des bayerischen Regisseurs basiert auf der Vorlage von Autor Oskar Maria Graf. Die Besetzung ist erstklassig, u.a. dabei sind Kurt Raab, Elisabeth Trissenaar, Gustl Bayrhammer oder Udo Kier. „Bolwieser" ist ein Drama über Kleinbürgerlichkeit und Eifersucht. Der Film spaltet die TV-Nation. *** Die 52-teilige, in Japan gezeichnete Trickserie Pinocchio", die ab dem 8.9. im ZDF startet, ist sehr " frei nach Motiven des gleichnamigen Kinderbuch-Klassikers von Carlo Collodi gestaltet. Dennoch wird die Reihe um den alten Holzschnitzer Gepetto, der eine sprechende Puppe formt, die ihr Eigenleben entwickelt, ein Riesenerfolg – bei Groß wie Klein. *** Und noch eine ebenfalls 52-teilige Zeichentrickserie, basierend auf einem Kinderbuchklassiker, begeistert beim ZDF junge wie alte TV-Konsumenten: Heidi", in " Japan gezeichnet, frei nach Motiven von Johanna Spyris gleichnamigem Buch. Eines der ersten Animes im deutschen Fernsehen. *** Auf insgesamt zehn Staffeln bzw. 130 Episoden bringt es das am 1. Oktober erstmals in der ARD ausgestrahlte Format „Polizeiinspektion 1". Vordergründig handelt es sich bei der vom Bayerischen Rundfunk in Auftrag gegebenen Serie um eine Kriminalreihe. Letztlich handelt es sich um ein Sittenbild der Münchner Gesellschaft der späten 1970er Jahre – schlitzohrig, menschlich, angenehm entspannt. Dazu die Crème de la Crème der damaligen süddeutschen Schauspielergarde, etwa Walter Sedlmayr, Elmar Wepper, Uschi Glas oder Max Grießer. *** Es dauert bis zum 3.12., ehe Kermit der Frosch, Miss Piggy, Fozzie Bär und all die anderen kauzigen Gestalten der in den USA produzierten Muppet Show" Einlass ins ZDF und damit ins deutsche Fernsehen " finden. Danach gibt es kein Zurück mehr: Die von Jim Henson kreierten anarchischen Puppen brennen sich in fünf Staffeln und 120 Episoden für immer ins Gedächtnis des Publikums ein. *** „Plopp" macht es erstmals am 10.12. im ZDF, als 1, 2 oder 3" – eine Spielshow vorrangig für " Kinder, aber letztlich für die ganze Familie – über die Bühne geht. Denn die von Super-Sympath Michael Schanze moderierte Reihe vermittelt Wissen an Kinder und fordert gleichzeitig deren Wissen heraus. Und zu gewinnen gibt es für die Jugendlichen im Kollektiv auch noch was! Kein Wunder, dass diese Staffel – mit wechselnden Moderatoren – bis heute existiert und beliebt ist.

Film

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Die westdeutschen Filmproduktionen von 1977 können sich durchaus mit der internationalen Konkurrenz messen. „Der amerikanische Freund" von Wim Wenders räumt im Folgejahr gleich mehrere Preise ab. Theodor Kotullas Drama Aus einem deutschen Leben" basiert " dagegen auf der Biografie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, wobei Götz George in der Hauptrolle brilliert. Mit Preisen regelrecht überschüttet wird Der Mädchenkrieg" (Regie: Alf Brustellin und " Bernhard Sinkel), der im Prag der 1930er Jahre spielt. Den Deutschen Filmpreis als „Bester Spielfilm" erhält dagegen Heinrich", in dem " die Regisseurin Helma SandersBrahms das Leben des Dramatikers und Dichters Heinrich Kleist beleuchtet. Beeindruckend ist auch Werner Herzogs halbdokumentarischer Film Heinrich" Stroszek": Dieser handelt von einem " " Strafentlassenen, der in den USA das große Glück sucht, dabei aber scheitert. *** Unter den 14 Defa-Produktionen aus Ostdeutschland sind wieder einige Kinderfilme („Der kleine Zauberer und die große Fünf", „Ottokar der Weltverbesserer", „Tambari"), aber auch Gegenwartsfilme („Die unverbesserliche Barbara", „Die Flucht") und Komödien („Ein irrer Duft von frischem Heu"). *** Wirft man einen Seite

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Blick auf die internationalen Filme des Jahres 1977, so gibt es hier einige Highlights, die noch heute populär sind. Dazu zählen z.B. George Lucas’ Science-Fiction-Film Krieg der Sterne", Woody Allens Komödie " Der Stadtneurotiker" und Lewis Gilberts James-Bond-Streifen Der " " Spion, der mich liebte" (Hauptrollen: Roger Moore und Barbara Bach). *** Am 28.3. werden in Los Angeles zum 49. Mal die Oscars verliehen. Echte Überfliegerfilme sind in diesem Jahr eher rar – die meisten Auszeichnungen erhalten Sidney Lumets Satire Network" und Alan J. " Pakulas Polit-Thriller Die Unbestechlichen" " (je vier Preise) sowie der erste Teil von Rocky" " (drei Preise). Spätere Klassiker wie Martin Scorseses Drama Taxi Driver", Brian De " Palmas Horrorstreifen Carrie – Des Satans " jüngste Tochter" und John Guillermins Remake von King Kong" " gehen dagegen leer aus. In den wichtigsten Kategorien werden „Network" (Beste Hauptdarsteller: Peter Finch und Faye Dunaway) und „Rocky" (Bester Film; Beste Regie: John G. Avildsen) ausgezeichnet. *** Bei den 30. Internationalen Filmfestspielen von Cannes (13.–27.5.) erhält „Mein Vater, mein Herr" (Regie: Paolo und Vittorio Taviani) die „Goldene Palme". Als beste Schauspieler werden Fernando Rey („Elisa, mein Leben") sowie Shelley Duvall („3 Frauen") und Monique Martin („J.A. Martin photographe") prämiert. Gleich zwei Preise staubt die seichte Musikkomödie „Car Wash – Der ausgeflippte Waschsalon" ab: für die beste Musik (Norman Whitfield) und die beste Technik. „Mein Vater, mein Herr" und „J.A. Martin photographe" werden außerdem mit dem Fipresci-Preis bzw. dem Preis der ökumenischen Jury bedacht. *** Vom 24.6.–5.7. findet die 27. Berlinale statt, die von Peter Bogdanovichs Komödie „Nickelodeon" (Hauptrollen: Ryan O’Neal und Burt Reynolds) eröffnet wird. Als Jurypräsidentin fungiert Senta Berger, und Rainer Werner Fassbinder ist einer der Juroren. Der Goldene Bär und ein Fipresci-Preis gehen an Larissa Schepitkos Film „Die Erhöhung". Silberne Bären erhalten u.a. Fernando Fernán Gómez (Bester Darsteller) und Lily Tomlin (Beste Darstellerin). Für Aufsehen sorgte die Premiere des Dokumentarfilms „Hitler – Eine Karriere" (Regie: Joachim Fest, Christian Herrendörfer). Lob gibt es dagegen für den neuen Festivalleiter Wolf Donner, der sich bei der Berlinale für eine stärkere Präsenz deutscher Filme einsetzt. *** 1977 gibt es wieder diverse Kassenknüller, die beim deutschen Kinopublikum besonders gut ankommen. Auf Platz 1 landet der Disney-Streifen „Bernard und Bianca – Die Mäusepolizei" (7,7 Mio. Zuschauer), gefolgt von „James Bond 007 – Der Spion, der mich liebte" (7,2 Mio.), der HaudraufKomödie „Zwei außer Rand und Band" (4,8 Mio.), Sam Peckinpahs Kriegsfilm „Steiner – Das Eiserne Kreuz" (3,6 Mio.) und Claude Zidis Komödie „Ein irrer Typ" (3,1 Mio.) mit Jean-Paul Belmondo in der Hauptrolle. Ebenfalls in den Top 10 vertreten: Jim Sharmans KultKlassiker „The Rocky Horror Picture Show" und Richard Attenboroughs legendärer Kriegsfilm „Die Brücke von Arnheim".

Musik

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1977 wird, nach 1976, einmal mehr das Jahr von Abba, obwohl der Vierer 1975 als skandinavisches Phänomen und One-Hit-Wonder totgesagt worden war. Jedenfalls belehren die beiden (damals noch) Ehepaare der Gruppe die Musikwelt eines Besseren – die Singles "Knowing Me, Knowing You" (4.2.) und "The Name Of The Game" (14.10.) landen auf Platz 1 bzw. 7 der deutschen Charts. In den USA schafft es die Single "Dancing Queen" im Februar zum ersten und einzigen Mal, die Pole Position der Charts zu besetzen. *** Disco-Queen Donna Summer feiert mit ihrem im Mai erschienenen, von Starproduzent Giorgio Moroder in Szene gesetzten Lied "I Feel Love" ihren einzigen Nummer-1-Hit, den die 2012 Verstorbene in England je haben sollte. *** Bereits einen Monat zuvor kann das bis dato gänzlich unbekannte, aus zwei Spanierinnen bestehende Duo Baccara mit "Yes Sir, I Can Boogie" die Nummer 1 der deutschen Charts entern. Es soll eine der erfolgreichsten Singles in Deutschland aller Zeiten werden. Auch das im August nachgelegte "Sorry, I’m A Lady" steht dem Debüt an Kommerzialität kaum nach. *** Bei den legendären Otto-Wahlen der Jugendzeitschrift

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"Bravo" räumen 1977 nicht die aktuellen Teenie-Stars Bay City Rollers (Platz 2) oder Abba (Platz 3) den Goldenen Löwen ab, sondern die eher hausbackenen Briten von Smokie. Kein Wunder, haben die mit "Living Next Door To Alice" und "Lay Back In The Arms Of Someone" in jenem Jahr ihre größten Hits am Start. *** Überraschung bei der Wahl der Teenie-Postille "Popcorn" zum „Sänger des Jahres": Es ist nicht etwa der damals außerordentlich beliebte David Cassidy, der die Liste anführt. Sondern sein acht Jahre jüngerer Halbbruder Shaun. David belegt 1977 lediglich Platz 9 des Rankings. *** Schock für alle Anhänger des Rock'n'Roll per se: Am 16.8. stirbt der Inbegriff und Pionier dieses Genres, der „King Of Rock'n'Roll" schlechthin, im Alter von gerade mal 42 Jahren an Herzversagen – Elvis Presley! Bis heute ist die Todesursache der Kult-Ikone, die über eine Milliarde Tonträger weltweit verkauft hat, nicht endgültig geklärt. Elvis gilt als der erfolgreichste musikalische Solokünstler aller Zeiten. *** Am 28.10. erscheint mit "News Of The World" das sechste Studio-Album der britischen Rockband Queen. Es enthält mit "We Will Rock You" und "We Are The Champions" zwei der bekanntesten Stücke der Gruppe, die bis heute – unter anderem in Sportstadien – als zeitlose Rockhymnen gehandelt werden. *** Die großen Hits des Jahres könnten 1977 unterschiedlicher nicht klingen, stammen sie doch einerseits von bekannten Mega-Künstlern, andererseits auch von One-Hit-Wonders. So findet man in der Hitparade Fleetwood Mac und "Go Your Own Way" aus dem Meisterwerk RUMOURS, das sich bis heute über 40 Millionen Mal verkauft hat, andererseits die Eintagsfliege "In Zaire" von Johnny Wakelin. Man findet die alteingesessenen Chicago mit der Edelballade "If You Leave Me Now" neben Santa Esmeralda mit ihrer mitreißenden Latino-Cover-Version von "Don’t Let Me Be Misunderstood"; man hört im Radio in Dauerrotation den Pianoklimperer Richard Clayderman mit seiner "Ballade pour Adeline", aber auch die Melodic Rocker Boston mit ihrem ersten Kracher "More Than A Feeling". *** Stolze 28 bzw. 27 Wochen sind Boney M. mit ihren beiden 1977 erschienen Singles "Ma Baker" (2.5.) sowie "Belfast" (19.9.) in den Charts vertreten. Auch in Österreich und in der Schweiz platzieren sie sich mit diesen Liedern auf der Pole Position. Von "Ma Baker" wurden alleine in Deutschland bis heute knapp eine Million Exemplare verkauft. *** Am 8.7. bzw. 12.10. erscheinen zwei der wegweisenden Rock-Live-Alben der Zeit, die lange schmählich verkannt und unterbewertet waren: ON STAGE von Rainbow und SECONDS OUT von Genesis. Beide Werke zählen heute zu den Meisterwerken progressiver Musik. *** Am 28.10. erscheint das einzige Album der Punk-Rock-Pioniere Sex Pistols namens NEVER MIND THE BOLLOCKS …. Es gilt als prägend für die kurzlebige Punkszene und bis heute als Meilenstein der subversiven Kunstszene.

Vermischtes

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Papst Paul VI. spricht sich am 1.1. in seiner Neujahrsansprache gegen die Abtreibung aus. *** Am 17.1. wird im Utah State Prison der Raubmörder Gary Gilmore von einem Erschießungskommando hingerichtet. Interessant dabei: Seit dem 2.6.1967 hatte es in den USA ein De-facto-Moratorium über die Vollstreckung der Todesstrafe gegeben. *** Ein US-Forscherteam entdeckt am 18.1. den Erreger der Legionärskrankheit (eine Form der Lungenentzündung). *** Am 31.1. wird in Paris das Centre Georges Pompidou eröffnet, ein staatliches Kunst- und Kulturzentrum. *** Beim Erdbeben von Vrancea (4.3.) sterben in Rumänien mehr als 1500 Menschen, weitere 10.500 werden verletzt. Das Beben erreicht auf der Richterskala eine Stärke von 7,2. *** Am 27.3. stoßen bei der Flugzeugkatastrophe von Teneriffa zwei Flugzeuge vom Typ Boeing 747 zusammen, nachdem eine der beiden Maschinen aufgrund einer Bombendrohung umgeleitet worden war. 583 Menschen Apple sterben – es ist das schlimmste Unglück II in der Geschichte der Luftfahrt. *** Bei der Westcoast Computer Faire in San Francisco stellen Steve Jobs und Steve Wozniak am 16.4. den Apple II vor. Es ist der erste Computer, der mit GoodTimes

Tastatur und Bildschirm ausgestattet ist. *** Am 5.6. – dem Weltumwelttag – startet die Graswurzelbewegung The Green Belt Movement ihre erste Aktion, bei der Bäume gepflanzt werden. Langfristiges Ziel ist es, 15 Millionen Bäume zu pflanzen, nach dem Motto „Ein Baum pro Person" (bzw. ein Baum für jeden Kenianer). *** In Kassel findet die größte deutsche Kunstausstellung aller Zeiten statt, die documenta 6 (24.6.–2.10.). 655 Künstler nehmen teil, 343.000 Besucher sehen sich die Kunstwerke an. Für Aufsehen sorgt die Teilnahme von sechs „offiziellen" DDR-Künstlern. *** In Münster findet erstmals die internationale Ausstellung Skulptur. Projekte" " statt (3.7.–13.11.). Von nun an wird sie alle zehn Jahre ausgerichtet. Interessant dabei: Die eingeladenen Künstler dürfen an einem selbst gewählten Ort innerhalb der Stadt ein Projekt umsetzen. *** Am 5.8. kommt es im polnischen Ort Wapno zum Einsturz des Steinsalzbergwerks. 1400 Menschen werden obdachlos. *** Bei der Raketenkatastrophe von Dannenwalde (damals DDR) werden am 14.8. in einem sowjetischen Munitionslager mehrere hundert Katjuscha-Raketen gezündet, die in der Umgebung niedergehen. Die Zahl der Todesopfer ist bis heute nicht bekannt. *** Im Rahmen des Seti-Projekts der Ohio State University empfängt der Astrophysiker Jerry R. Ehman am 15.8. das so genannte Wow!-Signal aus dem Weltall. Ehman ist über das Signal aus Richtung des Sternbilds Schütze derart erstaunt, dass er neben die Daten „Wow!" hinschreibt. *** Im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover kommt es am 16.8. zu einem Säure-Attentat, dem Lucas Cranachs Bilder von Martin Luther und Katharina von Bora zum Opfer fallen. Der Täter Hans-Joachim Bohlmann wird in den 1980er Jahren als „Dürer-Attentäter" bekannt. *** Am 17.8. erreicht der nuklear angetriebene sowjetische Eisbrecher Arktika den Nordpol, und zwar als erstes Überwasserschiff. *** Achtung, Kunstraub! Am 20.9. werden Teile des Sophienschatzes aus dem Dresdner Stadtmuseum geraubt. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Schmuckstücken, die ursprünglich als Grabbeigaben in der Dresdner Sophienkirche lagerten. Das Spektakuläre an dem Raub ist, dass er während der Öffnungszeiten des Museums stattfindet. Die Täter werden nie gefunden. *** Sensationeller Fund in Griechenland: Der Archäologe Manolis Andronikos entdeckt am 8.11. in der Nähe von Vergina ungeplünderte Königsgräber. Er behauptet sogar, das Grab Philipps II. von Makedonien gefunden zu haben, doch dieses kann nicht eindeutig identifiziert werden. *** Bei der Explosion von MalaysiaAirlines-Flug 653 (4.12.) sterben alle 100 Insassen der entführten Maschine. *** Geburten-Mix 1977: Radrennfahrer David Millar (4.1.), Schauspieler Orlando Bloom (13.1.), Popstar Shakira (2.2.), Tenor Vittorio Grigolo (19.2.), Boxer Floyd Mayweather jr. (24.2.), Coldplay-Sänger Chris Martin (2.3.), Sängerin Annett Louisan (2.4.), Skilangläufer Tobias Angerer (12.4.), Schauspielerin Jessica Schwarz (5.5.), BluesRock-Gitarrist Joe Bonamassa (8.5.), Kabarettist Bodo Wartke (21.5.), Rapper/Produzent Kanye West (8.6.), Kronprinzessin Victoria von Schweden (14.7.), Skirennläufer Bode Miller (12.10.), Sängerin Anna Depenbusch (17.10.), Fußballnationalspielerin Birgit Prinz (25.10.), Eisläuferin Oksana Bajul (16.11.), Schauspielerin Maggie Gyllenhaal (16.11.), Rapper Samy Deluxe (19.12.) *** Verstorben 1977: Regisseur Henri-Georges Clouzot (12.1.; 69 Jahre), Schriftstellerin Anaïs Nin (14.1.; 73 Jahre), Schriftsteller Carl Zuckmayer (18.1.; 80 Jahre), Fußballnationaltrainer Sepp Herberger (28.4., 80 Jahre), Altbundeskanzler Ludwig Erhard (5.5.; 80 Jahre), Joan Crawford (10.5.; 73 Jahre), Raumfahrtpionier Wernher von Braun (16.6.; 65 Jahre), „Lolita"-Autor Vladimir Nabokov (2.7.; 78 Jahre); Philosoph Ernst Bloch (4.8; 92 Jahre); Sopranistin Maria Callas (16.9.; 53 Jahre); T. Rex-Star Marc Bolan (16.9.; 29 Jahre), Schlagerkomponist Gerhard Winkler (25.9.; 71 Jahre), „Asterix"-Autor René Goscinny (5.11.; 51 Jahre), Schauspieler/Regisseur Charles Chaplin (25.12.; 88 Jahre); Regisseur Howard Hawks (26.12.; 81 Jahre) 1/2018

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i m o r P Paare

Im moralischen Gewitterhagel

Eheleute, die Stars sind, tragen ihre Trennung nicht nur vor dem Scheidungsrichter, sondern auch vor der Weltöffentlichkeit aus. An der Aufspaltung von Brangelina in die ursprünglichen Bestandteile Brad Pitt und Angelina Jolie nehmen Millionen Fans Anteil. Ein Rückblick zeigt: Promi-Paare stehen jedoch nicht erst seit der Erfindung des Internets beim Liebes-Aus im öffentlichen Fokus.

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Ingrid und der Vulkan

ngrid Bergmans Tanz auf dem Vulkan – das war der erste Skandal dieser Größenordnung. „Der Zeitpunkt, von dem an es kein Zurück mehr gab, wird sich nicht mehr genau bestimmen lassen", steht in ihrer Biografie „Mein Leben". Sicher ist: Ingrid Bergman interessierte sich zum ersten Mal für Roberto Rossellini, als sie in einem Kino in Los Angeles „Rom, offene Stadt" sah. Sie hatte als Schwedin Greta Garbo in Hollywood abgelöst, mit „Casablanca" im Kult-Film schlechthin gespielt und bereits einen Oscar gewonnen. Doch Ingrid Bergman verstand sich als Künstlerin. Und die Filme, die sie zuletzt gemacht hatte, befriedigten sie nicht. Während die Studios in Hollywood noch immer in schön ausgeleuchteten Dekorationen Fließbandfilme machten, war im italienischen Kino hingegen der Neorealismus angebrochen. Kurzerhand schrieb sie Roberto Rossellini, dem lichen Regisseur, einen schwärmerischen Brief: maßgeb­ „Wenn Sie eine schwedische Schauspielerin gebrauchen können …" Erst kannte der Italiener den Hollywood-Star nicht. „Wer ist diese Ingrid Bergman?" Endlich antwortete er: „Könnten Sie nach Europa kommen?" Sie kam. Auf die Vulkaninsel Stromboli, am 4. April 1949. „Von dem Moment an, als wir mit den Dreharbeiten begannen, merkten die Mitarbeiter, dass Roberto und ich mehr Zeit Seite

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miteinander verbrachten als nötig", schrieb die Bergman in ihren Memoiren. Den Zeitungsleuten fiel das auch auf. Sie zählten die Zahnbürsten in den Badezimmern. Wo schlief Roberto? Die Schwedin hatte zu Hause ihr Kind beim Ehemann gelassen. Und er war ein verheirateter Italiener in diesem erzkatholischen Land. Den ersten Journalisten aus Italien folgten alsbald Berichterstatter aus aller Welt. Über Stromboli braute sich der erste Skandal dieser Art zusammen. Heiraten konnten sie nicht, weil die Scheidungen blockiert waren. Die Journalisten verkleideten sich als Fischer, als Mönche sogar. Die Gerüchteküche brodelte, als „Life" ein Foto brachte, das die beiden Hand in Hand zeigte. Der Film „Stromboli" wurde zur Nebensächlichkeit. Die Welt glaubt, was sie liest. Der oberste Sittenwächter der USA, Joseph Breen, schrieb ihr von seinem „Entsetzen über Ihre Pläne, Ihren Mann und Ihr Kind zu verlassen, um zu Rossellini zu gehen". Sie möge diese Gerüchte so bald wie möglich widerlegen. Der Vatikan rief zum Boykott ihrer Filme auf. Sollte Ingrid quasi öffentlich verbrannt werden wie die Heilige Johanna, die sie gerade erst dargestellt hatte? „Ich weinte so viel, dass ich schon glaubte, keine Tränen mehr zu haben." Bald glaubte sie selbst, die Presse habe Recht: „Ich war eine schreckliche Frau." Jedermann war

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„black list" gesetzt hatte. 1972 zeigte sich der US-Kongress schließlich versöhnlich. Sie aber sagte, die Verbannung habe sie tief getroffen. „Die Worte waren so hart, dass ich sie nie vergessen konnte."

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Mordverdacht

nd dann traf ich Natalie." So sparsam führt Robert Wagner in seiner Biografie „Pieces Of My Heart" Hollywoods vielleicht dra„ matischste Liebesbeziehung ein. Sie wird mit Natalies Tod im Ozean enden. Allerdings war Natalie Wood bei ihrer ersten Begegnung mit dem 18-jährigen Robert Wagner erst zehn Jahre alt: Kinderstar trifft vielversprechenden Jungstar – diese erste Begegnung wird im Laufe der Jahre immer mehr mythologisiert. Als müsse das Schicksal die Hand im Spiel gehabt haben. Wood wuchs praktisch im Studio auf. Die beiden Nachwuchsstars liefen sich immer wieder über den Weg. Doch es sollte bis 1956 dauern, bis sie sich „richtig treffen" – bei einer Modenschau im Beverly Wilshire Hotel machte die zur jungen Dame gereifte Natalie mächtig Eindruck auf Robert. Prompt lud er sie zur Premiere seines neuen Films „Berg der Versuchung" ein – ohne zu wissen, dass sie an ihrem 18. Geburtstag stattfand. Sie nahm an. Am nächsten Morgen schickte er Blumen. Sie verliebten sich – Ironie des Schicksals – auf einem Boot. Als sie ihn aus jenen braunen Augen anblickte, die Kinogänger weltweit in ihren Bann schlugen, war’s um Frauenschwarm Robert Wagner geschehen. Sie verbrachten diese Nacht – und viele Nächte danach – an den Ufern der Insel Catalina, auf Wagners Boot My Lady. So hätte die Romanze glücklich ewig weitergehen können. Er hielt im legendären Hollywood-Hotspot Romanoff’s um ihre Hand an. Auf dem Boden ihres Champagner-Glases: ein Diamantring, darin eingraviert „Marry Me". Die Fanmagazine überschlugen sich: Sie feierten eine Traumhochzeit. Doch während sie immer bessere GoodTimes

Rollenangebote erhielt, mit Regisseuren wie Kazan drehte, geriet seine Karriere in eine Sackgasse. Er spielte die zweite Geige in Filmen, in denen Steve McQueen oder Robert Mitchum die Hauptrolle bekamen. Als Wood mit Warren Beatty „Splendor In The Grass" machte, konnte der berüchtigte Ladykiller bei ihr landen. Als sie „West Side Story" drehte, war ihre Karriere glühend heiß, „während meine lauwarm wurde", gestand Wagner sich ein. Der Juni 1961 brachte einen scheußlichen Krach. Sie zog zu ihren Eltern, er nach Rom. Nur dreieinhalb Jahre nach der Märchenhochzeit mussten die Fanmagazine die Trennung vermelden. Doch damit war Hollywoods stürmischste Beziehung nicht zu Ende. Sie trafen sich nach der Scheidung wieder, in Rom. Sie mit ihrem Beau Warren Beatty. Er mit seiner neuen Verlobten. An diesem Abend versicherten sie sich gegenseitig, wie sehr sie sich vermissten. „Es waren starke Vibrationen in der Luft", erinnerte sich Wagner. Acht Jahre vergingen. Das Schicksal hatte es so eingefädelt, dass sie beide 1970 wieder frei waren. Er rief sie an Weihnachten an. Sie kam. Und blieb bis zum Ende ihres Lebens. Am 16. Juli 1972 heirateten sie zum zweiten Mal. Auf einem Boot, in der Paradise Cove, einer Bucht von Catalina. Das letzte Kapital der tragischen Love Story begann wiederum in Catalina, vor der Küste von Los Angeles. Das populäre Ausflugsziel, von L.A. aus in einer Stunde per Schnellboot erreichbar, hatte für das Paar zeitlebens große Bedeutung. Wer das örtliche Museum besucht, findet heute eine ganze Wand, die Natalie Woods Tod gewidmet ist. Es war 1981, Wagner steuerte seine Yacht, die Splendour, nach Catalina. An Bord Woods Co-Star aus „Projekt Brain­ storm", Chris­topher Walken. Was sich in der letzten Nacht von Woods Leben ereignete, wird für immer Gegenstand von Spekulationen bleiben. Wagner wurde nicht unter Anklage gestellt, aber 2013 wurde der als Unfall eingestufte Todesfall neu bewertet, ein neuer Autopsiebericht schloss nun „Tod durch Ertrinken" aus. Der Grund wurde geändert: in „Tod durch unbestimmte Ursachen". Die Öffentlichkeit wird stets Zweifel hegen. … Sie ankerten in der Isthmus Cove. Am Abend davor hatte es Streit gegeben, und Wood war auf Catalina geblieben. Jetzt hatte sie das Beiboot genommen, um mit Walken im Hafenrestaurant zu essen. Zurück auf der Splendour, mit einigen Drinks intus, gerieten Walken und Wagner aneinander. Ging es um Natalie? Anschließend war sie nicht mehr an Bord. Sie habe sich, nach Wagners Aussagen, zur Ruhe gelegt, müsse dann aber wieder aufgestanden sein. Um halb zwei Uhr morgens rief er die Küstenwache. Man fand das leere Beiboot am nächsten Morgen. Wagners Knie gaben bei der Schreckensnachricht nach. „Everthing went away from me", beschrieb er den Augenblick. Robert Wagner kehrte nie wieder nach Catalina zurück.

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davon überzeugt, dass Ingrid, der Inbegriff der Kino-Unschuld, sich „mit ihrem Italiener" die Karriere ruinierte. Rossellini selbst sprach von Selbstmord. Am 2. August schrieb sie in ihr Tagebuch: „Stromboli verlassen." In vier Monaten hatte sie den Thron als Hollywoods First Lady verspielt. Die Presse posaunte es heraus: Sie war schwanger. Und brachte, belagert von Paparazzi, einen unehelichen Sohn zur Welt. Ihr Freund Ernest Hemingway stand ihr bei: „Was ist denn das? Amerika dreht ja völlig durch. Skandal, weil ein Kind geboren wird! Ich wünsche dir Zwillinge." Ihre Tochter Isabella sagte später: „Paparazzi wurden Bestandteil meiner Kindheit." Leider währt die Liebe nicht ewig. Und alle Filme des Ehepaars Rossellini-Bergman floppten. Nach der Trennung kehrte Bergman nach Hollywood zurück, wo man sie auf die


King Of Cool heiratet Beauty-Queen

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verschlang lieber einen Burger in einem Roadhouse mit seinen BikerBuddys. Zum ersten Mal seit Jahren gab er sein tägliches, geradezu fanatisch eingehaltenes Fitnesstraining auf. Er kippte Bier um Bier seiner Lieblingssorte, ließ sich einen Zottelbart wachsen, machte überhaupt keine Anstalten mehr, je wieder ins Filmgeschäft zurückzukehren – während sie Diät hielt und nach Filmangeboten hungerte. Die einfache Erklärung: Dem Adrenalinjunkie Steve McQueen war Ali MacGraw zu langweilig geworden. Sie machte eine Psychotherapie. Als sie ihn in ein exklusives französisches Restaurant schleppte, erklärte der Maître McQueen Bluejeans zum No-Go. Er verschwand auf der Toilette und kam ohne Hosen wieder. An ihrem 37. Geburtstag fuhr er ein Motorrad

Foto: Bildarchiv Hallhuber

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li MacGraws Stern war so schnell über Hollywood aufgestiegen, das war sogar für die Verhältnisse der Traumstadt, die Sternchen schneller verbrennt, als Kometen in der Atmosphäre verglühen, fast zu schnell. Sie war ein Bombenerfolg als sterbendes Mädchen in „Love Story". Und sie war verheiratet mit dem Power-Man der Paramount, dem Produzenten von „The Godfather": Bob Evans. Doch in einem Interview tat sie ihre Bewunderung für einen Star kund, mit dem sie nach eigener Aussage gerne arbeiten wollte: Steve McQueen. Passenderweise suchte der King Of Cool, frisch geschieden, gerade nach einer neuen Königin. Der Mann, der schnelle Maschinen

liebte, bretterte dann mit Höchstgeschwindigkeit in seine nächste Beziehung: McQueen spannte MacGraw dem mächtigsten Mann der Branche so einfach aus, als hole er sich eben mal Sprit an der Tanke für seine Triumph. Die Ironie dabei: Bob Evans selbst hatte den Deal eingefädelt, die heißeste Star-Paarung für den gemeinsamen Film „The Getaway". Später würde Evans mit Bitterkeit feststellen: „Sie tanzte mit mir und dachte an Steve McQueens Schwanz." Das Werbeplakat zu „The Getaway" schrie: „McQueen! MacGraw! The Getaway!" Die Publicity über die Filmstars, die vor laufender Kamera Sexszenen spielten und sich dabei ganz offensichtlich gerade ineinander verknallten, schadete dem Box-Office nicht. MacGraws Noch-Ehemann kämpfte mit harten Bandagen: Seine Scheidungsanwälte versuchten, ihr die Kinder wegzunehmen. Die Scheidung war hässlich. Einmal ging McQueen auf einen Paparazzo los, der das Glamourpaar bedrängte. Alle glaubten, Evans habe genug Macht, um ihre Karriere zu ruinieren (tatsächlich bekam sie seinetwegen den Part in „Der große Gatsby" nicht, den sie unbedingt haben wollte). McQueen heiratete die neue Mrs. McQueen outdoor. Sie flitterten im Malibu-Beachhaus und bauten sich ihr Nest am Trancas Beach. „Newsweek" nannte sie die „New Princess". Sie war die neue Prinzessin in McQueens Leben. Doch dann modelte er die Beauty-Queen zur Hausfrau um. Er war es letztlich, der die vielversprechendste Filmkarriere des Jahrzehnts blockierte, nicht Evans. McQueen zwang MacGraw, sich vom Filmgeschäft zurückzuziehen, verkündete ihrem Agenten: „Meine Frau arbeitet nur mit mir oder gar nicht." Schon bald sagte die weltmännische Ali nicht mehr „Merde", sondern „Shit" – wie Steve McQueen. Sie brachte ihm sein Bier und kicherte, wenn er dazu rülpste. Sie begleitete ihn zum Boxkampf. Er kam ihr zuliebe ins Ballett mit (haute aber in der Pause ab). Sie ging gern auf Dinnerpartys. Er Seite

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ins Restaurant, eine Geburtstagstorte unterm Arm. Sie fand seine Kapriolen nicht mehr lustig. Nach zwei Jahren war der Ofen von Steve McQueens Maschine aus. Was den Mann mit Benzin im Blut vielleicht am meisten nervte: MacGraw war eine miserable Autofahrerin. Zwischenzeitlich nannte sie sich selbst die „Gefangene von Trancas": „Ich habe das Penthouse aufgegeben, den Chauffeur, den Lifestyle – um mit diesem Typen Motorrad zu fahren und Käfer zu fressen." Schließlich enthüllte die Boulevardpresse, dass er eine Affäre hatte. Bevor MacGraw wieder vor die Kameras treten konnte (1977, für „Convoy"), musste erst eine Botoxbehandlung ihre Stirnfalten glätten. An dem Tag, als Ali MacGraw Steve McQueen verließ, nahm sie nichts mit ...

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Fun mit Dick und Liz

urton an Taylor, nach ihrer ersten Trennung 1973: „Also, als erstes musst du einfach verstehen, dass ich dich anbete. Zweitens, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Ich liebe dich. Drittens, und hier zeigt sich wieder einmal meine überdurchschnittliche Sprachbegabung: Ich kann nicht ohne dich leben." Richard Burton schrieb Liz Taylor immer wieder glühende Liebesbriefe. Sie liebte den dichtenden, schmachtenden Waliser dafür – obwohl sie nie schriftlich antwortete. Ja, er musste es zeitlebens immer wieder bestätigen: Er, Richard Burton, durch Glück den Kohlebergwerken von Wales entkommen, liebte Elizabeth Taylor, die schönste Frau der Welt. Die Redakteure des „Time"-Magazins zählen zu den drei größten Geschichten unserer Zeit: die Ermordung von JFK, die Entführung des Lindberg-Babys – und „die Burtons". Die Frauenzeitschrift „MarieClaire" nennt die Verbindung „die berüchtigtste und dramatischste des 20. Jahrhunderts". Diese Saga einer Hassliebe sollte 13 Jahre andauern. Die Presse lauerte auf jedes Detail der Jahrhundertehe: Heirat, Scheidung nach zehn Jahren, erneute Heirat, endgültige Trennung – und ewige Liebe. Burton sah Taylor das erste Mal in London, 1953 – und hätte beinahe laut gelacht. Er hatte einen Ruf als unwiderstehlicher Liebhaber, der mit seiner großartigen tiefen Waliser Stimme die Frauen um den Verstand brachte. Außerdem genoss er den Ruf eines großen Trinkers. Man hatte dieses walisische Fabelwesen nach Kalifornien geholt; die Hollywood-Clique wollte von Nahem sehen, was das Londoner Theaterpublikum als Ereignis feierte. Burton war also zum ersten Mal in einem „Schickimicki-Haus", wie er das nannte. Ein Mädchen auf der

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dabei jedesmal wie eine kleine Atombombe", sagte Taylor. In „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", der Verfilmung einer Ehehölle, imitierte die Kunst die Realität. Er soff Wodka wie Mineralwasser. Sie hielt mit Champagner dagegen. Er feierte Erfolge als Schürzenjäger. Sie warf Medikamente wie Tictacs ein. Gemeinsam köpften sie die MagnumFlaschen, zertrümmerten Hotelzimmer. Wie verheiratete Rock’n’Roll-Stars. Das vorläufige Ende kam 1973. Sie spielte in „Die Rivalin" eine reiche Frau, hin- und hergerissen zwischen ihrem Mann, Henry Fonda, und dem jungen Platzhirschen, dem Österreicher Helmut Berger. Gedreht wurde in Cortina d’Ampezzo, dem mondänen Ski-Ort in den italienischen Dolomiten. Sie belegten mit ihrer Entourage zehn Zimmer im Hotel Miramonti, das gleichzeitig Drehort war. Da Burton nicht arbeitete, lümmelte er schlecht gelaunt in der Hotellobby herum, Schnapsflaschen zur Gesellschaft. Der proletarische Arbeitersohn wetterte gegen ihren neuen Film: „Damit repräsentierst du den schlimmsten Menschenschlag." Sie entliebten sich während der Dreharbeiten. Es begann mit einem Eifersuchtskrach: Er beschuldigte sie, auch in der Realität eine Affäre mit dem jungen Helmut Berger zu haben. Der Dreh verzögerte sich, weil Taylor, ganz Diva, sich immer mehr verspätete. Bald darauf gab sie die Trennung bekannt. Ein letzter Versuch, die Ehe zu kitten, scheiterte, weil Burton schon volltrunken zum Treffen erschien. Er begab sich daraufhin in eine Trinkerheilanstalt. Musste versuchen, Liz Taylor und den Alkohol zu überleben. Sich von beiden „entgiften" zu lassen. Der Stern von „Liz und Dick" war indes schon vorher verblasst. Ihre Filmkarrieren waren ebenso wenig zu retten wie ihre Ehe. Er unterzeichnete seine Liebesbriefe an sie – auch nach der Scheidung – mit „Dein Mann". Oder mit: „in verheerender Liebe". Und die Glut brauchte nur neu angefacht zu werden: In Israel wollten sie eine Wohltätigkeitsorganisation unterstützen. Sorgten wie früher für begeisterte Menschenmengen. Gemeinsam kehrten sie dann ins Chalet Ariel nach Gstaad zurück. Als man sie mit Verdacht auf Krebs untersuchte und sie auf die Testergebnisse wartete, ging sie in sich. Als die Diagnose positiv war, fiel Burton auf die Knie und bat sie, ihn noch einmal zu heiraten. Dann schickte das Paar alle aus dem Zimmer und dröhnte sich zu. An jenem Abend betrank sich Burton wieder, der bis dahin trocken war. Am 10. Oktober 1975 heirateten sie zum zweiten Mal – die zweite Ehe hatte eine Halbwertszeit von gerade mal zehn Monaten. Die zweite Runde verlief wie die erste, nur im Zeitraffertempo. Burton starb, nur 58-jährig, an einer Gehirnblutung. Sie überlebte ihn um 27 Jahre. Seinen letzten Brief soll Taylor bis an ihr Lebensende in der Nachttischschublade aufbewahrt haben. Bei ihrem Tod kam noch einmal die Vermutung auf, sie werde ihre letzte Ruhestätte an seiner Seite finden. Doch das erwies sich als falsch. Burton blieb am Ende alleine – auf einem ruhigen, abgelegenen Waldfriedhof am Genfer See. Roland Schäfli Foto: Bildarchiv Hallhuber

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anderen Seite des Pools legte ihr Buch beiseite, nahm die Sonnenbrille ab und musterte ihn. „Sie war so unfassbar schön, dass ich beinahe lachen musste." Doch Liz Taylor ignorierte den ungehobelten Burschen einfach. Sie war da – wie meis­ tens – verheiratet. Er auch, aber zum ersten Mal. Aber sie waren neugierig aufeinander. Das Erdbeben kam mit Verzögerung. In Ischia, während des ewigwährenden Drehs des Kolossalschinkens „Cleopat ra". Sie war zusammen mit Ehemann Nummer 4, Eddie Fisher (den sie nach einem anderen Skandal Debbie Reynolds ausgespannt hatte). Aus steuerlichen Gründen hatte sie darauf bestanden, dass der Film außerhalb der USA entstand. Und kassierte für sich selbst eine coole Million Dollar Cleopatra-Gage. Rekord! Den ersten Clinch trugen Liz und Dick vor laufender Kamera aus. Er trug eine Römer-Tunika, die seine Männlichkeit nur knapp verbarg. Sie mit Schneewittchen-Teint, er mit Pockennarben. Den Kuss beendeten sie auch nicht, nachdem der Regisseur schon lange „Cut" gerufen hatte. Sie trugen ihre Liebesgeschichte vor den Kameras der Weltpresse aus. Womit ihre Liebe zur allerersten RealityShow wurde, live in alle Welt gesendet. Und sie liebten es, obszön zu sein. Die Paparazzi umzingelten sie in Ischia, fotografierten sie aus Hubschraubern. Ein Foto ging um die Welt: Wie die zwei sich an Deck eines Schiffes sonnten, sich räkelten, sich küssten. Ein Skandal! Zwei verheiratete Menschen begingen Ehebruch vor laufenden Kameras. Welches andere Paar konnte schon von sich behaupten, dass der Vatikan ihre Verbindung sanktionierte? Doch selbst der Papst vermochte Burton/Taylor nicht zu trennen. Das konnten nur sie selbst. „Richard und ich hatten eine unglaubliche Chemie miteinander. Wir konnten einfach nicht genug voneinander bekommen", sagte Taylor. Und er: „Man kann zwei Dynamitstangen nicht immer wieder gegeneinander schlagen, ohne zu erwarten, dass sie explodieren." Der zuweilen mit Schwermut geschlagene Waliser bezeichnete ihre Brüste als „atomar". Sie zählten zu den bestbezahlten Schauspielern ihrer Zeit. Und wenn sie zusammen auftreten sollten – was elfmal der Fall war –, dann ließen sie die Produzenten richtig bluten. Die Kohle investierten sie in Statussymbole. Den Privatjet tauften sie Elizabeth – wie sonst. Und der Diamant, für den Richard 1969 Aristoteles Onassis überbot, wurde fortan der „TaylorBurton-Diamant" genannt. Mit 69,42 Karat weist er die obszöne Größe eines Taubeneis auf. „Er soll der reizendsten Frau der Welt gehören", verkündete Burton und überreichte ihr den Stein an ihrem 40. Geburtstag (zuvor hielt er dafür eine Pressekonferenz ab). Für einmal war sie zufrieden: „Große Mädchen brauchen große Diamanten." Doch diese Kampfpausen wurden immer kürzer. Längst nannte die Presse sie die „Battling Burtons". Sie amüsierten sich darüber: „Unsere Kämpfe sind erfrischende Schreiwettbewerbe, und Richard explodiert

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Werbe-Ikonen – Teil 5

Von Andreas Kötter

Klementine – nicht nur sauber, sondern rein! Sie war die buchstäbliche Sauberfrau der späten 60er, 70er und frühen 80er Jahre. Wo Klementine war, da war es nicht " nur sauber, sondern porentief rein". Ein Claim, der es damals alsbald zum geflügelten Wort brachte.

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lempnerin Klementine, burschikos und stets gewandet in weiße Latzhose und rotweiß-kariertes Hemd, zudem beschirmt mit weißer Malerkappe, löste jedes Problem im Handumdrehen. Und weil dort, wo gehobelt wird, nun mal auch Späne fallen bzw. weil das Problem immer der Dreck bzw. der Fleck selbst war, hatte Klementine natürlich selbst für diesen Fall die passende Lösung parat. Und die hörte stets auf denselben Namen: „Ariel" wurde dank Klementine rasch zu einer Erfolgsstory und brachte es in der „Amtszeit" der Latzhose der Nation, zwischen 1968 und 1984, zum meistverkauften Waschmittel der Republik. Aber Schrittmacherdienste leis­tete Klementine nicht nur für Procter & Gamble, den Ariel vertreibenden amerikanischen Mischkonzern, der dank Marken wie Gillette, Blend-a-Med oder Pantene heute hinter Nestlé weltweit der zweitgrößte Anbieter von Konsumgütern ist. Auch für die Emanzipation der Frau war Klementines Wirken durchaus nicht ganz unbedeutend. Eine Frau in einem Männerberuf, die buchstäblich die Hosen an hatte und stets wusste, wo es langzugehen hatte – das hätte Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre eigentlich soziopolitische Sprengkraft haben können. Leider steht hier aber nur der Konjunktiv, denn Klementine leistete erste Hilfe in Sachen porentiefer Reinheit bekanntermaßen ausgerechnet in dem klassisch gezeichneten bundesrepublikanischen Haushalt, in dem das Bild des unterwürfigen Weibchens noch immer zementiert war. So war ein hilflos, ja beinahe dümmlich und entschuldigend dahingehauchtes „Ariel ist zum Reinwaschen" in den frühen Jahren für Klementine stets das Signal, ihr „Ariel in den Hauptwaschgang" anzuordnen. Wie gesagt, Klementine selbst hatte zwar (die) Hosen an, ließ ähnliche Selbstbestimmung für andere Frauen aber durch ihr überlegenes Auftreten kaum zu. Und auch fürs Alter ego der Sauberfrau, die Schauspielerin Johanna König, bedeutete Klementine Fluch Seite

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und Segen zugleich. König, bereits ganz früh ausgebildet an der Dresdener Staatsoper in Tanz und später in Berlin an der Schauspielschule Borchardt in der Schauspielkunst, war vor dem Zweiten Weltkrieg meist in Operette, Musical oder Revue zu sehen. Nach dem verheerenden Weltenbrand gab sie in einigen Komödien den kumpelhaften Frauentyp, in dem bereits erste feine Charakterzüge von Klementine angelegt zu sein schienen. Erst viel später, gegen Ende ihrer langen Karriere, war König an der Seite von Günter Pfitzmann zudem regelmäßig in der ARD-Vorabendserie „Praxis Bülowbogen" vertreten. Wirklich gekannt aber hat man sie flächendeckend nur als Klementine. Nun ist es sicherlich nicht das Schlechteste, eine WerbeIkone zu sein. König selbst soll allerdings einmal gesagt haben, dass ihr möglicherweise die eine oder andere Rolle gerade deshalb entgangen sein könnte, weil die Verantwortlichen kein bekanntes „Werbegesicht" wollten. Wie auch immer, als Johanna König am 3. März 2009 im Alter von 87 Jahren in Berlin starb, lebte Klementine weiter ... Und tut dies bis heute als eine der populärsten Werbefiguren bundesrepublikanischer TV-Geschichte. Ihre Latzhose und Schirmmütze waren vorübergehend gar im Haus der Geschichte in Bonn ausgestellt. Und später haben diese Unikate zu Recht ihre dauerhafte Heimat im Deutschen Werbemuseum in Frankfurt gefunden.

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Köstliche Kindheit! Das langjährige Langnese-Logo wurde 1965 eingeführt und zeigte in den folgenden Jahrzehnten allen Eiscreme-Fans mit seinen rot-weißen Streifen den Weg ins Paradies. Manchmal bestand der Eisladen eines Ortes aus kaum mehr als einer Kühltruhe, die regelmäßig aufgefüllt wurde, und einer Person, die das Geld kassierte. Aber die kannte jeder! Manchmal standen Kinder Schlange, an der großen Preis-Papptafel vorbei in den Eingang hinein, heftig diskutierend, welche Sorte die beste sei. Oder sie hielten einfach nur die 20 Pfennig für das Mini-Milk" bereit ... "

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as kleinste Eis am Stiel war und ist immer noch eine Art Einsteigerprodukt. Zwar nicht gerade so attraktiv wie eine der bunten Sorten, aber immerhin. Und aus Elternsicht vermutlich wegen des Milchanteils auch als nicht ganz so ungesund verbucht. So konnten schon die ganz Kleinen üben das Eis am Stiel zu essen, ohne gleich die ganze Palette Lebensmittelfarbe auszutesten. Gelegenheiten gab es zuhauf: Der Freibadkiosk winkte genauso wie die Kinokasse, auf Terrassen von Gasthäusern und bei Vereinsheimen standen die verheißungsvollen rot-weiß gestreiften Schirme. Es war und ist vor allem ein Sommergeschäft. 1968 beispielsweise wurde die Hälfte des Speiseeisumsatzes im Juli und August gemacht, 1967 wurden bereits über 900 Millionen „Kleinpackungen" (also vor allem

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Eis am Stiel) von den damals existierenden 27 Speiseeisherstellern verkauft. Auch im Ausland waren die Fahnen gut erkennbar, obwohl Langnese in Österreich als „Eskimo", in Dänemark als „Frisko" oder in Frankreich als „Miko" auftritt. Die Firma Langnese produziert seit 1935 in Hamburg Eiscreme, in der Wirtschafts­ wunderzeit starteten die drei Klassiker „Happen", „Domino" und am Stiel auch schon das Orangen­ wassereis „Capri". Das Wichtigste am Eis am Stiel, das 1923 in den USA patentiert wurde, ist ja eigentlich, dass nach dem Auspacken nur eine Hand zum Essen nötig ist. Der Bewegungsdrang wird also nicht so sehr eingeschränkt, wie wenn ein Becher oder eine Dessertschale ausgelöffelt werden muss, was ja ohnehin meist im Sitzen geschieht. Die hölzernen Eisstiele werden oft noch extra lang abgelutscht und nachgekaut, bis sie auffasern. Manch vorausschauendes Kind wäscht und hütet sie aber auch, um hinterher damit zu basteln. „Happen" dagegen ist stiel-los und trotzdem ohne Löffel zu essen: Zwischen zwei rechteckigen

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Waffeln wartet die traditionelle Eiskombination „Fürst-Pückler-Art" (Schokolade-Vanille-Erdbeer), und der Genuss des in beschichtetes Papier gepackten Desserts erweist sich darum als ganz eigene Sache. Halten lässt sich der „Happen" nämlich nur entweder in der aufgerissenen Verpackung oder direkt an den Waffeln, die je nach Umgebungswärme auf dem Eis herumrutschen. Erfahrungsgemäß muss der Gourmet also immer rundum lecken, bis sich eine Seite durch das Zusammendrücken der zunehmend weich werdenden Waffeln zu einer Art Tüte pressen lässt und das Sichern der Creme einfacher wird. Zum Schluss lässt sich dann das mehr oder weniger vollgesogene Waffelblatt verspeisen. Trickreich, auch wenn es so simpel aussieht! „Domino", seit 1954 heiß geliebt, setzte sogar noch eins drauf. Zwar hält es im Inneren der Doppelwaffel „nur" Vanilleeis bereit, dafür lockt die waffelunbedeckte Hälfte mit knackigem Schokoüberzug. Das „Eiskonfekt" der 1960er Jahre ist wahrscheinlich deshalb so unschlagbar, weil es zwei Arten von Fans gleichzeitig bedient: die Eis-Verrückten und die, die eigentlich nur Pralinen essen. Wie bei „Domino" ist auch hier die Füllung schlicht gehalten, und es besticht mit dem Biss in zart knackende Schokolade, die mit der Creme eine kontrastierende Verbindung eingeht. Mit verantwortlich dafür ist sicherlich die Dominanz in den Filmtheatern, in denen nach dem traditionellen Ende des Werbespots „Langnese? ... Gibt's auch hier im Kino!" das Licht noch einmal angeknipst wurde, während Angestellte mit Bauchläden durch die Reihen gingen, um Eiskonfekt oder gefrorene Köstlichkeiten in der Waffel oder am Stiel zu verkaufen. Die neuen Eis­ sorten am Stiel jener Jahre waren „Nogger" (geboren 1964) und „Split". Das „Nogger"-Eis GoodTimes

beglückt seine Freunde mit einer Schokoglasur um den Vanille-SchokoKern, in der Nuss- und Zwiebackstückchen noch einmal extra knusprige Momente schaffen. Bei „Split" kontrastiert das Vanilleeis mit dem Orangen­ wassereis des Überzugs. Von

jeher gab es den Eis-Esser-Disput, ob „Split" dem „Capri" überlegen sei. „Zeit"Autor Oliver Maria Schmitt philosophierte 2012: „Wie nennt man solche Leute überhaupt? Stielies? Scheiden sie sich sogar in Untergruppen, in Splitologen und Capriccionados?" Beide Sorten gehören ja inzwischen auch zum Standard. Im „Stern" beschrieb Jochen Siemens anlässlich des späteren Siegeszuges von „Magnum", das erst 1989 auf den Markt kam, aber 1/2018

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speziell „Cornetto", „Eiskonfekt" und „Happen" als „eine Art Volkswagen des Speiseeises". Die dem unverpackten Speiseeis der südlichen Länder nachempfundene Eiswaffeltüte des „Cornetto" (was auf Italienisch „Hörnchen" heißt) war zwar immer etwas hochpreisiger als ein Stiel-Eis, jedoch nicht minder beliebt. Und auch hier gab es innerfamiliär die Fronten zwischen Erdbeer- und Haselnussfraktion ... Erst in den 1970er Jahren kamen für die StielEsser das erwähnte „Mini-Milk", „Dolomiti", „Grünofant" und – legendär – „Brauner Bär" auf den Markt. Eine ganz eigene Sache war natürlich „Dolomiti" (im Original 1973 bis 1987 im Programm). Wer als Kind von dem namensgebenden Gebirge noch nie etwas gehört hatte, konnte das Wort trotzdem spielerisch genießen, klingt es doch fast so lustig wie Pippi Langstrumpfs „Taka-Tuka-Land". 1982 titelte Langnese in einer Anzeige „Dolomiti ist riesig!"­und ließ dreispitzig bemützte Zwerglein darauf Ski und Bob fahren, von den schneebedeckten weißen Gipfeln über die rote Himbeerzone zum Grün am Boden (wo es immer tropfte ...). Als irgendwann das knallige Grün bei einer Revivalproduktion durch gesündere und natürlichere Farbstoffe (Stachel­beereis an Stelle von „Wald­meister")­ausgetauscht worden war, ging ein Aufschrei durch die Republik, nur vergleichbar dem, der den Verlust der grünen Gummibärchen in der Haribo-Mischung begleitete. „Brauner Bär" wiederum war ursprünglich als Indianername mit einem Bild verknüpft, das die „Winnetou"-Generation ansprechen sollte: Ein reitender nordamerikanischer Ureinwohner mit üppigem Federschmuck und Pfeil und Bogen zierte die Werbetafeln. 1979 gab es als Reklamegag sogar extra „Brauner Bär"-Comics im Rahmen der begehrten „Silberpfeil"-Hefte. Das Eis selbst zeichnete sich durch Seite

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einen weichen Karamellkern aus, das den Stiel in der Mitte des hellbraunen Karamelleises mit Schokomütze einhüllte und das Genussfinale bildete. Die Langnese-Designer kreierten überdies Eis als Figuren wie „Tom" und „Jerry" (eine blaue Katze und eine rote Maus – nachdem die Serie 1976 erstmals im ZDF lief), „Pumuckl" oder „Dracula" (1984); „Grünofant" und „Ed von Schleck" waren sogar eigens erfundene Gestalten. Der „Grünofant", ein runder grüner Elefant, stellte ein „Waldmeister"-Eis dar. „Ed nasiger, von Schleck" dagegen war ein lang­ bebrillter Eislecker mit Basecap. Der junge „Adelige" tat sich durch erfolgversprechende Besserwissersprüche hervor: „Buddy-building? Papperlapapp! Wer kräftig schleckt, macht auch nie schlapp!" Manchen „Fix und Foxi"Heften lagen 1982 Aufkleber bei, die diese Figuren zur Zierde der Kinderzimmer machen sollten. In den 80ern kamen immer wieder neue, nicht in jedem Fall langlebige Produkte auf den Markt. „Calippo" punktete in einer Pappverpackung mit der anzüglich interpretierbaren „Bedienungs­ an­ lei­ tung": „Unten auf die Tube drücken und das Eis von oben lecken – auf und nieder, immer wieder!", und „Twister" (zu Deutsch: „Wirbelwind") sah einfach als in sich gedrehtes Eiskunstwerk toll aus. Parallel gab es aber auch all die Jahre die so genannten Hausbecher oder klassischen Familien­packungen mit portionierbarem Eis (wie „Haiti", „Darling" oder „Königsrolle") für den gemeinsamen Nachtisch. Die Reklame bot dazu festliche Szenerien oder romantische Anlässe, glückliche Kinder und liebevolle Muttis. Herstellungstechnische Neuerungen machten „Viennetta" ab 1984 zum Star unter ihnen: Das so genannte Blätter-Eis ähnelt mit den wellig gelegten, sehr dünnen, knackigen Schokoladeund Vanille­ creme­s chichten eher einem Konditor werk . Ebenfalls ein Hit wurde ab seiner Einführung 1986 „Nogger Choc", ein klassisches „Nogger", dessen Schoko­lade­ eis­kern durch

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Tennisschläger nachempfunden sein sollte. Langnese bot ab 1985 „Pumuckl"-Eis an, dessen Gesicht einen Kaugummi als Nase enthielt. Sprechende Namen hatten Langneses „Flutschfinger" aus rotem (und später auch andersfarbigem) Wassereis in Form einer Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger oder der fußförmige „Plattfuß" aus pinkem Milcheis mit vanillefarbigen Punkten. Der Fantasie waren keine Grenzen mehr gesetzt. Den größten Werbe-Erfolg landete Langnese Mitte der 80er Jahre, als eine Serie Spots auf der Kinoleinwand

abbeißbare Schokolade ersetzt worden war, so dass das Eis eigentlich nur die Füllung zwischen zwei unterschiedlichen Schokoschichten bildet. „Magnum" ist so betrachtet nur eine konsequente Fortentwicklung dieses genialen Konzepts mit glatter Hülle. Konkurrenz für Langnese (bereits seit 1962 als Langnese-Iglo GmbH Teil von Unilever) gab es derweil durch mehrere Firmen: Oetker, Warncke, Schöller (jetzt Nestlé) oder auch die von den meisten Eltern gehassten Schleckschläuche („Bussy") mit gefrorenem, gefärbtem Zuckerwasser machten Kinder fast genauso glücklich. Ohnehin hatten sie auf dem Dorf nicht wirklich die Wahl: Die Verträge des örtlichen Einzelhandels wurden mit der einen oder anderen Firma geschlossen, und dann gab es eben das Warncke-, Schöller- oder Langnese-Fähnchen am kleinen Laden in der Ortsmitte. Wer Glück hatte, konnte alternativ eine andere Fahne an der Gaststätte finden, die ihre Kühltruhe mit den mehr geliebten Produkten füllte. Die nachmittäglichen Öffnungszeiten waren jedenfalls allen Grundschülern bekannt! Auch wusste jeder genau über die Sorten Bescheid, und manchmal war die Enttäuschung groß, wenn eine bestimmte ausverkauft war. Bei Klassikern gab es Ähnlichkeiten zwischen den Angeboten der konkurrierenden Firmen, ein extra kleines Milcheis wie „Mini-Milk" oder ein Cola- oder Orangenwassereis boten die meisten, auch eine nussig oder fruchtig gefüllte Waffeleistüte. Später übertrafen sie sich dann zu bestimmten Themen: 1979 gab es beispielsweise direkt parallel zum Raumschiff-förmigen „Alpha Star" von Langnese ein „WeltraumEis" von Dr. Oetker namens „Yazza" (ein orange-gelbes Zitroneneis mit grüner Spitze). Die als „Kicker-Eis" von Schöller lancierte transparente Plastikröhre, in der sich die runde Trägerplatte am Stiel nach und nach hochschieben ließ, beglückte als Hülle von „Ed von Schleck" auch Langnese-Fans. Besonders attraktiv waren für die Entdeckungsfreudigen das konische Milcheis namens „Balla" mit integriertem Kaugummi in der erst zum Schluss erreichbaren Spitze oder ein vergleichbares Objekt namens „Slop" (von Muku) oder auch das 1986 zu Ehren von Tennisstar Boris Becker durch Schöller eingeführte „Bum-Bum"-Eis mit dem Kaugummistiel, das offenbar einem GoodTimes

Furore machte. Mit der Ohrwurm-Happy-Musik "­Like Ice In The Sunshine" unterlegt, erleben hier gutgelaunte Menschen mit Eis am Stiel in den Händen skurrile Alltagssituationen mit viel Slapstick. Ein Einparkender wird zu weit an ein anderes Auto herangelotst, bis es kracht (der lotsende Dreikäsehoch rennt einfach weg), ein Monteur leckt beim Beobachten anderer gedankenverloren an seinem Öl-verschmierten Schraubenschlüssel, diverse Menschen sonnen sich am Strand. Legendär sind dabei die drei Nonnen, unter deren gelüftetem Habit bunte Badeanzüge erscheinen, oder die Schönheit mit der riesigen Sonnenbrille, die einer Anmache begegnet, indem sie die Antenne des ferngesteuerten Spielzeugautos verbiegt, das ihr ein Eis gebracht hat (das Eis nimmt sie trotzdem). Sehr vergnüglich anzusehen waren auch der eincremende Mann, der beim Beobachten eines Surfers seine Partnerin fast in Sonnenmilch ertränkt, der Hund, der ungeniert seinem Frauchen das Eis klaut, und das japanische Paar, das sein Eiskonfekt elegant mit Stäbchen isst. Das fröhliche Markisenobjekt als Werbesignet, das in den Spots auch als großer Aufblasball, Kühltasche, Sonnenschirm und kesser Badeanzug auftaucht, wurde 1998 gegen ein stilisiertes Herz ausgetauscht, die hübsch gestreiften Mülleimer mit dem blauen Schriftzug gegen die mit dem neuen LangneseLogo ausgewechselt. In der „Berliner Zeitung" vom 18.2.1998 beschrieb Kai-Hinrich Renner das Ganze schockiert so: „Als würde der Marlboro-Mann durch einen Pinguin ersetzt." Aber die kalten Süßwaren werden trotzdem nach wie vor heiß geliebt ...

Literatur zum Nachlesen für alle Fans des Frostigen: Langnese – Das große Buch der Eisrezepte Über 200 Vorschläge und Tips für jede Gelegenheit Hamburg (Hoffmann und Campe) 1979 Irmgard Kühne: Eiskrem zu allen Jahreszeiten In: Das Beste aus Reader's Digest 8/1968, S. 33–36 Oliver Maria Schmitt: Capri oder Split? In: „Zeit" Nr. 34/2012, online-Version Jochen Siemens: Ich & mein Magnum Der Kältekolben ist das Größte In: „Stern" 27/1994, S. 108/109 Kathrin Bonacker 1/2018

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Der Meisterschütze und der letzte Mohikaner fesselten Babyboomer

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Büchern griffen auch Comics und Filme, Hörspiele und Spielzeug s hätte uns seinerzeit zwar nicht interessiert, den spannenden Stoff auf. aber eine nette Anekdote – und zudem belegt – ist es doch: Lange vor uns Babyboomern hat sich In seinen Hauptwerken interpretierte Cooper wesentliche schon der alte Goethe von Geschichten begeistern lasGründungsmythen Amerikas und prägte damit lange Bilder in den sen, die der erste amerikanische Berufsschriftsteller Köpfen entscheidend verfasste. Besagter James Fenimore Cooper ist mit mit. Vergessen waren fünf Bänden eines Werks in die Weltliteratur eingejedoch schon Ende gangen, dessen Hauptfiguren durch edle Haltung des 19. Jahrhunderts und unverbrüchliche Freundschaft beeindruckten. 27 seiner Romane Die Rede ist von Häuptling Chingachgook, dem in Deutschland sprichwörtlich gewordenen letzten James Fenimore Cooper – erster ebenso wie politiMohikaner, und von Berufsschriftsteller in den USA sche und historische Schriften. Lediglich einer seinem Freund Natty Bumppo. Unter seiseiner Seeromane, „Der nem Rufnamen wurde Letzterer berühmt, Rote Freibeuter", fand bis bezeichnete man ihn doch wegen seiAnfang der 60er Jahre hier ner Leggings als „Lederstrumpf". zu Lande noch Verlage Seine anderen Beinamen sind ehrenund stieß auf Nachfrage. voller: „Wildtöter", „Falkenauge" oder „Lederstrumpf " aber „Lange Büchse" nannten ihn Indianer wurde zum Inbegriff des wie Siedler, weil er nie danebenschoss. Abenteuerromans bis weit Diese ehrfürchtigen Titulierungen sorgin die zweite Hälfte des ten dafür, dass seine Rolle gerne von 20. Jahrhunderts hinden Jahrgängen 1955 bis 1969 ausgeein. Die Bücher boten alle wählt wurde, wenn es denn um Trapperwesentlichen Elemente, und Indianer-Spiele ging. Neben vielen Seite

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Bertelsmann. Daneben gab es so bezeichnete Gesamtausgaben, wie etwa aus dem Südwest-Verlag, wo 1959 der gesamte Stoff von 2500 Seiten auf rund 330 Seiten eingedampft worden war. Eigentlich stimmten nur noch Hauptpersonen, Rahmenhandlung und Titel überein. Die jugendlichen Leser störte das damals allerdings nicht; vermutlich hat es ihren Zugang zu Büchern überhaupt sogar erst ermöglicht. Aus Amerika stammende Rivalen um ihre Gunst waren anfänglich Daniel Boone und Davy Crockett. Auch diese Helden mit Biberfellmütze statt Cowboyhut fanden bis Anfang der 60er Resonanz, vermochten aber doch nicht so stark zu beeindrucken wie Lederstrumpf.

die später unzählige Male in Medien aller Art verwendet und variiert wurden: weiße Pioniere und Ureinwohner, endlose Wälder und Seen, Kämpfe um Forts und Blockhütten, dazu nachhaltig beeindruckende Accessoires vom Marterpfahl bis zum Medizinmann. Den historischen Hintergrund bildeten die Kolonialkriege zwischen England und Frankreich, in denen Lederstrumpf als Kundschafter auf Seiten der Engländer auftrat. Verbündete suchten und fanden die Kriegführenden jeweils bei indianischen Völkern.

In diese Konflikte wurden die beiden Helden mit Anfang 20 ver­ wickelt, als sie 1740 auf ihren Die ersten vier Bände spielten im Nordosten der USA zwischen Ontario-See und Albany. ersten Kriegspfad gingen. Rund In der jungen Bundesrepublik gehör250 Kilometer nördlich ten Coopers Erzählungen für Eltern, von Manhattan trafen Erzieher und Verlage auf jeden Fall sie sich im Wildtöter zum respektablen Kanon mit nach am Otsego-See, der zu der Nazi-Zeit anständigen Vorbildern, jener Zeit noch tief im „zu denen Jugend aufschauen kann", Indianerland lag. Heute so beispielhaft Ensslin & Laiblin im erinnert am Ufer ein Jahr 1951. Amerika war nun der große Denkmal an die liteFreund und amerikanische Kultur – im rarische Hauptgestalt. Westen – wieder willkommen. Im für Etwa 150 Kilometer Rekonstruktion des Forts William Henry am Lake George den deutschen Buchhandel maßgebentfernt am Georgelichen „Börsenblatt" zählte der Autor See kann man das rekonstruierte Fort William Henry besichtigen, ab 1947 stets zur Spitzengruppe, das im Roman „Der letzte Mohikaner" eine zentrale Rolle spielt. Der wenn Befragungen junger Leser nach Autor kannte sich gut aus im Norden des heutigen Bundesstaates ihren Vorlieben vorgestellt wurden. Chingachgook und Lederstrumpf warben New York, schließlich war er dort aufgewachsen. Sein Vater hatte 1790 auf einem Buchcover ab 1959 Untersuchungen im Auftrag der die Niederlassung Cooperstown gegründet, die dem Schriftsteller als Jugendschriftenwarte kamen einige Jahre später zum selben Ergebnis: Vorbild für den Ort Templeton im vierten Band, „Die Ansiedler", dien„Bei den Jungen lagen te. Der junge James Fenimore erlebte in dem Vorposten alltäglich die Bücher von Cooper, Ankunft von Trappern, die Jagdbeute mitbrachten und aufregende May und Stevenson an Geschichten erzählten. Diese packende Stimmung übertrug sich noch der Spitze" (1959/60). 150 Jahre später in deutsche Kinderzimmer und Spielwelten, in denen Weitere zeitt y piin den 50er und 60er Jahren die Babyboomer aufwuchsen. sche Jugendmedien, namentlich Comics und Hörspiele, nutzten die attraktiven Stoffe von Cooper ebenfalls und warben dafür mit speVerlage köderten mit Clubausweisen für junge Lederstrümpfe, zifischen Clubausweisen um 1960 – Nachdruck Melzer Verlag für junge Lederstrümpfe. Sowjetische Briefmarkenausgabe zu Ehren des 200. Geburtstages von J. F. Cooper, 1989 Schon Mitte der 50er erschien im auf Abenteuerromane spezialisierten Verlag Gerstmeyer eine von Willi Kohlhoff gezeichnete Comicversion Schrittweise hatte sich nämlich mit Dutzenden von sprachlich bearbeides Wildtöters. teten und radikal gekürzten Ausgaben das Image in Richtung Kinderund Jugendbuch verschoben. In der Ausgabe des W. Fischer-Verlages Für den Titanus-Verlag realisierte 1955/65 der spätere Sigurdetwa schnurrte der Umfang des ursprünglichen Mohikaners von 550 auf Schöpfer Hansrudi Wäscher zwei Lederstrumpf-„Großbände", die 1994 knapp 80 großzügig bedruckte Seiten zusambeim Hetke-Verlag einen Nachdruck men. Auf dem Cover zeigte erlebten. Als noch ertragreicher das um 1960 weit vererwies sich ein Unternehmen des breitete Buch sachfremd, Bildschriftenverlags, der mit seinen aber anziehend Tipi und „Illustrierten Klassikern" ab 1956 über Prärie-Indianer. Coopers fast zwei Jahrzehnte reüssierte. Zu Indianer freilich lebten in den Bestsellern des umfangreichen Hütten und sahen anders Programms zählten die Titel „Der aus. In dieser „Göttinger alte Trapper" (Nr. 39, Palais/Palais) Jugendbücher" genannten sowie „Der letzte Mohikaner" (Nr. 76, Reihe erschienen ebenSeverin/Cole). Beide Hefte brachten so alle fünf Bände wie Göttinger Jugendbuch" mit " es auf vier Auflagen mit jeweils huneiner klassischen Indianerszene, zum Beispiel in Fassungen Sammelbild von Nussela, Ende 50er: Aufbruch aus Fort Edward – derttausenden von Exemplaren. Wer von Thienemann oder Anfang der 60er Einstiegsszene aus Der letzte Mohikaner" "

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sich auf entsprechenden Börsen oder im Netz umschaut, wird überdies auf Sammelbilder samt Alben stoßen. Hohe Mengeneffekte schließlich verzeichneten die Abenteuer in den 60er und 70er Jahren über Hörspiele, die namentlich vom Label Europa ertragreich auf Schallplatten oder dann auf den zeittypischen Kassetten diverser Firmen Hörkassette angeboten wurden.

sich sogar länger als im Westen großer Beliebtheit bei Jung und Alt. Deshalb fand auch eine Spielzeugfigur als Teil einer Wildwestserie große Nachfrage. Die brandenburgische Firma Wiederholz hatte ihr Programm von sieben Zentimeter großen Lineolfiguren schon Mitte der 30er Jahre mit einem passablen Lederstrumpf bestückt; diese Tradition setzte der VEB Lineol unter DDR-Bedingungen dann fort. So wie das abgebildete Motiv erscheint der Held im Roman „Pfadfinder" als nicht mehr junger Mann, und das Gewehr hat tatsächlich die überlieferte Länge. Als die Figurenproduktion von Masse auf Kunststoff umgestellt wurde, galt dies auch für dieses Modell, das auf sechs Zentimeter geschrumpft bis in die 1990er Jahre von Marolin hergestellt wurde. In Westdeutschland gab es nur kurzfristig, 1948 bis 1953, bei der Firma Frömter einen Lederstrumpf, der zudem wenig attraktiv ausfiel. Aber auch in westdeutschen Spielzeugläden fanden sich geeignete Modelle, die im Spiel überzeugend als Lederstrumpf deklariert werden konnten ...

Auch die bewegten Bilder nahmen sich des populären Stoffs mehrfach an. Insgesamt 13 Filme wurden ab 1909 nach Coopers Motiven gedreht. Ein Wildtöter war Ende der 50er der letzte Beitrag aus Hollywood, ein auch in Europa recht erfolgreicher B-Western mit Lex Barker Hellmut Lange war der Lederstrumpf im ZDF-Vierteiler in der Hauptrolle. Dessen Auftritt beeindruckDabei war unser nachempfundener Wilder Westen eigentlich nicht te den Produzenten Horst Wendlandt so, dass er ihn wenig später der von Cooper gemeinte: Bei den Handlungsorten seiner ersten vier samt Lederstrumpf-Kostüm als Old Shatterhand engagierte. Hier zu Bände handelte es sich um die noch dichten Waldgebiete nordöstlich Lande sorgte über Weihnachten 1969 dann eine TV-Verfilmung für des Mississippi. Das waren also nicht die weiten Prärien der Sioux nachhaltige Wirkung. Als Weihnachtsmit ihren Federhauben oder die kargen Vierteiler werden insgeEinöden der Apachen mit ihren charakteris­ samt 16 TV-Verfilmungen tischen Stirnbändern, sondern dort streifbezeichnet, die ab 1964 ten kahlgeschorene Irokesen, Huronen oder erstausgestrahlt wurden. Delawaren durch eine wasserreiche Wildnis. Vom ZDF in internationaler Es wurden da keine Büffel gejagt, und Co-Produktion hergestellt, Eisenbahnen gab es auch noch nicht. Auf basierten sie auf Klassikern der Flucht vor der Zivilisation, der er den der Weltliteratur wie „Die Weg bereitet hatte, war der „alte Trapper" Schatzinsel", „Der Seewolf" im fünften Band schließlich westwärts über oder eben „Lederstrumpf". den Mississippi zu den Pawnees, einem Vom 22. bis 28. Dezember Volk der Dakotas, gezogen. Nicht mehr 1969 fegte der letztgeals starker Held, sondern als gleichwohl nannte Titel die westdeutEine Langspielplatte von 1977 beeindruckender Greis, weit über 80, trat schen Straßen leer. Die aus ostdeutscher Produktion. Auch in der DDR waren Coopers Geschichten vier Episoden zu je einLederstrumpf populär – Defa-Film von 1967 mit Gojko einhalb Stunden „frei nach im Roman „Die Prärie" auf. Schauplatz Mitic als Chingachgook. war nun der uns heute vertrautere ameriden Romanen von Cooper" kanische Westen. Bleichgesichter freilich lockten zur besten Sendezeit heute unglaubliche 39 Millionen waren um 1800 in den Prärien und Rocky Zuschauer vor den Bildschirm. Mountains noch äußerst rar. Der Schauspieler Hellmut Lange, der diese Gestalt Auf das, was sich sechs und auch in den Europa-Hörspielen sprach, spielte recht mehr Jahrzehnte später dort überzeugend den Titelhelden. Es war seinerzeit mit rauchenden Colts noch selbstverständlich, dass die Zeitschrift „Bravo" abspielte, verlagerauf ein derartiges Ereignis mit Berichten und einem te sich das Interesse Poster reagierte. Der Vierteiler war im rumänischen bei den (west-)deutDonaudelta gedreht worden, wo seit 1966 auch die schen Babyboomern beliebten Indianerfilme der Defa entstanden waren. dann schrittweise auch Der bislang letzte Kinofilm von 1992: Star jener ostdeutschen Filme war Gojko Mitic, der Der Letzte Mohikaner unter Einfluss diverser Jahrzehnte später als gesamtdeutscher Winnetou auf Lineol-Figuren Fernsehserien aus den USA. In den 1970ern wurde der Freilichtbühne in Segeberg begeisterte. Im Jahr es in Deutschland still um Lederstrumpf. Prägende 1967 verkörperte er in der Lederstrumpf-Verfilmung stellten Lederstrumpf passabel dar Erinnerungen blieben jedenfalls abrufbar, bei den männ„Chingachgook" den Titelhelden. Der Westernexperte lichen Jahrgängen der entsprechenden Jahre. In der Joe Hembus stufte den Film 1995 als „beste unter den vielen Cooperbislang letzten filmischen Adaption setzte Regisseur Verfilmungen" ein. Anders als der bei den DDR-Offiziellen verpönte Michael Mann den „Letzten Mohikaner" 1992 mit Daniel Day-Lewis als Karl May war Cooper wohlgelitten. Als Opfer von Kapitalismus und Falkenauge sehr hart und zivilisationskritisch in Szene. Heute greifen Imperialismus standen die Indianer ideologisch auf der korrekten Seite, manche der vor und nach 1960 geborenen jungen Leser neugierig und Lederstrumpf, „ein Mann von sehr edler menschlicher Gesinnung", zu den authentischen Originaltexten und lesen mit Gewinn auch die war verlässlicher „Freund mit den Indianern" – so der bemühte Passagen mit Naturbeschreibungen oder langen Dialogen, die sie früher Begleittext der abgebildeten Litera-Schallplatte für junge Hörer. abgeschreckt hätten. Der renommierte Hanser Verlag veröffentlichte 2013 einen Originaltext des „Letzten Mohikaners". Goethe wiederum Insofern waren in der DDR ebenfalls schon in den 50er Jahren alle Malte Ristau wäre mit dieser Lesart sicher sehr zufrieden gewesen. „Lederstrumpf"-Romane neu veröffentlicht worden und erfreuten Seite

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50 Jahre Geldautomaten

Die Idee, die aus der Badewanne kam! Die Idee seines Lebens hatte John Shepherd-Barron (1925– 2010) an einem Samstagabend – in der Badewanne. Der Schotte war zuvor zur Bank geeilt, um einen Scheck in Bargeld zu wechseln, doch die Filiale hatte bereits geschlossen, und er musste deshalb bis Montag warten. Selbstbedienungsautomaten fĂźr SĂźĂ&#x;igkeiten gab es bereits, warum also keine Automaten fĂźr Bargeld, dachte sich der Manager. Shepherd-Barron tĂźftelte dann zwei Jahre an seinem Konzept, bis schlieĂ&#x;lich die britische GroĂ&#x;bank Barclays die Idee umsetzte und 1967 den ersten Geldautomaten in Betrieb nahm.

Provisionen, wenn es ihnen gelang, Verbraucher von der neuen Geldmaschine zu Ăźberzeugen. Die Herausforderungen an die Geräte waren weltweit die gleichen – und doch ganz unterschiedlich. Sie mussten das Geld mit 100-prozentiger Zuverlässigkeit zählen kĂśnnen, und zwar unabhängig davon, wie die Scheine beschaffen waren: Druckfrische Banknoten hafteten wegen ihrer glatten Oberfläche aneinander, alte, zerknĂźllte Scheine klebten oder waren beschaffen wie TaschentĂźcher. Einige Länder hatten kleine Banknoten, andere postkartengroĂ&#x;e. Der Automat musste sie alle greifen kĂśnnen und durfte bloĂ&#x; nicht aus Versehen zwei auf einmal ausgeben. er erste Versuch: Der amerikanische TĂźftler Luther George Am 27. Mai 1968 Ăźbernahm die Kreissparkasse TĂźbingen in BadenSimjian war seiner Zeit damals weit voraus, als er 1959 sei­ WĂźrttemberg als erste deutsche Bank die Idee aus nen „Bankographen" patentieren lieĂ&#x;. Und GroĂ&#x;britannien. Der Automat funktionierte bereits mit auch wenn das Gerät an sich noch kein Geld ausge­ einer Lochkarte, nutzen durften ihn jedoch nur rund ben konnte, sah es doch den heutigen Automaten 1000 ausgewählte Kunden. Der Auszahlungsbetrag war auf erstaunlich ähnlich. Die Kunden sollten Schecks damals stolze 400 DM begrenzt. Man benĂśtigte anfangs einwerfen kĂśnnen, diese wurden vom Automaten noch einen Safe-SchlĂźssel, um an das Geld heranzukom­ abfotografiert, und der entsprechende Geldbetrag men. Und so verwunderte es kaum, dass der eigentliche stand dann zur Ausgabe bereit. Doch seine Idee Durchbruch der Geldautomaten erst in den 1980er Jahren setzte sich nicht durch, und Simjian schrieb frus­ begann. 1982 gab es gerade einmal rund 100 Geräte in ganz triert: „Es scheint, dass die einzigen Leute, die Deutschland. Den Geräten der ersten Generation fehlte die diese Maschinen benutzten, eine kleine Anzahl von Verbindung zu einem Zentralcomputer, um Informationen Prostituierten und GlĂźcksspielern waren, die sich nicht dem Kassierer zu erkennen geben wollten." Reg Varney zieht als erste Person abzugleichen, jeder Geldautomat war sozusagen eine Insel ohne Anbindung. Erst mit EinfĂźhrung des Magnetstreifens Aber auch der Geldautomat, den John Shepherd- weltweit am 27. Juni 1967 einen und der damit verbundenen Sicherheit des Geldabhabens Barron acht Jahre später erfand, wurde 1967 nicht Zehn-Pfund-Geldschein stieg die Zahl deutlich an. Ăźber Nacht zum Wundergerät, das alle benutzen In den 1990er Jahren wollten. Er war vielen zunächst suspekt! Und das waren es bereits 40.000, war nicht verwunderlich, denn die Technik der heute sind es rund 60.000 Automated Teller Machines (ATM) war alles andere Automaten bundesweit. als ausgereift. Damit die Automaten Ăźberhaupt 50 Jahre nach sei­ die Informationen der Schecks auslesen konnten, ner Erfindung ist der mussten diese mit einem leicht radioaktiven Stoff Geldautomat aus dem Ăźberzogen werden. Die ersten Geldautomaten in Alltag nicht mehr weg­ Das alles stĂśrte den Schauspieler Reg Varney – der Deutschland funktionierten zudenken. Ăœber drei durch seine Rolle als Stan Butler in der „Sitcom On noch mit einer Lochkarte Millionen Geräte haben die Banken inzwi­ The Buses" bekannt wurde und nicht, schen weltweit aufgestellt. In jedem Automaten als er als erste Person weltweit am 27. stecken bis zu 500.000 Euro. Der rund eine Juni 1967 in der Filiale der Barclays Tonne schwere Tresor hat standardmäĂ&#x;ig vier Bank in Enfield (GroĂ&#x;britannien) einen Kassetten fĂźr jeweils rund 3000 Scheine. Allein Zehn-Pfund-Geldschein ziehen durfte. in Deutschland werden jeden Tag rund eine Mehr gab der Automat nicht heraus. Milliarde Euro von Bankautomaten abgehoben, „Aber das reichte damals fĂźr ein wil­ das sind 60 Prozent aller Bargeldabhebungen. des Wochenende", erklärte Erfinder Und die Geräte werden immer schlauer. In Shepherd-Barron in einem BBCSpanien ist es schon lange Ăźblich, auch Tickets Interview. Die Barclays Bank hatte Feierliche GeldautomatenfĂźr die U-Bahn oder das FuĂ&#x;ballstadion Ăźber Ăźbrigens an diesem Tag sicherheits­ BegrĂźĂ&#x;ung mit Pauken und den Bankomat zu ziehen. Shepherd-Barron halber noch einen Mitarbeiter hinter Trompeten wäre stolz gewesen! UrsprĂźnglich wollte er Ăźbrigens eine sechsstellige dem Automaten positioniert, damit der die Geldscheine notfalls hätte PIN verwenden. Die erschien seiner Frau jedoch zu lang, also nahm er durchschieben kĂśnnen ... Ganz geheuer war anscheinend selbst den einen vierstelligen Code, der bis heute Standard ist – weltweit. Bankern die neue Technik damals noch nicht. Shepherd-Barron starb 2010 mit 85 Jahren. Sein erster Bankautomat Um das weitere Vertrauen der Kunden zu gewinnen, lieĂ&#x;en sich die in Enfield ist längst abgebaut. Reich wurde der Schotte mit seiner Banken aber fortan noch so einiges einfallen. In den USA verteilten Erfindung Ăźbrigens nicht, er hatte vergessen, sie sich patentieren zu die Geldinstitute bis in die 1970er Jahre hinein vor den Automaten lassen ... Markus NĂśth Gutscheine fĂźr Eis und Hamburger. Andere zahlten ihren Mitarbeitern

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Daniel Düsentrieb Dem Ingeniör ist nichts zu schwör Seit Mai dieses Jahres könnte sich Daniel Düsentrieb in Rente begeben. Denn in eben jenem Monat ist der Super-Erfinder 65 geworden. Aber natürlich denkt ein Genius wie dieser kauzige Bursche noch lange nicht ans Aufhören. Ebenso selbstverständlich ist allerdings, dass der seit jeher schräg denkende Querkopf sich für kurze Zeit auf seinen Lorbeeren ausruht und sich eine Auszeit genehmigt.

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or kurzem ist in der Reihe „Walt Disneys Lustiges Taschenbuch" Band 54 erschienen, der unter dem Titel „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör" voll und ganz dem schlaksigen Huhn und seiner Historie gewidmet ist. Darin schreibt Düsentrieb die Leser im Vorwort ganz konkret an und erklärt: „Meine Berufung wurde mir quasi in die Wiege gelegt, da ich schon in der Werkstatt meines Großvaters auf Entdeckungsreise ging und mir meine Spielsachen selbst zusammenbastelte. Inzwischen bin ich geprüfter Diplom-Ingenieur und habe viel Nützliches erfunden, wie zum Beispiel zahlreiche ausgefuchste Fallen, die Herrn Dagobert Ducks Geldspeicher schützen." Doch Düsentrieb fügt zugleich ermattet hinzu: „Eines Tages wächst auch mir die Arbeit über den Kopf, und mir bleibt nach einem Zusammenbruch nur noch eines: zwei Wochen Erholung bei Professor Neuritis! Zunächst genieße ich das süße Nichtstun, aber schon bald halte ich es nicht mehr aus! Es wird wieder gewerkelt, geschraubt und erfunden, und das ganze Sanatorium ist begeistert – na ja, nicht alle …" Daniel Düsentrieb: Jeder mit dem DisneyKosmos vertraute Leser kennt diesen Kauz. Doch während Donald, Dagobert und Daisy Duck oder auch das Neffen­ trio Tick, Trick und Track von allen Seiten medial beleuchtet worden sind, blieb unser Homo Universalis samt seiner Herkunft dem Fan bislang weitgehend verschlossen. Schade, denn Daniel Düsentriebs Vita gibt an Überraschendem einiges her. Der Dauer-Schrauberling mit den gelegentlich epochalen – Seite

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manchmal zugegebenermaßen auch misslungenen – Ideen hat bereits eine Menge überragender Erfindungen realisiert, regelmäßig gibt es etwas Neues aus seiner Super-Innovations-Werkstatt zu bestaunen. Obwohl der liebevoll-kuriose Zeitgenosse in erster Linie bei Multizilliardär Dagobert Duck in Lohn und Brot steht und dem alten Knauser hundertfach geholfen hat, die von diesem innigst geliebten Penunzen etwa vor den Panzerknackern und ähnlichen Tunichtguten zu bewahren, gibt der Geizhals seinem Adlatus nur wenige von seinen Talerchen ab. Ist Düsentrieb aber egal, denn materieller Reichtum interessiert ihn nicht. Es ist der geistige Reichtum, dem sich der Bursche mit der scheußlichen Denkerbrille und dem melancholischen Blick seit jeher verpflichtet fühlt. Der introvertierte, aber unbedingt humorvolle Zeitgenosse besitzt eine Sonderstellung im Comic-Reich Entenhausen, Heimat all der Ducks, Panzerknacker und des anderen sprechenden (Feder-)Viehs. Daniel Düsentrieb unterscheidet sich von den tierischen Gesellen in Entenhausen schon dadurch, dass er nicht auf nackten Füßen durch die Welt stapft, sondern

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in gepflegten Tretern. Seinen wilden Haarschopf krönt der – hauptsächlich gelbe – Sauertopf-Hut. Die Hose ist meist von braunem Farbton, hochgeschlossenes Hemd, ein biederer Pullunder plus eine Stoffweste sind obligatorisch bei ihm. Ein Kuriosum durch und durch, der Herr Ingeniör, eine Ausnahmefigur im Disney-Universum. Kein Wunder bei einem solchen Charismatiker, dass bis zu seiner „endgültigen" Geburt etliche Jahre ins Land zogen. Walt Disneys bekanntester Zeichentrickautor und -illustrator Carl Barks entwickelte bereits 1937 für den Disney-Film „Interior Decorators" mit Golly Goose gleich zwei Figuren eines Vetters vom Lande, die Donald Duck vor allem nerven sollten. Einer war wohlproportioniert, wurde Gus Goose genannt – und firmiert in Deutschland seither als Franz Gans. Der Dünnere der beiden fand zunächst keine rechte weitere Verwendung und blieb dann erst mal verschollen, ehe Barks ihn 1952 wieder aus der Versenkung zauberte. Er trug damals den Namen Gyro Gearloose. Also war er ein Typ mit doppeldeutigem Hintergrund, denn man kann den Begriff mit „lockeres Zahnrad" wie auch mit „eine Schraube locker haben" assoziieren. Die unsterbliche Disney-Übersetzerin Erika Fuchs verpasste dem Burschen auf Deutsch schließlich den gleichfalls unsterblichen Namen Daniel Düsentrieb. Und was hat der Kerl bis heute nicht alles erfunden: Dunkellicht, Schwarzlicht, die schwebende Hängematte, den Materietransmitter, den Schalllöscher bis hin zum gnadenlos gründlichen Angelwurm. Vom 3-D-Shop für den normalen Hausgebrauch in der neueren Zeit ganz zu schweigen ... Dass Carl Barks so sehr an der Figur Daniel Düsentrieb hing und seinen Werdegang stets mit großem Augenmerk verfolgte, hat einen ganz einfachen Grund: Der Zeichner war passionierter Tüftler und wäre laut eigenen Angaben am liebsten selbst von Beruf Erfinder geworden. Sollte aber letztlich nicht sein: daher Daniel als – gezeichnetes – Alter ego. Dessen Eingebungen übrigens immer wieder Einzug in die Realität hielten: So dachte sich Barks einst eine Möglichkeit aus, wie Donald und seine Neffen ein versunkenes Schiffswrack kostengünstig an die Erdoberfläche heben könnten: Das Entenquartett pumpte Pingpong-Bälle in das Wrack, so viele, bis dieses nach oben getragen wurde. Jahre später setzte ein skandinavischer Ingenieur diese Methode in die Wirklichkeit um. Obwohl er statt der Pingpong-Bälle Styroporkugeln benutzte, konnte er sich die Methode dennoch nicht patentieren lassen, weil sie dank des Erfindungsreichtums von Barks längst bekannt war. Daniel Düsentrieb tauchte das erste Mal in „Walt Disneys Comics And Stories" im Mai 1952 auf, ihm sind dort gerade mal fünf Bilder gewidmet: Er hopst auf einer Hüpfstelze an Tick, Trick GoodTimes

und Track vorbei, möchte damit Sahne in Butter verwandeln. Was für ein ungeschickter Trottel! Mit einer Erfindung, die selbstredend nicht funktioniert. Doch bereits im nächsten Heft bekam Düsentrieb seine erste Hauptrolle, er entwickelte die „Denkkästen", die Tieren das Reden in der menschlichen Sprache ermöglichten. Sein Durchbruch in der Öffentlichkeit war geschafft! Drei Jahre später war Daniel in der Disney-Welt dann endgültig etabliert, und er bekam seine erste eigene vierseitige Geschichte. Zudem stellte man ihm einen Ansprechpartner an die Seite: die skurrile drahtige Figur „Helferlein" mit dem Glühbirnenkopf. Mit diesem weitgehend stummen Kompagnon hat der Introvertierte seither jede Menge oft wunderlicher Erfindungen ausgebrütet. Allein 180 davon sind in der „Carl Barks Library" aufgeführt, darunter abnehmbare Wände, Portraitkameras und Telefonhörerhalter. In jüngster Zeit sind auch hypermoderne Ideen aus dem digitalen Zeitalter realisiert worden. Revolutionär! Düsentriebs Seelenverwandter „Helferlein" ist wohl eine der außergewöhnlichsten Gestalten, die der weiten Ideenwelt von Carl Barks ­ je entsprungen sind. Der „Little Helper", wie er im amerikanischen Original genannt wird, wurde im September 1956 erstmals gezeichnet. Er besteht kurioser Weise aus einer Glühlampe und wenigen Drähten – und ist gleichzeitig Vorläufer der heutzutage so viel propagierten „Künstlichen Intelligenz". Donald Duck brachte ihn als defekte Lampe zu Düsentrieb, damit dieser sie repariert. Doch alles entwickelte sich ganz anders, denn Daniel bestrahlte die Glühbirne mit seinen „Intelligenzstrahlen". Seitdem besitzt das Faktotum ein ungeahntes Eigenleben, und dieses Individuum und Düsentrieb bilden ein unzertrennliches kongeniales Paar, sind ein Herz und eine (technische) Seele. Fazit: Der Name Daniel Düsentrieb steht heute wenigs­ tens im deutschsprachigen Raum für diesen grandiosen, immer etwas schusselig wirkenden Erfinder. Nicht umsonst hat die Technische Universität HamburgHarburg zusammen mit dem Verein Deutscher Ingenieure auch einen DanielDüsent r ieb-Wet tbewerb ausgeschrieben, in dessen Rahmen seit 2000 jährlich ein Preis an innovative Schulen verleiht wird. Also ein Hoch auf diesen großartigen Tüftler. Auf dass er sich noch lange nicht aufs Altenteil zurückziehen möge. Eine human ausgerichtete Welt braucht Erfindungen wie die seinen. Selbst wenn sie in der Realität nicht immer so funktionieren, wie vom Urheber erdacht … Michael Fuchs-Gamböck 1/2018

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Foto: © NikMa Verlag

NDW-Ikone, internationaler Star und mehrfache Mama

Hagen, das war Ende der 70er Jahre ein Jungbrunnen der deutschen Pop- und Rockmusik. Die HumpeSchwestern Annette und Inga kamen von dort. Kai „Havaii" Schlasse sowie Stefan „Kleinkrieg" Klein und ihre Band Extrabreit, aber auch Grobschnitt (und später noch der Remixer Mousse T.). Und eben The Stripes, die Combo mit der herrlich frisch und unbedarft rüberkommenden Frontfrau Gabriele Susanne Kerner. Sie alle konnten wohl herzlich wenig mit den Schlagern des eine Seite

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osgegangen ist alles damals in der tiefsten musikalischen Provinz, genauer in Breckerfeld im Sauerland. Dort gehörte bei Familie Kerner – Eltern und drei Kindern – das gemeinsame Singen zum Alltag. Und mittendrin mit Schwester und Bruder die am 24. März 1960 Erstgeborene Gabriele Susanne. „Wir haben viel gesungen – und all die Lieder, die ich für mein Album DIE SCHÖNSTEN KINDERLIEDER 1994 ausgewählt habe, sind Sachen, die ich selbst noch kenne, die wir damals zum Besten gegeben haben", erinnerte sich Nena vor einigen Jahren im Gespräch mit kult! . Von Breckerfeld zog die Familie dann ins südwestfälische Hagen, dem Tor zum Sauerland – und dort nahm schließlich eine Erfolgsgeschichte ihren Anfang, die mittlerweile vier Dekaden anhält und gerade in das Album NENA 40 und eine Anfang Oktober gelaufene große TV-Show im ZDF mündete.

Generation älteren Freddy Breck anfangen, der ebenfalls aus der durch den Brandt-Zwieback und ihre Fernuniversität bekannt gewordenen Stadt stammte. Wie übrigens auch der zu Kult-Ehren avancierte legendäre Drehbuchautor Herbert Reinecker. Das Gymnasium verließ Nena nach der elften Klasse, absolvierte im Anschluss eine Lehre zur Goldschmiedin – und sang bei den 1978 gegründeten Stripes, damals noch auf Englisch, wie das im Jahr 1980 erschienene selbst betitelte Album und fünf zwischen 1979 und 1981 produzierte Singles belegen – auf deren letzter sie fragte: „Don’t You Think I’m A Lady?" Am Schlagzeug saß ihr damaliger Freund Rolf Brendel, der schon kurz nach dem ersten TV-Auftritt in Ilja Richters „Disco" 1981 mit Nena dann nach Berlin­

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weiterzog, um dort fortan mit deutschen Texten und peppigen Kompositionen die Neue Deutsche Welle aufzumischen. Und es ging ja auch gleich richtig flott los: Schon "Nur geträumt" schaffte es im Mai 1982 in die Charts, nicht zuletzt befeuert durch einen TV-Auftritt im „Musikladen" des TalentTrüffelschweins Mike Leckebusch. Doch so richtig knallen sollte es für die namensgebende Sängerin und ihre Mitstreiter Brendel, den Keyboarder Uwe Fahrenkrog-Petersen, den Gitarristen Carlo Karges (ebenfalls aus Hagen mit Extrabreit-Vergangenheit) und den Bassisten Jürgen Dehmel im Januar des Folgejahres: ­ "99 Luftballons", das allgemein als Antikriegslied verstanden wurde und irgendwie perfekt in die Zeit des Kalten Krieges und der Diskussion über die atomare Aufrüstung passte. Und nicht nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz stiegen die Luftballons hoch in den Himmel: Auch in Großbritannien ging es bis auf die TopPosition (ebenso in Japan, Australien, Mexiko und Kanada), und selbst in den USA reichte es für Platz 2: Nenas Bekannte Christiane F. hatte die Single mit nach Amerika genommen, wo sie ihren Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" promotete. Dort geriet der Song dem Radio-DJ Rodney Bingenheimer in die Hände, der sie auf dem populären Sender K-ROQ dauerrotieren ließ. Und auch MTV sprang mit auf den Abspielzug.

Foto: © Didi Zill

Auch nach der Jahrtausend­wende konnte Nena dann wieder an die frühen Erfolge anknüpfen, schaffte es beispielsweise 2005 mit "Liebe ist" an die Spitze der deutschen Charts und mit dem dazugehörigen Album WILLST DU MIT MIR GEHEN immerhin bis auf Platz 2. Ihre Autobiografie mit demselben Titel kam auf Rang 3 der deutschen Bestsellerliste. Ihr jüngstes Album war 2015 OLDSCHOOL, sie war in der dritten Staffel der TV-Reihe „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert" dabei und übernahm mit Tochter Larissa die Jurorenrolle bei „The Voice Kids".

Es war wohl eine Mischung aus musikalischer Eingängigkeit, Nenas schrillem Outfit und der in der glattgebügelten Musik- und NDWSzene eher seltenen deutlichen Haltung auch in politischen Fragen, die der Newcomerin nicht nur Aufmerksamkeit bescher te, sondern eben auch Verkaufszahlen, die die Konkurrenz oft vor Neid erblassen ließen und reichlich Gold-Auszeichnungen einbrachte. Denn es blieb nicht bei diesen beiden Hits. Weitere wie "Leuchtturm" oder "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" folgten. Und das Album ? (FRAGEZEICHEN) räumte 1984 ebenfalls ab, desgleichen das von der Kritik, nicht aber den Fans bereits kritisch hinterfragte Folgewerk FEUER UND FLAMME, auf dem die Band vermehrt mit New Wave und reichlich Synthieklängen experimentierte – und das im englischsprachigen Raum als IT’S ALL IN THE GAME ­herauskam. o: ©

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40 Jahre steht Nena mittlerweile auf der Bühne, die nächste Deutschland-Tour ist bereits gebucht, beginnt am 7. Mai 2018 in Düsseldorf und umfasste bei Redaktionsschluss 23 Konzerte. Darauf einstimmen kann man sich vorher schon mit NENA 40 – DAS NEUE BEST OF ALBUM. Es ist zwar nicht die erste Compilation der Sängerin, dafür aber die umfassendste Werkschau: Sie zeichnet den Weg einer Sängerin und ihrer Band nach, die nicht nur musikalisch, sondern auch in ihrer Außendarstellung wegweisend war und ist. Doch es gibt auch neue Lieder darauf zu hören. Beispielsweise ein Duett mit Dave Stewart (Eurythmics) – und es gibt den einen oder anderen Song als Radio-Edit, als Livefassung oder gleich in neuer Version ("Ich häng immer noch an dir" etwa als Duett mit Toc Toc). Die zweite CD der Premium Edition enthält zusätzlich Raritäten, darunter die Stripes-Nummer "Ecstasy" oder Duette mit Kim Wilde, Westbam, Olli & Remmler oder Die Atzen.

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Der Rest ist Geschichte mit weiteren Gipfelerstürmungen, jedoch auch Karriere- und privaten Talfahrten. Nena war allerdings immer präsent, auch mit besagten eingangs erwähnten Kinderliedern. „Die Idee dazu hatte ich schon während meiner ersten Schwangerschaft – ich bin eines Morgens aufgewacht, habe gedacht: ‚Das muss ich machen’ – und das dann einfach umgesetzt", resümierte die vierfache Mutter. Das war im Übrigen nicht nur die übliche Begründung für ein solches Projekt, sondern auch da spitzte Nena über den musikalischen Tellerrand hinaus: „Dass Eltern mit ihren Kindern GoodTimes

diese traditionellen Lieder singen, ist doch auch ein Stückchen Kultur – mir ist es schon ein Anliegen, dass Eltern auch die zweite Strophe mitsingen können!" Und im kult! -Gespräch hatte Nena damals zudem verraten, dass es für sie schon etwas anderes sei, Kinderplatten zu machen als „eine normale PopPlatte aufzunehmen – anders ist, dass es eigentlich eher ein Hobby ist. Wie andere Briefmarken sammeln oder sonst etwas Schönes machen, ist das für mich – völlig ohne Druck, ohne zeitliche Limitierung, einfach ganz entspannt aufzunehmen."

Und wenn Nena heute zurückblickt, muss sie ja wohl eingestehen, dass ihr ungebrochener Erfolg keineswegs "Nur geträumt" war. Es ist wohl einiges dran an dem Satz, mit dem ihre alte und neue Plattenfirma für das neue Album wirbt: „Sie klingt, tanzt und singt, als wäre sie kein Jahr gealtert", seit sie damals aus der beschaulichen Provinz des Sauerlands aufbrach, um die Musikwelt zu erobern. Philipp Roser 1/2018

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Bildungsfernsehen à la Hollywood Bei den ersten Versuchen am bedeutendsten und geheimsten Projekt " Amerikas, dem Zeit-Tunnel, gehen zwei amerikanische Wissenschaftler immer wieder im wirbelnden Strom vergangener und kßnftiger Zeitalter verloren. Tony Newman und Doug Phillips taumeln hilflos in ein neues phantastisches Abenteuer, irgendwo in den endlosen Korridoren der Zeit ..." Mit dieser dramatisch klingenden Einfßhrung begann jede Folge von Time Tunnel". Und tatsächlich hatte die Stimme aus dem Off nicht " zu viel versprochen. Denn Time Tunnel" war anders. Anders als alle " anderen Science-Fiction-Serien, die Ende der 60er Jahre versuchten, eine vage Idee von einer noch vageren Zukunft respektive geheimnisvollen Vergangenheit in die Wohnzimmer der TV-Zuschauer zu bringen.

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v.l.: James Darren enau genommen handelte es sich und Robert Colbert bei „Time Tunnel" um Science Fiction fĂźr Leute, denen Science Fiction eigentlich recht schnuppe war! Hier ging es nicht – oder zumindest nur am Rande – um technologisch verbrämtes Gebabbel, sondern um einen der wohl ältesten Träume der Menschheit Ăźberhaupt: den Traum von der Reise durch die Zeit(en) und die damit verbundene MĂśglichkeit, Geschichte vielleicht beeinflussen zu kĂśnnen. Die beiden Wissenschaftler Dr. Tony Newman (James Darren) und Dr. Doug Phillips (Robert Colbert) arbeiten 1968 im Auftrag der US-Regierung in einem hochgeheimen unterirdischen Labor, das 800 Stockwerke tief in den WĂźstenboden Arizonas reicht. Das Forscherduo soll gemeinsam mit weiteren Experten die Arbeit an einem Laser-betriebenen Zeit-Tunnel, dem „Time Tunnel", vorantreiben. Als finanzielle Erwägungen der Regierung drohen, das Projekt scheitern zu lassen, wagt sich Newman auf eigene Faust in den Tunnel, dessen Funktion noch nicht endgĂźltig erprobt ist. Phillips folgt seinem Kollegen – und beide finden sich auf der Titanic wieder, die gerade ihre Jungfernfahrt angetreten hat.

Zwar gelingt es den Wissenschaftlern im Laboratorium, die beiden in letzter Minute zu retten, von nun an aber werden die beiden Freunde von einer brenzligen Situation in die nächste katapultiert. Mal er- und ßberleben sie gerade noch den Vulkanausbruch auf der Insel Krakatau von 1883, dann wieder tauchen sie in der biblischen Stadt Jericho auf, und auch mit Billy The Kid machen sie Bekanntschaft. Aber nicht nur vergangene Epochen werden zum (unfreiwilligen) Reiseziel. Auch in der Zukunft wartet bisweilen Verdruss. Und wenn die Macher der Serie besonders dick auftragen wollten, ermÜglichte man Newman und Seite

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Phillips auch schon mal ein Rendezvous mit legendären fiktiven Helden wie Robin Hood. Apropos „Macher": Genaugenommen liefen alle Fäden bei nur einer einzigen Person zusammen, bei Irwin Allen. Der hatte sich u.a. mit der Weltraum-Saga „Lost In Space" („Verschollen zwischen fremden Welten") als Produzent längst einen Namen in Hollywood gemacht. Allen war Pragmatiker, dem historische Genauigkeit weniger wichtig war. „Kommt mir nicht mit Logik", soll er am Set einmal gesagt haben. „In dieser Serie geht es ums Rennen, ums Springen, um nichts sonst." Zudem musste Geld gespart werden, da „Time Tunnel" 1966 die teuerste Serie der Spielzeit war. Also bediente man sich gerne im Fundus der 20th Century Fox. FĂźr die bereits genannte Pilotfolge „Wiedersehen mit der Vergangenheit" etwa griff man auf Material aus „Der Untergang der Titanic" zurĂźck, dem Kino-Erfolg von Jean Negulesco aus dem Jahr 1953. Aus heutiger Sicht mĂśgen die zusammengestĂźckelten Sequenzen und die bisweilen auftretenden Anschlussfehler unangenehm auffallen. Damals aber, im zarten Alter von nicht einmal zehn Jahren, war fĂźr unseresgleichen jede Folge eine spannende Geschichtsstunde. „Time Tunnel", das war unser frĂźher „History Channel", eine Art Bildungsfernsehen, das Westernfans ebenso beglĂźckte wie die Freunde von Mantel- und Degenstreifen. Dass „Time Tunnel" heute KultStatus genieĂ&#x;t, liegt aber wohl eher am (Set-)Design, das PopArt pur und damals „state of the art" war. Und James Darren, der auch als Sänger groĂ&#x;en Erfolg hatte und eng mit Frank Sinatra befreundet gewesen sein soll, bewies, wie sexy und zu wirklich jedem Anlass passend ein Rollkragenpulli im Slim-Look sein kann. Zudem war das Intro mit seinem kaleidoskopischen Farbenwirbel und der stilisierten Sanduhr, deren Sand den Menschen schlieĂ&#x;lich unter sich begräbt, ein kleines Meisterwerk per se. Eines, das an Saul Bass erinnert, Hollywoods Intro- und Vorspannpapst. Leider fehlen trotz intensiver Recherche aber Angaben, ob Bass hier tatsächlich verantwortlich zeichnete. Ohne Frage verantwortlich zu machen aber waren die Senderchefs der ARD dafĂźr, dass bei der deutschen Erstausstrahlung 1971 nur 13 der insgesamt 30 Folgen gezeigt wurden. Erst mehr als 25 Jahre später sollten die Fans in den Genuss der weiteren 17 Episoden kommen. Einer der äuĂ&#x;erst seltenen Fälle, bei dem man dem Sender Sat.1 tatsächlich Dank schuldet. Andreas KĂśtter

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Rosy Rosy

Bayerische Erotik-Ikone der Subkultur

1983

war die – unter kommerziellem Aspekt gesehen – HochZeit der Neuen Deutschen Welle: Eher laue „moderne" Schlagerkünstler wie Hubert Kah, Markus oder Peter Schilling dominierten da schon (kurzfristig) die einheimischen Charts. Nur zwei Jahre zuvor war die NDW allerdings noch eine spannende Untergrundbewegung gewesen, geprägt von eckigen und kantigen Rhythmen, basierend auf Punk- und New-Wave-Wurzeln, geprägt von mal politisch motivierten, mal dadaistisch angehauchten Texten. DAF, Der Plan oder The Wirtschaftswunder nannten sich die Speerspitzen dieser aufsehenerregenden Bewegung. Es war dann im selben für die deutsche Musikgeschichte historischen Jahr, in dem Rosemarie Heinikel – in der Szene als Rosy Rosy ein Begriff – ganz folgerichtig ihr Debütalbum einspielte, das sich stark am NDW-Kontext orientierte. Und trotzdem sehr eigen bzw. eigenwillig daherkam ... Die gebürtige Nürnbergerin, die früh nach München umsiedelte, war neben Uschi Obermaier das weibliche Gesicht der 68er Bewegung schlechthin, Kommunardin, Ikone der Subkultur, sexueller Freigeist, Schauspielerin, Autorin – und eben auch Sängerin. Auf ihrem namenlosen Erstling tat sich Rosy Rosy mit Studiocracks der damaligen Zeit zusammen: Soulröhre Inga Rumpf half auf der Slidegitarre bei vier Stücken aus, zusammengehalten wurde das Werk, das jetzt erstmalig auf CD erschienen ist, von Ikone Achim Reichel, der nicht nur mit diversen Instrumenten der Musiknovizin zur Seite stand, sondern auch hinter dem Produzentenmischpult Platz nahm. Bei so viel Unterstützung konnte sich Heinikel ganz auf ihr Sangesorgan und die Texte konzentrieren. Beide hatten es in sich: Stimmlich changiert Rosy Rosy zwischen der sinistren Nico und der Chanson-orientierten Hildegard Knef, während soundtechnisch, dem damaligen Zeitgeist entsprechend, Bands wie Ideal oder Fehlfarben Pate standen. Inhaltlich geht es frivol, frech und frei zu, ohne dass man je ins Plump-Sexuelle abgleiten würde. „Erotik-Pop der intelligenten Sorte", vielleicht ist das der passende Ausdruck? Sei’s drum – es ist schön, dass diese längst vergessene NDW-Perle endlich wieder zu haben ist. Und dass „Rosy Rosy" Heinikel, heute 71 und in der Peripherie Münchens lebend, unserem Magazin zum ersten Mal seit 30 Jahren exklusiv ein Interview gibt – via Mail, damit alles schwarz auf Weiß dokumentiert ist. Produziert wurde ROSY ROSY von Kult-Musiker Achim Reichel. Wie verlief die Zusammenarbeit mit ihm? Er spielt zum Beispiel das Gitarrensolo bei "Erste Liebe", das wie 'ne Westerngitarre klingt. Als ich das neulich hörte, musste ich heulen. GoodTimes

Erst wusste ich gar nicht, warum. Lag sicher mit am Songinhalt, der Geschichte als solcher, dem zugrundeliegenden Drama 50 Jahre zuvor. Zum anderen an der Art, wie Achim an der Ecke spielt. Ich weiß noch, wie wir im Studio lachten, als er plötzlich mit dieser Western-Persiflage ankam, als vertonte er „12 Uhr mittags", so 'nen „Spiel mir das Lied vom Tod"-Film. Na, und in dem Zusammenhang wohl das Erinnern, wie unsere Zusammenarbeit endete. Bin damals ja aus dem Vertrag ausgestiegen, wollte nicht mehr. Achim hätte ihn fortgesetzt. Sie sind nicht nur Sängerin, sondern auch Schauspielerin, Autorin, Regisseurin. Würden Sie sich als eine Art lebendes Gesamtkunstwerk" " bezeichnen? Früher stand sogar mal Produzentin in meinem Pass. Und ich erinnere mich an eine Szene: Muss '72 gewesen sein, mein damaliger Freund und ich in einem Schwabinger Lokal, wir warteten auf Freunde, und da ich Fanpostkarten des März-Verlags bei mir hatte, der im Vorjahr den ersten Band meiner Memoiren veröffentlicht hatte, fingen wir an, darauf herumzumalen. Und ich weiß noch, wie aufregend er es plötzlich fand, neben dem lebendigen Kunstwerk zu sitzen ... Welche Erinnerungen haben Sie an die legendäre 68er Generation? Als ich neulich mal wieder den Spruch hörte: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört ..." usw., will ihn gar nicht zu Ende sprechen, so unmöglich fand ich den, fiel mir wieder dieser extreme Befreiungsdruck ein, der damals in Sachen Sex herrschte. Dann gibt’s da noch Erinnerungen an Nächte, als wir Hippies durch Schwabing zogen. Unsere Läden hießen Chez Margot, Bungalow, hinterher noch Alter Simpl. Auch Regisseure wie Schlöndorff, Herzog, Wenders waren dort, damals weit entfernt von Weltruhm. Denn politisch war ich nicht. Ich hatte ja nicht studiert, nur Volksschule gemacht, und die Linken fanden das toll, ein Arbeiterkind in ihrer Mitte, das sie aus dem Revolutionsfilm „Agilok und Blubbo" kannten, der damals im Kino lief, wo ich die Hauptrolle spielte und ihnen nach Mitternacht den Eintritt in den legendären Alten Simpl ermöglichte, in dem Wirtin Toni mir immer die Verantwortung übertrug: „Also Rosy, du passt mir auf, dass ..." – sich die Burschen in ihren schwarzen Mänteln den Gästen gegenüber anständig benahmen. Wie darf man sich den aktuellen Alltag von Rosemarie Heinikel vorstellen – sind Sie noch kulturell und kreativ im Einsatz? Nächstes Jahr werden es 30 Jahre, dass ich aufgab, was mir mal wahnsinnig wichtig schien und mein Leben ausmachte. Seither lebe ich eigentlich ziemlich beschaulich. Fing sogar wieder zu schreiben an, kann's einfach nicht lassen. Gelegentlich auch einen Blogbeitrag. Es muss ja weitergehen. Michael Fuchs-Gamböck 1/2018

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Das Lustige Taschenbuch" " wird 50

DER KOLUMBUSFALTER IST ZURÜCK Seit nunmehr 50 Jahren erscheint die Reihe Walt Disney " – Lustiges Taschenbuch", bei Fans kurz LTB genannt, und ein Ende der Erfolgsstory ist nicht abzusehen. Im Gegenteil, um die klassische Reihe hat man in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten eine vielköpfige LTB-Familie entwickelt, die gerade auch bei Erwachsenen viel Anklang findet. Im Interview spricht Peter Höpfner, Chefredakteur von Egmont Ehapa Media, über die Feierlichkeiten zum runden Jubiläum, beeindruckende Zahlen rund ums LTB und darüber, wie man den EntenhausenKosmos fit gemacht hat fürs digitale Zeitalter. Herr Höpfner, das LTB feiert in diesem Monat seinen 50. Geburtstag; wie sehen die Feierlichkeiten" " im einzelnen aus?

erschienen, der komplett in Gold gehalten ist und die schönsten Abenteuer aus 50 Jahren LTB beinhaltet. Apropos die schöns­ ten Abenteuer: Band 499 beschert den Fans ein legendäres Comeback. Denn dieser Band trägt den Titel „Der Kolumbusfalter kehrt zurück" und bezieht sich unmittel­ bar auf die legendäre Nummer 1: „Der Kolumbusfalter". So wer­ den die beiden ersten Seiten nahezu identisch sein mit denen des Bandes von 1967. Und der aufmerksame Leser wird zudem sehr viele Szenen entdecken, die ebenfalls direkt auf die Nummer 1 verweisen.

Gerade ist Band 499 erscheinen, der diesen 50. Geburtstag des LTB markiert ...

Gibt es weitere Highlights als Geschenk" für treue " Leser?

... was auch bedeutet, dass man in Kürze ein weiteres Jubiläum feiern könnte?

Exakt. Denn der folgende Band, die Nummer 500, übrigens der erste mit einem Wendecover, erscheint bereits am 7. November. Genau­ genommen haben die Feierlichkeiten aber bereits zu Beginn dieses Jahres begonnen. So ist die 50 seit Jahresbeginn auf jedem LTB vermerkt. Schon im März ist zudem in der Reihe LTB Spezial Band 75 Seite

Gerade ist die „Fan-Edition" erschienen, die aus fünf Bänden besteht, die man entweder einzeln oder auch komplett im Schuber erwerben kann. In dieser Edition sind die besten Geschichten aller Zeiten aus dem LTB versammelt, die aber von den Fans selbst ausgewählt wurden. Wir hatten Ende 2016 online dazu aufgerufen, über die besten Storys abzustimmen, und jeder, der teilgenommen hat und das möchte, wird nun seinen Namen als Fan-

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den vergangenen Jahren ein wenig nach unten gegangen ist, konnte durch die Erweiterung der LTB-Familie sehr gut aufgefangen werden. Die enorme Zahl der Sonderreihen verlangt nach viel Comic-Material. Wie lässt sich die Qualität gewährleisten?

Redakteur im Buch wiederfinden. Und etwas ganz Besonderes ist die „LTB-Nostalgie-Edition". Die umfasst die ersten zehn Bände in der Originalaufmachung, also mit den damals aus drucktechnischen Gründen nicht anders zu produzierenden im Wechsel schwarzweißen bzw. farbigen Seiten. Auch die Rechtschreibung wird die von damals sein, also ein echte, limitiere Nostalgie-Edition im Schuber und mit Zertifikat. Und dann ist da noch ein weiteres Highlight ... Bitte erzählen Sie!

Mit dem so genannten LTB Coffee Table Book haben wir einen 600-seitigen Bildband im Überformat aufgelegt, der eine umfangreiche Retrospektive zum LTB darstellt und u.a. eine vollständige Covergalerie der vergan­ genen 50 Jahre beinhaltet. Ein prächtiger Sekundärband, der alle Fragen zum LTB beantwortet und zudem zwei schöne Comic-Geschichten aufweist.

Selbstverständlich achten wir sehr genau darauf, dass die neuen Geschichten qualitativ an die älteren heranreichen. Für das LTB haben wir eine Produktformel erarbeitet, nach der die erste und die letzte Story stets eine län­ gere Donald-Duck- bzw. Enten-Geschichte ist. Im weiteren Verlauf des Bandes sind zudem eine Phantomias- sowie eine kürzere Micky-Maus-Geschichte garantiert. Ansonsten spielt die Micky Maus aber kaum eine Rolle, weil Enten und Co. bei den Lesern deutlich beliebter sind. Einige kür­ zere Geschichten mit zum Beispiel Gundel Gaukeley, Daniel Düsentrieb oder den Panzerknackern runden jeden Band ab. Wir achten zudem darauf, dass wir aktuelle Themen aufgreifen, wie etwa eine FußballWM, Olympische Spiele oder den Kinostart eines besonderen Films. Entscheidend für die klassischen LTBs ist, dass alle Geschichten neue Geschichten sind. In den anderen, zum Teil thematisch ori­ entierten Reihen setzen wir dagegen auch auf Nachdrucke.

Können Sie diese beeindruckenden Fakten mit einigen Zahlen unterfüttern?

Gerne. Aktuell verkaufen wir pro Jahr etwa fünf Millionen Bücher, verteilt über die gesamte Range, also die LTB-Familie, die neben dem klas­ sischen LTB viele Sonderreihen wie unter anderem „LTB Sommer", „LTB Weihnachten", „LTB Spezial", „LTB Premium", „LTB Fantasy", „LTB Enten Edition" bzw. „LTB Maus Edition" umfasst. Insgesamt gibt es heute 18 LTB-Reihen, während es 2001 noch nur drei waren. Ein LTB aus der klassischen Reihe liegt bei etwa 170.000 verkauften Exemplaren. Insgesamt haben sich das LTB und die Sonderreihen so seit 1967 etwa 200 Millionen Mal verkauft, auf rund 1000 Einzelbände ver­ teilt. Der erfolgreichste Band überhaupt ist, wie nicht anders zu erwarten, Band 1, „Der Kolumbusfalter", der mit seinen diversen Nachdrucken eine Auflage von einer Million Exemplaren auf­ sätzlich lässt weist. Grund­ sich sagen, dass die LTB-Familie seit 2005 ihren Umsatz sehr konstant hält. Die Tatsache, dass die Auflage des klassischen LTB in GoodTimes

Entenhausen ist ein durch Printprodukte gewachsener Mikrokosmos. Wie reagiert man auf das digitale Zeitalter?

Die neuen Medien wie das Smartphone haben das Medienverhalten gerade auch von Kindern massiv verändert. So, wie das lineare Fernsehen spürt, dass es YouTube und Netflix gibt, spüren wir ebenfalls die Konkurrenz der digitalen Medien, die uns bei den Kindern Zeit und Aufmerksamkeit wegnehmen. Dazu kommen der demografische Wandel sowie die Tatsache, dass Kinder heute grundsätzlich weniger Zeit haben, nicht allein der neuen Medien wegen, sondern auch, weil neben der Schule und zwischen Japanisch-Unterricht und Klavierstunde kaum noch Zeit übrigbleibt (lacht). Wir können aber darauf vertrauen, dass wir mit dem LTB ein sehr ansprechendes Printprodukt anbieten. Ein Produkt, das Kinder wie Erwachsene noch immer sehr gerne in die Hand nehmen. Wir sind stolz darauf, Mitglied in der Stiftung Lesen zu sein. So wird das LTB auf­ grund seiner Sprachqualität von vielen Lehrern und Eltern als LeseEinstieg empfoh­ len. Sie sehen, wir geben uns alle Mühe, dass Entenhausen eine Zukunft hat. Andreas Kötter 1/2018

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HAMMER FILM PRODUCTIONS

Von irren Wissenschaftlern, Vampiren und Fell-Bikinis Es war einmal … Selbst wer damals noch zu jung fürs Kino war, wird spätestens ab Mitte der 70er Jahre irgendwann mal im ZDF über knallbunte Gruselfilme gestolpert sein, in denen zum Beispiel ein großgewachsener graumelierter Herr mit spitzen Eckzähnen sich über tief dekolettierte Damen hermacht oder von einem hageren, streng dreinblickenden Schlipsträger mit etwas weiter hinten liegendem Haaransatz durch pittoreske Schlösser und Dörfer gejagt wird. Mit den Jahren werden diese von einem kleinen britischen Studio namens Hammer Film Productions fabrizierten Werke vermutlich ein wenig aus dem Blickfeld verschwunden sein. Gerade für Horrorfans gab’s mit der etwas später einsetzenden Welle an harten Fetzern aus den USA und vor allem aus Italien Stoff, der deutlich mehr Nervenkitzel versprach. Seite

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Erschwerend kam hinzu, dass die Produktionen von Hammer den deutschen Heimvideomarkt nur tropfenweise über verschiedene Verleiher erreichten, was dazu führte, dass Meilensteine wie „Dracula" (1958) oder „Frankensteins Fluch" (1957) erst 1985 ausgewertet wurden, während die oft durchwachsenen Produktionen aus der wackligen Schlussphase des Studios weitaus früher dran waren. Doch mit dem Aufkommen der DVD schob sich auch Hammer wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, und das mit immerhin so großem Erfolg, das seit einiger Zeit richtig edle Blu-ray-Editionen auf ihre Käufer warten. Wobei Erfolg hier relativ zu sehen ist, ein Massenpublikum konnte Hammer auch in dieser Form nicht mehr erreichen, denn man muss bei aller Liebe eingestehen: Die Filme sind Kinder ihrer Zeit. Das Tempo ist eher gemächlich, in Sachen Gewalt und Erotik guckt die Katze heute

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Christopher Lee wurde als Dracula zu einem der Aushängeschilder des Studios

nur noch mit mildem Interesse hinter dem Ofen vor, und die Spezialeffekte waren auch damals nur selten wirklich brauchbar. Warum trotzdem heute noch schauen und gut finden? Ganz einfach: Die Engländer waren – wenn man von der Effektabteilung absieht – herausragende Handwerker, und so punktet man auch aktuell noch mit großartigen Darstellern, exzellenten Regisseuren, Drehbuchautoren, Kameramännern und absolut prunkvollen Studiokulissen. Hammer-Filme haben Stil und Flair und gelten heutzutage als Kult – Grund genug für einen kleinen Streifzug durch die turbulente Geschichte des Unternehmens.

durchliest, wird fast immer auf vertraute Namen stoßen. Die Firma spezialisierte sich in den ersten Jahren auf kleine, schnelle B-Filme, die Kinobesitzer nutzen konnten, um Lücken in ihrem Spielplan zu füllen, oder Streifen, die im Vorprogramm von wesentlich größeren, teureren Produktionen liefen. Auf Genres legte man sich dabei nicht fest, es gab aber mit „Man In Black" 1949 schon mal eine erste Annäherung an gruseligere Stoffe.

Hammer-Horror erobert die Welt

Vorgeschichte Die Ursprünge der Hammer Film Productions liegen im Schmuckgeschäft: Die Firma wurde 1934 vom Londoner Juwelier William Hinds unter dem Namen Hammer Productions gegründet. Hinds war zusammen mit seinem Bruder Frank der Betreiber von Hinds Jewellers – allerdings wollten die Brüder in unterschiedliche Richtungen expandieren, was der Grund war, wieso man das Geschäft nach dem Ersten Weltkrieg in zwei Bereiche splittete. Franks Hälfte wuchs zum heute noch existierenden Großunternehmen F. Hinds mit über 100 Filialen in England und Wales heran. William brachte es nur auf 25 Läden, drang aber auch in andere Geschäftbereiche vor – unter anderem beschäftigte er über einigen seiner Läden Friseure ... Er hatte aber auch schwer was fürs Showbusiness übrig und eröffnete deshalb Musikhallen und Theater, in denen er ebenso als Komiker auftrat und als Leiter einer Theatergruppe mit dem Namen Will Hammer’s Player tätig war. Das „Hammer" ist dabei auf seinen Wohnort Hammersmith zurückzuführen. Der Erfolg dieser Bestrebungen veranlasste ihn dazu, in der Filmindustrie sein Glück zu suchen. Er registrierte im November 1934 Hammer Productions und begann sofort mit der Produktion der Komödie „The Public Life Of Henry The Ninth”, des allerersten Hammer-Films, der mittlerweile leider als verschollen gilt. Während der Arbeit daran lernte er den Kinobesitzer Enrique Carreras kennen, mit dem er den Vertrieb Exclusive Films gründete. Doch kurze Zeit später gab es eine drastische Rezession in der britischen Filmindustrie, Hammer Productions musste Konkurs anmelden, Exclusive Films überlebte mit dem Vertrieb von Fremdproduktionen. Hinds Firma kam allerdings 1946 wieder zurück, und das auf Initiative des Sohnes seines Geschäftspartners, James Carreras. Der brachte die Firma zusammen mit seinem Vater, William Hinds und dessen Sohn Anthony wieder auf Kurs: als Hammer Film Productions. Die familiäre Konstellation wurde auch im Hinblick auf die Mitarbeiter beibehalten, wer die Credits von Hammer-Filmen aufmerksam GoodTimes

1955 ging es dann allmählich in die fantastische Richtung. Die finanzielle Lage war aus diversen Gründen wieder einmal mau, da wagte Michael Carreras einen Schritt in unbekanntes Territorium und schubste seine Firma damit langsam, aber sicher an die vorderste Front. 1953 lief im britischen Fernsehen extrem erfolgreich die erstmalig speziell für ein erwachsenes Publikum entwickelte Science-Fiction-Mini-Serie „The Quatermass Experiment". Carreras wollte nun das entflammte Interesse am Stoff auf einen Kinofilm übertragen und nutzte zusätzlich die 1951 von der BBFC (British Board Of Film Classification) eingeführte „X"-Freigabe (der Film konnte nur von über 16-Jährigen gesehen werden), um der Produktion einen zusätzlichen Schub zu verleihen. Die Rechnung ging auf: „The Quatermass Xperiment" wurde zu einem großen Erfolg. Ab sofort war die Stoßrichtung klar, und die endgültige Erfolgsformel wurde dann auch kurz da­rauf gefunden, nämlich 1957 mit „The Curse Of Frankenstein" Peter Cushing in seiner Paraderolle als („Frankensteins Fluch"). Baron Frankenstein Das ursprüngliche Drehbuch zu „The Curse Of Frankenstein" gelangte über Umwege zu Hammer und kam von zwei jungen amerikanischen Filmemachern, die ironischerweise später mit ihrem britischen Unternehmen Amicus in Konkurrenz zu Hammer treten sollten. Anthony Hinds fand das Drehbuch zwar nicht uninteressant, hatte aber Bedenken, weil sich der Plot zu eng an Universals Film „Son Of Frankenstein" („Frankensteins Sohn") anlehnte, was Copyright-Schwierigkeiten mit sich bringen würde. Außerdem reichte das Drehbuch gerade mal für 55 Minuten Film aus, man benötigte aber natürlich 90. Also ließ man das Material von Jimmy Sangster, der kurz zuvor für Hammer den horrorlastigen Science-Fiction-Film „XX: Unknown" („XX: Unbekannt") geschrieben hatte, überarbeiten und beschloss, die Produktion – erstmalig – in Farbe zu drehen, was durchaus ein mutiges Unterfangen war und bei der Vorabprüfung des Scripts zu Zweifeln seitens der BBFC führte, denn „The Curse Of Frankenstein" war für die damalige Zeit durchaus sehr finster und brutal. Von Mary Shelleys Vorlage beziehungsweise den Filmen der 30er Jahre hatte man sich weit entfernt: Der Fokus liegt deutlich mehr auf Baron Victor von Frankenstein, der hier regelrecht psychopathische Züge bekommt, und das Monster ist keine tragische Gestalt mehr wie einst, sondern tatsächlich ein (blutrünstiges) Ungeheuer. 1/2018

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Der Horrorfilm wurde nicht nur zum gigantischen Hit (dem schmalen Budget von gerade 65.000 Pfund beziehungsweise 270.000 Dollar standen Einnahmen von sieben Millionen Dollar gegenüber) und machte den zuvor eher unbekannten Peter Cushing in der Titelrolle zum Weltstar, Hammer hatte das zuvor eher zahme Genre generalüberholt, was natürlich spürbaren Ein­ fluss auf Dutzende Nachfolger hatte. Es versteht sich fast von selbst, dass die Kritiker Die brennenden Augen von allerdings " Schloss Baltimore" mal wieder den Untergang des Abendlandes befürchteten: So schwadronierte hier zu Lande die katholische Filmkritik von „ungesunden Fantasien", und im Heimatland tobte unter anderem der „Tribune", dass die HammerProduktion „auf jeden, der das Kino liebt, deprimierend und degradierend wirkt". Natürlich war Kritik dieser Art eher Werbung und tat dem Erfolg keinen Abbruch. Der britische Familienbetrieb (der im Lauf seiner Geschichte übrigens über 200 Filme veröffentlichte, was für eine solch kleine Firma außergewöhnlich ist) hatte jedenfalls seine Schiene gefunden: Es folgten insgesamt sechs Fortsetzungen, aber es wurden auch die Gruselkollegen Dracula, die Mumie und Werwolf reaktiviert, und es folgten dann zahlreiche weitere Filme, die typischen Gothic-Horror mit deutlichem Aderlass kombinierten. Man machte aber dennoch auch immer wieder Schlenker in andere Richtungen und landete zum Beispiel mit dem Urzeit-Fantasyfilm „One Million Years B.C." („Eine Million Jahre vor unserer Zeit") einen großen Hit, mit dem die damals noch unbekannte Raquel Welch – nicht zuletzt dank eines neckischen Fell-Bikini-Outfits – ihren Durchbruch schaffte.

Alles hat ein Ende … Jede Erfolgsgeschichte hat einmal ein Ende, und diese neigte sich ungefähr ab Anfang der 1970er dem Finale zu. Verschiedene Faktoren spielten eine Rolle: Zum einen war dank der vielen oftmals billigeren und kruderen Hammer-Kopisten eine Marktsättigung erreicht, Raquel zum anderen drangen Major-Unternehmen wie Welch Warner mit aufwändig produzierten Schockern wie „Der Exorzist" (1973) vermehrt in den Horrorbereich vor, und außerdem gab es kleine, ultra-nihilistische Brutalo-Reißer wie „The Texas Chainsaw Massacre" (1974) oder „The Last House On The Left" (1972), die den Horror auf eine neue – realistische – Ebene hoben und gegen die die Londoner Schauerstücke mit ihrem Theaterblut und ihren Plastikleichenteilen eher harmlos wirkten. Hammer konnte mit beiden Strömungen nicht konkurrieren (und wollte es bei letzterer auch nicht wirklich). Stattdessen unternahm man einen anderen Versuch, am Puls Seite

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der Zeit zu bleiben (und wieder einen dringend benötigten Hit zu landen): Es wurde kurzerhand der hauseigene Gothic-Horror mit der zu dieser Zeit dank Bruce Lee populären Martial-Arts-Welle "Dracula braucht verknüpft. „Die 7 goldenen frisches Blut" Vampire" (1974) saugten den lokalen Zuschauern dann auch tatsächlich ganz ordentlich Eintrittsgeld ab, aber insgesamt fiel der Kassensturz dennoch eher mager aus, was nicht zuletzt daran lag, dass Verleihpartner Warner das kuriose Werk, wie zuvor schon „Dracula braucht frisches Blut" (1973), aus nicht bekannten Gründen erst mal ein paar Jahre parkte und dann in einer schlimm bearbeiteten Version – erfolglos – in den USA veröffentlichte. Mit der „Braut des Satans" (1976) gab es dann zwar noch einmal ein Aufbäumen, aber mit dem Hitchcock-Remake „Tödliche Botschaft" (1979) klappte der Sargdeckel schließlich endgültig zu. Doch Hammer war untot: Die Schmiede wechselte über die Jahre mehrfach den Besitzer und landete 2007 schließlich beim niederländischen Unternehmer John de Mol (Bruder von Linda de Mol, die in den 90er Jahren mit „Traumhochzeit" ein Millionenpublikum gruselte), der die Firma wieder flottmachte, allerdings mit diskussionswürdigem Output: Ein zahmes Remake (2011) von einer Großtat wie „So finster die Nacht" (2008) hätte die Welt nicht unbedingt gebraucht, dafür knüpft aber ein Film wie „Die Frau in Schwarz" (2012) durchaus wieder an alte Glanzzeiten an.

Hammer auf dem heutigen Homevideo-Markt Hammer-Filme gibt es dank unterschiedlicher Lizenznehmer in den verschiedensten Varianten, weshalb man sich vor dem Kauf am besten kurz im Internet schlaumachen sollte, denn der Unterschied ist zum Teil beträchtlich: Hier zu Lande sind zum Beispiel die beiden Schlüsselfilme „Dracula" und „The Curse Of Frankenstein" von Warner lediglich auf extrem spartanisch ausgestatteten DVDs veröffentlicht worden, während in Großbritannien pralle Blu-ray-Editionen erhältlich sind, die nicht nur mit neu restaurierten Versionen, sondern auch mit tonnenweise Extras glänzen. Wer also auf eine deutsche Synchronisation verzichten kann, sollte eher bei den Nachbarn zugreifen. Dafür kann man aber wiederum hier zu Lande praktisch alle Hammer-Veröffentlichungen des kleinen Independent-Vertriebs Anolis (anolisfilm.de) blind kaufen: Die liebevoll ausgestatteten Editionen übertreffen teilweise locker ihre ausländischen Pendants. Thorsten Hanisch

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geliebt – gehasst – vergöttert ...

Die wunder­bare Welt der Barbie stellt einen einzigartigen Mikrokosmos dar, in dem sich die Mode, das Schönheitsideal und die Lebensumstände junger Mädchen in der jeweiligen Zeit widerspiegeln. Seit nun mehr als 60 Jahren wird sie von zahllosen Kindern, besonders natürlich von Mädchen, innig geliebt und vergöttert. Ihr Bekanntheitsgrad liegt höher als der der Beatles. Durchschnittlich besitzt in Deutschland jedes Mädchen sieben Barbie-Puppen. Von der feministischen Seite wird Barbie regelmäßig kritisiert, ja sogar gehasst, da sie ein traditionelles Frauenbild zementiere und zu kritiklosem Konsum anrege. In SaudiArabien ist der Verkauf von Barbie-Puppen übrigens seit 2003 sogar strengstens verboten, weil sie nicht dem Sinn des Islam entsprächen.

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issenschaftler, die Barbies Körpermaße auf einen Menschen umrechneten und übertrugen, kamen zu dem Ergebnis, dass ein menschliches Wesen mit diesen Maßen nicht lebensfähig sei. Insbesondere bietet der Unterleib nicht genug Platz für alle lebensnotwendigen Organe. Trotzdem wollen manche junge Frauen wie ihre Lieblingspuppe aussehen und lassen dafür sogar eine große Anzahl von Schönheitsoperationen über sich ergehen. Ärzte nennen diese psychische Krankheit das „Barbie-Syndrom". In den frühen 50er Jahren waren Bilderhefte, heute Comics genannt, überaus beliebt. Viele Zeitschriften und Tageszeitungen veröffentlichten Tagesstreifen als kleine Gags oder als Fortsetzungsgeschichte. Für die „Bild"Zeitung entwarf der deutsche Zeichner

Barbie Nr. 1 in einer seltenen rosa Display-Box

Lilli 1955

Color Magic 1966

Reinhard Beuthien 1952 den „Lilli"Cartoon. Kurze Geschichten um ein junges, schickes und kesses Mädchen, das seine Verehrer um den kleinen Finger wickelt. Der Comic Strip wurde ein voller Erfolg, und bereits am 12. August 1955 erblickte die „Lilli-Puppe" das Licht der Welt, hergestellt in zwei verschiedenen Größen (19 und 29 cm).

1958 entdeckte die US-Amerikanerin Ruth Handler, Mitbegründerin der Firma Mattel, auf einer Europareise in einem Schaufenster in Luzern eine „Lilli-Puppe": Das war es, was ihr schon seit langem vorschwebte. Wieder zurück in den USA, gingen die Handlers daran, ihr Puppenprojekt umzusetzen. Noch im selben Jahr wurde aus „Lilli" die Barbie und in den USA patentiert. Die amerikanische Barbie ist somit eigentlich ein deutsches „Fräuleinwunder". Am 9. März 1959 wurde die erste Mattel-Puppe auf der American Toy Fair in New York präsentiert. Die Vermarktungsrechte an der „Bild-Lilli" kaufte Mattel jedoch erst 1964, so dass deren Produktion daraufhin eingestellt wurde. Nun konnte die Barbie-Puppe auch in Deutschland verkauft werden. Die erste Barbie gab es in Blond und Brünett, jeweils mit Pferdeschwanz und gelocktem Pony. Sie hat einen Körper mit sehr weiblichen Formen und trägt kräftiges Make-up. Gerade aus diesem Grund lehnten viele der männlichen Einkäufer die neue Puppe ab. Sie hielten sie für unverkäuflich – wurden aber eines Besseren belehrt. Die Puppe kostete drei Dollar, damals waren das etwa zwölf DM. Die erste Serie, über eine halbe Million Puppen und eine Million Kostüme, war innerhalb kurzer Zeit restlos ausverkauft. Seit 1961 hat Barbie einen festen Freund mit Namen Ken, benannt nach dem damals 16-jährigen Sohn der Handlers. Auch diese Puppe verkaufte sich überraschend gut und erreichte einen Marktanteil von 25 Prozent. Bis 1963 waren bereits über fünf Millionen Barbie-Puppen verkauft

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Teilansicht Sammlung der Autorin: Sammlerkatalog Barbie" "

worden, und Mattel vergrößerte den Freundeskreis von Barbie, indem immer neue Figuren auf den Markt kamen. 1965 wurde Barbie sogar Astronautin und startete zusammen mit ihrem Freund Ken in einem Nasa-Raumanzug zum Mond. Die Kreativen bei der Firma Mattel waren eben immer am Puls der Zeit. Mitte der 80er Jahre bemerkte man bei Mattel, dass Barbie-Puppen, besonders die älteren aus den 60er Jahren, gesammelt und zum Teil zu hohen Preisen gehandelt werden. Seitdem werden neben den einfachen Spielpuppen auch BarbieFiguren in kleinen Auflagen produziert, die für den erwachsenen Sammler gedacht sind. Einige dieser Puppen tragen Kleider und Accessoires, die von bekannten Modeschöpfern entworfen wurden. Dazu gehören zum Beispiel Karl Lagerfeld und Byron Lars. Es gibt auch Figuren, die in Kleidung und Aussehen den Schauspielern (bzw. Figuren) aus beliebten Film- und Fernsehserien nachempfunden wurden, Emma Peel etwa oder John Steed aus „Mit Schirm, Charme und Melone", und sogar sprechen konnten. Einfach toll! Diese Puppen sind heute sehr gesucht und erzielen auf dem Sammlermarkt beachtliche Preise. Auch in Barbies Welt gibt es übrigens eine „Blaue Mauritius". Ende der 60er Jahre wurde in den Katalogen Becky als neue Freundin angekündigt, die aber niemals in den Verkauf gelangte. Im Laufe der Jahre fanden Brautpaar trotzdem einige wenige Prototypen den Weg in die Sammlungen gutbetuchter Fans. Beim Erwerb einer sehr teuren Sammlerpuppe sollte man jedoch immer Vorsicht walten lassen und gegebenenfalls einen Experten zu Rate ziehen. Einige der besonders teuren Barbies unterscheiden sich nur in winzigen Kleinigkeiten von der regulären Puppe. Wo viel Geld im Spiel ist, da tauchen eben leider gelegentlich auch professionell gemachte Fälschungen am Markt auf.

die zunächst stark noch von der Haute Couture beeinflusst waren, später, wie gesehen, u.a. von Fernsehserien. Daneben gibt es unzählige Mode-Accessoires und Sportbekleidung zu bestaunen, von der Handtasche bis zur kompletten Ski-Ausrüstung. Und selbstverständlich dürfen auch die vierbeinigen Freunde, Hund, Katze und Pferd, nicht vergessen werden, nebst Kutsche, Jacht, Sportwagen, Campingcar, Wohnmobil und Villa. Die Welt der Barbie ist ein einziger Traum aus Schönheit und Reichtum. Im Januar 2016 hat der Spielzeughersteller Mattel nach langer Geheimhaltung seine erweiterte BarbieLinie vorgestellt. Neue Figurentypen, plötzlich „kurvig", klein und groß mit einem breitgefächerten Spektrum an Hauttönen, Haarfarben und Frisuren. Die Produzenten der Barbie beabsichtigen­ damit, den jungen Mädchen und Eltern eine breitere Palette von „Schönheit" zu präsentieren. Neben breithüftigen Puppen mit den typischen blonden Mähnen finMit beweglichen Kniegelenken, den sich hier auch zierliche mit 1965, links: deutsche Ausgabe, asiatischen Zügen, dunkelhäutige, rechts US-Ausgabe Latino- oder rothaarig-blasse Barbies. Mit den neuen Formen trägt der Konzern einem sich wandelnden Frauenbild in den USA Rechnung. Mit kurvigen Superstars wie Beyoncé oder Jennifer Lopez werden zunehmend auch üppiger proportionierte Frauen zu Vorbildern. Im Rahmen aufwändiger Vorabtests versuchten die Puppendesigner bei Spieltreffs mit Mädchen und Müttern herauszufinden, wie die neuen Barbies ankommen. Resultat: Die Mütter schienen auf den ersten Blick mehr angetan zu sein als ihre Kinder. Wer mehr über Barbie und ihre verzauberte Welt wissen möchte, dem sei wärmstens der Sammlerkatalog „Barbie" von Stefanie Deutsch aus dem Battenberg Verlag ans Herz gelegt. Das Buch ist hervorragend aufbereitet und mit sehr viel Bildmaterial versehen. Ein optischer Genuss auch für Nicht-Barbie-Fans und vor allem für wenig Geld noch leicht zu bekommen. Ein weiteres Standardwerk für alle Freunde von Mattels berühmter Fashion-Doll ist der Barbie-PuppenPreisführer 2015/2016 von Bettina Dorfmann. In diesem reich bebilderten Buch werden mehr als 280 Puppen aus der Zeit zwischen 1959 und 1975 vorgestellt, im Detail beschrieben Hans-Joachim Neupert und fachkundig eingeschätzt.

Die allerersten Barbie-Puppen wurden nur im Badeanzug verkauft. Barbie brauchte also dringend etwas anzuziehen, und so lieferte Mattel wunderschöne Kleider gleich mit, GoodTimes

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Achim Reichel

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rige Musiker und Storyteller akustisch mit einigen Freunden und dem Programm „Solo mit euch" lange live unterwegs. In den letzten Monaten ist es jedoch eher ruhig um Reichel geworden: Er hatte sich in seinem Studio verkrochen, um die 10-CD-Box THE ART OF GERMAN PSYCHEDELIC (1970–1974) zu erarbeiten, eine Werkschau von A.R. & Machines. Enthalten sind in der Box alle fünf Studiowerke, diverse teils noch nie zu hörende Konzertmitschnitte und drei Bonus-CDs voller unveröffentlichter Aufnahmen aus jener Zeit, die in Reichels Archiv vor sich hinschlummerten. Und der Clou des Ganzen: die in Anlehnung an die bahnbrechende Debüt-LP DIE GRÜNE REISE als VIRTUAL JOURNEY betitelte Remix-Platte – mit Hilfe modernster Musiksoftware wurden die alten Zweispuraufnahmen klanglich in die Gegenwart transferiert. Am 15. September trat Reichel mit vier Bandmitgliedern (Perkussionist Olaf Casalich war schon in den alten A.R. & Machines-Zeiten dabei) in der noch jungen Elbphilharmonie auf und riss dabei Publikum wie Kritiker zu Begeisterungsstürmen hin. Und machte klar, dass er es auf seinem langen Weg vom StarClub in die Elbphilharmonie zur deutschen Ikone geschafft hat – für verschiedene Generationen mit mehr als unterschiedlichem Musikgeschmack. Im kult! Gespräch kurz nach dem Konzert, dem 2018 möglicherweise weitere folgen werden, wurde deutlich, dass er – völlig zu Recht – stolz auf seine Karriere ist. Foto: © Hans-Jürgen Dibbert

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er Mann ist wandelnde deutsche Rockgeschichte, ein Kult-Musiker aus Hamburg, dessen Lieder eigentlich jeder kennt: Achim Reichel. Mit den Rattles gründete er 1960 die – neben den Lords – erfolgreichste Beatband, die mit den Beatles tourte, im Paket mit den Rolling Stones, Little Richard und Bo Diddley auf Konzertreise in England unterwegs war, mit „Hurra, die Rattles kommen" einen eigenen Kinofilm hatte und sich mit Hits wie "Come On And Sing", "La La La" (sowie "The Witch", ohne Reichel) verewigte. Mit Musikerkollegen betrieb der Blondschopf nach seiner Bundeswehrzeit für einige Zeit den StarClub (und musste 1969 Konkurs anmelden). Parallel räumten Reichel und seine früheren Rattles-Kollegen Frank Dostal und Dicky Tarrach mit Wonderland und dem psychedelisch angehauchten Hit "Moscow" 1968 ab, ehe sich der singende Gitarrist selbstständig machte und sein Projekt A.R. & Machines an den Start brachte. Mittels einer damals frisch erstandenen Akai X330D-Bandmaschine erzeugte er Echos seines Gitarren­ spiels, wozu er im Studio und live spielte, teilweise von Mitstreitern begleitet. Mit dieser KrautrockSpielart sich überlappender, verzerrter Gitarren nahm Reichel das vorweg, was später als Ambient oder Trance erfolgreich wurde. Mit dem Experimentieren war es Mitte der 70er Jahre allerdings vorbei, auf einmal hörte man ihn Shantys in sehr rockigen Versionen singen. Er vertonte alte und neue Lyrik, um dann mit eigenen Songs wie "Der Spieler", "Kreuzworträtsel", "Aloha Heja He", "Kuddel Daddel Du" oder "Amazonen" Erfolge zu landen. Zuletzt war der mittlerweile 72-jäh-

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Foto: © Hans-Jürgen Dibbert

Vom Star-Club in die Elbphilharmonie


Wenn ich ganz ehrlich sein soll – ich habe mir mächtig einen auf die Lampe gegossen, denn ich war so unter Strom und Adrenalin. Nach dem Konzert war noch eine kleine Feier – ich war völlig überfordert! Da waren so viele Leute, dass man das Gefühl hatte, man kann gar nicht allen gerecht werden. Vorher hat man versucht, sich mit Vernunft ruhig zu halten. Ein kleiner Testgig wäre vielleicht ganz beruhigend gewesen, aber am Ende war es ganz einfach wunderbar, es ist wirklich hervorragend gelaufen, am Schluss gab es Standing Ovations. Es dauerte hinterher ein paar Tage, bis ich wieder runterkam, im Grunde genommen war es ein Gefühl, wie man es sonst nur nach Tourneen hat, wenn der Alltag wieder einkehrt. Das ganze Ding ist für mich sowieso wie eine späte Genugtuung. Ich habe ja immer scherzhaft gesagt, dass mit der Zeit mit A.R. & Machines noch eine Rechnung offen ist, und jetzt sieht es ganz danach aus, als ob die doch noch beglichen würde. Im Vorgespräch hast du gesagt: Ich fühle mich wie von einer alten Last befreit – wie meinst du das?

Ich bin von meiner ursprünglichen Planung abgerückt, die so aussah, dass ich die Bänder der A.R. & Machines-Produktionen aus dem Archiv hole und mit LIVE IN KÖLN als Bonus-CD rausbringe. Bis dann der Gedanke auftauchte, diese alten Gitarren mit den Echos zu nehmen und die mit einer moderneren, heutigen Musiksoftware so aufzubereiten, wie man es heute angehen würde, wenn es A.R. & Machines noch geben würde. Wir haben die VIRTUELLE REISE, eine Remix-Platte, gemacht, und dabei ist die alte Leidenschaft für dieses Thema wieder erwacht, und ich dachte: Das ist immer noch zeitlos, heute klingt das mehr in die Zeit gehörig als damals! Du hast Auszüge vor kurzem live präsentiert – wie kam es dazu?

Ich habe nach vielen Jahren Karsten Jahnke getroffen und ihm die Remix-CD gegeben. Wir hatten damals zu A.R. & Machines-Zeiten ein Büro zusammen, er kam öfter abends rüber, wenn wir jammten. Eines Tages kam er an und fragte: „Willst du damit nicht mal auftreten? Ich veranstalte Rory Gallagher in der Musikhalle – da kannst du das Vorprogramm machen, wenn du willst!" Eigentlich waren wir noch nicht so weit, das war alles so neu – der Schlagzeuger war nicht mehr Rhythmusgeber. Das war jetzt die Wiederholungsrate der Echos oder der Loops, die aus der Maschine kamen, und damit kam unser Schlagzeuger noch nicht klar. So habe ich gesagt: Okay, ich mache es allein, nur mit Gitarre und dem Bandgerät – eine halbe Stunde lang. Als Jahnke die neue CD gehört hatte, war er völlig aus dem Häuschen. Wir haben miteinander geplaudert, und dann sagte er plötzlich: „Mir ist gerade ein Termin in der Elbphilharmonie weggebrochen – willst du nicht in der Elbphilharmonie spielen?" Die gleiche Geschichte wie damals vor über 40 Jahren! Damit bist du der Erste, der es vom Star-Club in die Elbphilharmonie geschafft hat ...

Ich habe gesagt, wenn ich es tatsächlich schaffe, meine Autobiografie zu Ende zu schreiben, dann wird das der Titel! Und ich bin durch den Text, immerhin 40 Seiten, den ich für die Box geschrieben habe, ziemlich motiviert, das mit der Autobiografie auch zu schaffen! Das ist doch großartig: vom Star-Club in die Elbphilharmonie – wer kann das von sich sagen? Das ist schon richtig doll! Man denkt zwischendurch, man träumt sein eigenes Leben (lacht). Wenn man sich deine Karriere, die musikalische Entwicklung anschaut, dann trifft auf kaum einen anderen der Begriff musikalisches Chamäleon" so zu wie auf " dich!? GoodTimes

Da ist ein bisschen was dran! Das hat sich letztlich dadurch ergeben, dass ich irgendwann sagte: Rattles und Wonderland wunderbar, das ist musikalische Kinderstube – da hat man wirklich noch versucht, so ähnlich zu sein wie die anderen, die die Echten waren, die aus Amiland oder von überm Kanal kamen. Irgendwann wollte man natürlich schon dahin, dass man von sich sagen konnte: Hey, das ist meine Musik, das ist mein Ding – das ist nicht irgendwie Beatles in anders oder Stones in anders. Ich wusste nur noch nicht, wie das klingen sollte. Als ich dann diese Loops, diese Echos entdeckte mit der Bandmaschine, dachte ich: Ja, das könnte was werden! Auch wenn viele Leute sagten, das spielt kein Radiosender, damit wirst du es schwer haben! Und ich hatte es dann ja auch schwer. Gleich die allererste Besprechung in „Sounds" damals war ja ein übelster, ein übelwollender Verriss. Da waren Sätze drin wie: „Lasst euch nicht von diesem verlogenen Machwerk täuschen." Das „verlogenes Machwerk und unausgegorene Elektronikträume" zu nennen, fand ich nicht freundlich (lacht). Da dachte ich mir, dieser Idiot ist auch einer von denen, die gar nicht wollen, dass aus Deutschland etwas kommt, das möglicherweise Substanz und Eigenanspruch hat. War nach fünf Studio-Alben auch Frust über ausbleibenden Erfolg der Grund, wieder etwas Neues zu suchen, wodurch du zu den Shantys und dann den Lyrikvertonungen gekommen bist?

Ja. Es war irgendwann ein Punkt erreicht, da stellte sich die Sache für mich so dar: Weiter wirst du damit nicht kommen. Ich stellte auch fest, dass ich in diesem so genannten Krautrocklager ja einer mit Vergangenheit und denen dort auch merkwürdig verdächtig war: Was will denn der Reichel hier? Der soll doch seine Beatmusik machen, habe ich öfter gehört. Unter deutschen Musikern herrscht ein völlig anderer kollegialer Geist als unter Engländern. Das haben wir schon ziemlich früh mit den Rattles festgestellt, als wir in England auf Tournee waren, dass da unter Musikern ein anderer Geist, ein anderes Miteinander herrschten – die konnten sich sogar füreinander freuen! Wenn hier jemand Erfolg hatte, hieß es gleich: „Der macht jetzt einen auf Kommerz." Parallel haben Frank Dostal und ich angefangen, mit der Gorilla Musikproduktion Ougenweide, Novalis und andere Künstler zu produzieren. Da dachte ich, A.R. & Machines kannst du auch ein bisschen nebenher machen. Aber mehr als nebenher wurde einfach nicht. Das Höchste der Gefühle waren Einladungen zu Funkhauskonzerten. Außerdem ist das mit der Kreativität so eine Sache – die Ideen wachsen dir im Schädel, ob du willst oder nicht. In meinem Falle war es so, dass das mit den Shantys in meinem Kopf auftauchte zu einer Zeit, als ich dachte, dass es das mit A.R. & Machines wohl gewesen sei. Also bin ich zum Gesang zurückgekehrt. Und ich fand interessant, dass Shantys eine Art Welt-Folklore sind, die sich aus Bruchstücken verschiedener Kulturen zusammensetzte, weil die Schiffe alle Herren Länder erreichten. Und dann war ich halt damit unterwegs. © Pressefoto

Wie ist es dir an diesem Abend in der Elbphilharmonie gegangen?

1986 hast du in dem Film Va Banque" von Diethard " Küster mitgespielt. Da waren ja auch Willy DeVille ...

Ja, außerdem Kevin Coyne, Rio Reiser und Joschka Fischer! Der war damals Umweltminister. Er kam in einer Drehpause an den Tisch, an dem wir Musiker zusammensaßen. Er setzte sich zu uns, guckte mich an und sagte: „Deinen Job würde ich gerne haben!" Worauf ich meinte: „Von euch Politikern erwartet man doch, dass ihr die Welt ordnet, wir machen doch eigentlich nur die Musik dazu." Da guckte er mich an und sagte: „Wie kommst du denn darauf? Die Welt wird doch ganz woanders verändert." Ich habe gedacht: Wie meint er das denn? Meint er jetzt die Industrie, der die Politik hinterherrennt? Die Pause war aber leider nicht lang genug, um in eine Diskussion einsteigen zu können. Philipp Roser 1/2018

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kult! Von Alan Tepper

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Bücher Kultbücher – geschätzt, geliebt, gelobt

ie Bandbreite der literarischen Themen und die Ausdrucksfähigkeit der unterschiedlichsten Autoren erstaunen immer wieder. Wird man von Charles Baudelaire auf die dunklen Seiten des Seins gezogen, weiß ein Schriftsteller wie T.C. Boyle mit seinem feinsinnigen Humor zu unterhalten. Michel Houellebecq lädt zum Philosophieren ein, aber auch ein in Deutschland eher unbekannter Science-Fiction-Autor wie David Gerrold steht für

die Grenzenlosigkeit menschlicher Vorstellungskraft. Der Romancier Truman Capote hat schon in den Fünfzigern Außenseitern in der amerikanischen Gesellschaft ein Denkmal gesetzt, wohingegen die überaus charmante Frances Hodgson Burnett die Unschuld und die Unvoreingenommenheit der Kindheit zelebriert. Viel Spaß beim Lesen und Entdecken vergessener Kultbücher ...

Charles Baudelaire – Blumen des Bösen" "Die er französische Schriftsteller und

David Gerrold – gehen anders" "Zeitmaschinen n Deutschland gehört der Name David Gerrold

T.C. Boyle – ist die Hoffnung" "Grün om Coraghessan Boyle (geb. 2. Dezember 1948) hat sich seinen

Michel Houellebecq – Gegenwart" "InerSchopenhauers französische Autor Michel Houellebecq

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Dichter Charles Baudelaire (9. April 1821 – 31. August 1867) hat mit seinem lyrischen Werk nicht nur Künstler wie Jim Morrison, Allen Ginsberg, Oscar Wilde und sogar Klaus Kinski inspiriert, son­ dern auch den Aufbruch in die Moderne initiiert. Die Beschäftigung mit dem Morbiden, erotische Andeutungen, Themen wie Vergänglichkeit und natürlich die Religionskritik stehen für eine Loslösung von traditionellen Werten und zugleich für einen Angriff auf die in Frank­ reich vorherrschende Wissenschaftsgläubigkeit. Obwohl Lyrik in den letzten Jahren zu einem der unpopulärsten litera­ rischen Genres zählte, verführt die Lektüre schon bei den ersten Zeilen aufgrund ihrer Wortgewalt und der nicht immer einfachen, aber her­ ausfordernden Dechiffrierung. „Die Blumen des Bösen" haben nicht nur einen Kult angestoßen, nein, sie zählen zweifellos zur Weltliteratur. Die aktuelle Ausgabe erscheint in brillanter Übersetzung von Simon Werle und enthält neben dem Text der zweiten (damals zensierten) Ausgabe den Zyklus Strandgut.

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Ruhm mit dem semifiktionalen Roman „Wassermusik" gesichert, aber in steter Reihenfolge ebenbürtige Werke wie zum Beispiel „Talk Talk", „World’s End" oder „Die Frauen" veröffentlicht. Zu seinen frühen Veröffentlichungen gehört diese Erzählung, deren Titel eindeutig auf den Inhalt hinweist, denn hier wird der – im Erscheinungsjahr 1984 – noch illegale Cannabis-Anbau mit­ tels Humor, der Figur der tragischen Helden und einer unübertrefflichen Fabulierkunst beschrieben. Felix Nasmyth, ein Loser, wie er im Buche steht, wird von einem Freund überredet, in der Nähe von San Francisco eine Hanfplantage hochzuziehen, denn es winkt ein satter Gewinn. Neugierige Nachbarn, die sich über das myste­ riöse Treiben der Spät-Hippies wun­ dern, ein Bär, der sich einen Rausch der besonderen Art verschafft, allerlei Missgeschicke und ein ruppiger Cop verhindern den Erfolg des Unternehmens. Letztendlich muss Nasmyth aufgeben, hat jedoch die Liebe seines Lebens kennen gelernt. Seite

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(geb. 24. Januar 1944) allgemein nicht zu den Größen der Science-Fiction-Literatur, obwohl ihm dieser Status eindeutig gebührt. Der Autor, der sein schriftstellerisches Handwerk mit Beiträgen zu „Star Trek" lernte, hat mit diesem faszinierenden Werk eine philosophische und für das Erscheinungsjahr 1973 höchst provokante Variante des Zeitreiseromans kreiert, die sich weit von den Visionen des Urvaters H.G. Wells und zahl­ reicher in diesem Subgenre aktiven Autoren entfernt. Der Protagonist Daniel Eakins erbt von seinem Großvater Jim (eine eindeutige Anspielung auf das Großvater-Paradoxon) einen so genannten Zeitgürtel. Sein künftiges Ich hilft ihm bei der Bedienung, wonach Danny in die Vergangenheit reist und seinem ehemaligen Ich begegnet. Ab diesem Zeitpunkt beginnt ein Wirrwarr aus verschiedenen Zeitlinien, bei denen sowohl die Philip K. Dick’sche Frage nach der Realität aufgeworfen als auch die Paradoxie des Handelns hinterfragt werden. Grandios!

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(geb. 26. Februar 1956) gehört zu den angesehensten Schriftstellern Europas. Sein von schweren Schicksalsschlägen gekenn­ zeichnetes Leben findet nicht nur in Werken wie „Elementarteilchen" oder „Ausweitung der Kampfzone" Niederschlag, sondern auch in kontrovers aufgenommenen Kommentaren zum Islam und in seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie. Einen bedeutenden Einfluss auf Houellebecqs Gedankenwelt stellte der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer dar, dessen Ansichten zur Kunst, der Ästhetik, der Erotik, der Welt und der Lebensführung in seinem neues­ ten Werk diskutiert werden. Zwar ist es nur 76 Seiten dick, von denen ein Großteil für Originalzitate verwendet wird, aber gerade durch die pointier­ ten und punktgenauen Themenbezüge entsteht schnell ein plastisches Bild, das den Leser zum Nachdenken und Hinterfragen anregt. Man erfährt also nicht nur viel über Houellebecqs Vorbild, sondern auch über den aktuellen Zeitbezug und die Relevanz Schopenhauers.

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Frances Hodgson Burnett – "Der geheime Garten" en Namen der britischen Schriftstellerin Frances Hodgson Burnett

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(24. November 1849 – 29. Oktober 1924) werden nur die wenigsten kennen, doch gerade in der Weihnachtszeit erwärmt die Verfilmung ihres Romans „Der kleine Lord [Fauntleroy]" die Herzen der Fernsehzuschauer. Gegenüber der deutschen Kinderliteratur haben viele Werke englischer Autoren Einzug in die Moderne gehalten, die Popkultur bereichert und zudem eine erstaunliche Langlebigkeit bewiesen. Lewis Carrolls Alice-Romane („Alice im Wunderland" und „Alice hinter den Spiegeln"), Rudyard Kiplings „Das Dschungelbuch", J.M. Barries „Peter Pan", das weniger bekannte „Der Wind in den Weiden" von Kenneth Grahame und natürlich J.K. Rowlings „Harry Potter"-Reihe sind nur einige der rund um den Globus beliebten Werke und werden allgemein zur Weltliteratur gezählt. So auch Burnetts bewe­ gender Roman. Das kleine Mädchen Mary Lennox verliert ihre Eltern bei einer Cholera-Epidemie in Indien. Sie wird nach England auf das Gut Misselthwaite gebracht, wo ihr durch den Tod seiner Frau schwermütig gewordener Onkel Mr. Craven – der sich dort nur selten aufhält – die Vormundschaft über­ nimmt. Mary ist auf sich allein gestellt und erkundet das riesige Haus. Doch auch der große Garten lädt zu Streifzügen ein, auf denen sie den Landjungen Dickon kennen lernt. Die zwei entdecken einen geheimen Garten, der der verstorbenen Mrs. Craven gehörte, nun aber verwildert ist. Gemeinsam beginnen sie, ihn wieder zu kultivieren. Zwischenzeitlich hat Mary auch Bekanntschaft mit ihrem Cousin Colin gemacht, ein durch eine seltsame Lähmung ans Bett gefesselter Junge, der die Dienerschaft terrorisiert. Mary erzählt ihm von dem Garten – und wie durch ein Wunder setzt die Genesung ein. Die drei Kinder schließen Freundschaft, und als Mr. Craven von einer seiner Reisen zurückkehrt, wird er nicht nur durch seinen gesunden Sohn überrascht, sondern auch durch eine lebensfrohe, heitere Stimmung, die das alte Gemäuer wie verwandelt erscheinen lässt. Wunderbar.

Truman Capote – "Die Grasharfe" en amerikanischen Schriftsteller Truman Capote

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(30. September 1924 – 25. August 1984) als Enfant terrible der Literaturszene zu beschreiben, stellt sicherlich keine Übertreibung dar. Oftmals wird ihm eine gewisse Leichtgewichtigkeit nachgesagt, sicherlich eine unangemessene Verkürzung, die auf der lebensfrohen Verfilmung und dem Bekanntheitsgrad seines Romans „Frühstück bei Tiffany" mit Audrey Hepburn in der Hauptrolle beruht. Nicht nur seine Homosexualität, zu der er sich im Laufe der Jahre zunehmend öffentlich bekannte, sondern auch sein Alkohol- und allgemein Drogenkonsum, Gefängnisaufenthalte, ein wildes Partyleben und psychische Probleme sorgten für Aufsehen, speziell in den 70er Jahren, in denen Capote ständig das Establishment provozierte. Neben dem ersten TrueCrime-Werk „Kaltblütig" (1966 erschienen) waren es Romane wie das klaustrophobisch wirkende und durch die versteckten sexuellen Anspielungen berüchtigte „Andere Stimmen, andere Räume" (1948), mit denen er zu Weltruhm gelangte, aber sich in den USA auch mit Anfeindungen auseinandersetzen muss­ te. Mit seinem zweiten Roman „Die Grasharfe" (1951) gelang Capote der Durchbruch in seiner Heimat. Die Erzählung klingt simpel: Drei Außenseiter – das Waisenkind Collin Fenwick, die verträumte und sen­ sible Cousine seines verstorbenen Vaters Dolly und das afro-amerikani­ sche Hausmädchen – entziehen sich gesellschaftlichen Ansprüchen und flüchten in ein Baumhaus. Sie werden vom Sheriff der Stadt letztendlich gezwungen, ihr Refugium zu verlassen, doch zuvor gesellen sich noch andere Personen zu ihnen wie der Richter Cool, ein Freidenker, und der Junge Riley Henderson. Die gemeinsame Zeit hat die Flüchtigen jedoch verändert, ihnen neue Perspektiven vermittelt und eine zuvor nicht erlebte Sensitivität ermöglicht. Die letzten beiden Sätze des Romans stehen für die Poesie der Erzählung: „Das Feld war eine Grasharfe, die alles bewahrte, die alles erzählte, die Harfe der Stimmen, die uns eine Geschichte ins Gedächtnis zurückrief. Wir lauschten."

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1. Damals, im ZDF ...

gen Zuschauerschar, was allerdings nicht nur am super smarten Captain, sondern auch am eigens für die deutsche Auswertung neu geschriebenen und zum Teil wirklich sehr „ohrwurmigen" Soundtrack von Deutschlands Großkomponisten Christian Bruhn lag (über 2000 veröffentlichte Lieder!), der hier unter anderem mit ätherischem Frauengesang und einer erhabenen Pianomelodie das Publikum in die richtige Stimmung brachte.

Man glaubt es kaum, auch das ZDF hatte mal progressive Zeiten: Am 27. September 1980 strahlte die deutsche Senderinstitution eine Anime-Serie aus, die sich erstmals an Kinder richtete, die dem Grundschulalter entwachsen waren. Inhaltlich drehte sich alles um den ­wackeren Captain Future, der mit seiner Crew, die aus einem lebenden Gehirn in einem fliegen-

den Spezialbehälter, einem Stahlroboter, einem Kunstmenschen aus Plastik, einer jungen Agentin, einem Marshall und einem Waisenjungen bestand, allerhand abgefahrene Abenteuer auf fremden Planeten erlebte. Die Serie bohrte, nein, fräste sich regelrecht in die Herzen der junSeite

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Natürlich sahen aber, wie so oft zu dieser Zeit, auch hier wieder allerhand Sittenwächter den Untergang des Abendlandes gekommen (obwohl das ZDF die Trickserie bereits ordentlich entschärft hatte) und sorgten dafür, dass „Captain Future" zwar nicht ab-, aber immerhin für ein Dreivierteljahr ausgesetzt wurde. Der Anime – beziehungsweise dessen ZDF-Spezialversion – wurde schlussendlich zwar komplett ausgestrahlt, allerdings machten die Programmverantwortlichen in den folgenden Jahren erst einmal einen großen Bogen um Produktionen der etwas ernsteren Art; erst das Privatfernsehen sollte einige Zeit später Abhilfe schaffen. Auf VHS wurde die Serie hier zu Lande nie ausgewertet, Fans mussten auf Wiederholungen im Fernsehen hoffen und konnten sich erst 2003 in Form zweier qualitativ eher mittelmäßiger DVD-Boxen von Universum die Abenteuer des jugendlichen Draufgängers ins Regal stellen. Im Dezember vergangenen Jahres machte Universum dann einen Traum aber wahr: Es wurde eine neue Edition mit einer technisch überarbeite-

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ten Fassung veröffentlicht, dieses Mal auf DVD und natürlich Blu-ray, und als absolute Besonderheit schaffte es erstmals auch die japanische Originalversion nach Deutschland. Die Form der Auswertung sorgte allerdings für berechtigte Aufregung bei den Fans – denn die (lediglich untertitelte) Originalfassung gibt’s nur im Rahmen der exklusiv auf Amazon erhältlichen „Limited Collector’s Edition" (Blu-ray-only), und für diese muss man satte 199,99 Taler auf die virtuellen Tresen purzeln lassen; die „normale" Blu-rayBox ohne Uncut-Beigabe kostet hingegen „nur" 79,99 Euro, sprich: Um die Serie so zu sehen, wie sie ursprünglich eigentlich auch gedacht war, müssen über 100 Euro extra hingeblättert werden!

Mamurth" wurde im August 1926 im legendären „Weird Tales" veröffentlicht, das auch Größen wie H. P. Lovecraft und Robert E. Howard als Startrampe diente. Hamilton schaffte in der Folgezeit dann das, was schon damals nur eher wenigen gelang – und heute kaum noch jemand schafft: mit Schreiben seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er veröffentlichte zahlreiche Geschichten im „Weird Tales", aber auch in „Amazing Stories", „Thrilling Wonder Stories", „Starling Stories", „Wonder Stories", „Thrilling Mystery" und in weiteren der zu dieser Zeit recht zahlreichen Magazine. Captain Future feierte 1940 mit „Captain Future And The Space Emperor" seinen Einstand und brachte es bis 1944 auf insgesamt 17 Romane, die bis auf drei Ausnahmen alle von Hamilton geschrieben wurden. Interessanterweise waren für den Autor, der unter anderem Physik studiert hatte, wissenschaftliche Fakten eher weniger von Belang, und aus heutiger Sicht mutet sein reichlich naiver Glaube kraft an die Atom­ etwas bizarr an. Andererseits kann man das mit dem Zeitgeist ent s chuldigen,­ denn die Atom­ kraft wurde damals als Hoffnungsträger gesehen, und auch sonst herrschte in weiten Teilen der amerikanischen Bevölkerung eine uneingeschränkte Technikgläubigkeit vor (was sich vor allem in den 50er Jahren dann auch in zahlreichen Science-Fiction-Filmen widerspiegeln sollte).

Was immer man von so einer Dreistigkeit hält: Auch diese Form der Geldabsaugerei wird nicht am Status von „Captain Future" knabbern – die Serie ist und bleibt Kult, und da zudem RTL Nitro den Captain – nach rund zwölf Jahren TV-Abstinenz – wieder ins Programm geholt hat (läuft seit Anfang Januar 2017), ist das der perfekte Zeitpunkt für einen kleinen Rückblick.

2. Edmond Hamilton, Futures Papa „Captain Future" wurde zwar als Anime weltberühmt, die Wurzeln liegen aber woanders, nämlich in Amerika und zwar im Science-Fiction-Pulp der 1930er und 1940er Jahre. Erfunden wurde der Weltraumheld von Edmond Hamilton (21.10.1904–1.2.1977), einem extrem produktiven Schriftsteller und auch Mitbegründer der Space Opera, eines Science-Fiction-Subgenres, das Romantik, fremde Welten und aufregende Raumschiffkämpfe in den Vordergrund stellt und Jahrzehnte später mit „Star Wars" eines der finanziell einträglichsten Franchises überhaupt vorbringen sollte. Es besteht übrigens auch ein indirekter Zusammenhang zwischen Hamilton und „Star Wars", denn der umtriebige Schriftsteller war mit der ebenso umtriebigen und im selben Gefilde wie er wildernden Schriftstellerin Leigh Brackett verheiratet, der so genannten Queen Of Space Opera, die wiederum – zusammen mit Lawrence Kasdan – als Drehbuchautorin von „Das Imperium schlägt zurück" (1980) genannt wird. Wobei ihr tatsächlicher Beitrag aber offenbar nur marginal ausgefallen ist, denn Lucas war mit Bracketts Version nicht einverstanden, schrieb zwei weitere Versionen und überreichte seine Neufassung dann Kasdan zur Finalisierung, blieb aber im Film als Autor ungenannt. Dennoch kann man durchaus vermuten, dass ohne Hamilton und Gemahlin „Star Wars" vielleicht nicht zur bekannten Form gefunden hätte, beide hatten jedenfalls einen prägenden Einfluss auf die Entwicklung des Genres.

Hamiltons Schaffen ist umstritten, der Autor selbst soll kurz vor seinem Tod gesagt haben, dass sein Start im Science-Fiction-Bereich dankenswerterweise zu einem Zeitpunkt stattgefunden habe, an dem sich noch kein Menschen ernsthaft Gedanken über Qualität machte. Ein Künstler hat aber natürlich nicht immer automatisch das letzte Wort, und so darf an dieser Stelle widersprochen werden: Natürlich, man merkt, auch aus den oben angeführten Gründen, dass es sich bei

Hamiltons eigentliche Karriere begann in den 20er Jahren nach Verlust seines regulären Jobs bei der Pennsylvania Railroad Company. Das Debüt „The Monster God Of GoodTimes

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den einfachen, oft Pathos-getränkten Geschichten mit ihren Klischees nicht um moderne Literatur handelt, auf der anderen Seite sind die Bücher mit ihrer Fabulierlust und ihrem hohen Erzähltempo auch heute noch reizvoll. Deswegen ist es eine äußerst erfreuliche Sache, dass der ohnehin nicht genug zu preisende Golkonda Verlag die Romane seit 2011 in einer liebevoll gestalteten Gesamtausgabe herausgibt. Jedes Abenteuer liegt dabei als Neuübersetzung vor und wird von Bonus-Materialien in Form des jeweiligen Originalcovers und diverser Zusatzartikel begleitet. Nicht nur für Fans des Animes eine lohnenswerte Anschaffung – womit wir beim nächsten Thema wären:

3. Der Captain düst ins Fernsehen Doch wie kommt der amerikanische Captain eigentlich ins japanische Fernsehen? Von 1971 bis 1973 erschienen Hamiltons Romane auch in Japan, wodurch die Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft Tõei (die Firma hinter populären Serien wie „Dragon Ball Z", „Sailor Moon" oder „One Piece") auf „Captain Future" aufmerksam wurde. Tõei hatte schon früh begonnen, Stoffe aus dem westlichen Kulturkreis zu adaptieren (darunter einige Märchen wie zum Beispiel „Der gestiefelte Kater", 1969), was natürlich vor allem auf kommerzielles Interesse zurückzuführen ist, denn dem Ausland bereits vertraute

Inhalte lassen sich natürlich besser exportieren; dazu kam noch, dass sich die ganze Welt 1977 in einem „Star Wars"-Rausch befand und somit Hamiltons Reihe natürlich eine optimale Wahl darstellte. Der Umstand, dass Tõei 1978, dem Jahr, in dem die Serie veröffentlicht wurde, auch ein Büro in Hollywood eröffnete, lässt darauf schließen, dass die Firma mit „Captain Future" vor allem den amerikanischen Markt im Fokus hatte. Doch überraschenderweise hatte man in den USA große Schwierigkeiten, japanische Zeichentrickserien an den Mann zu bringen, dafür war aber der Erfolg in Europa, vor allem in Seite

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Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich, sehr groß und wurde auch von diversen Merchandisingartikeln begleitet. So gab es unter anderem ein Panini-Sammelalbum, diverse Brettspiele, Figuren und Modelle (es braucht wohl nicht extra erwähnt zu werden, dass für viele dieser Artikel auf eBay mittlerweile Mondpreise abgerufen werden).

4. Immer noch gut ? Na klar! Natürlich bemerkt man das Alter, allein schon deswegen, weil es sich hier um heutzutage so seltene Handarbeit handelt, sprich: Es wurde noch alles traditionell gezeichnet, und das super; die Serie, die mit angenehm epischen, für die damalige Zeit fast schon komplexen Storys besticht, sieht durchweg fantasievoll und herrlich bunt aus. Ebenso merkt man am leichten Hang zum Chauvinismus, dass der Anime schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hat: So muss Joan, obwohl diese eigentlich schon seit mehreren Jahren Polizeibeamtin ist, ständig von Future beschützt werden, und es setzt – zumindest in der deutschen Fassung – auch mal den ein oder anderen Spruch

(nachdem Future eine Feindin mit einem simplen Trick überlistet, etwa: „Sie sind und bleiben eben eine Frau!"), der heutzutage mit Sicherheit für verstärktes Stirnrunzeln sorgen würde. Sicherlich nicht unbedingt schön, andererseits ist jeder künstlerische Output nun mal automatisch ein Kind der jeweiligen Zeit; man würde es sich ein wenig zu einfach machen, dem jeweiligen Werk aus diesem Umstand einen Strick zu drehen. Das hat auch absolut nichts mit Retroverklärung zu tun, denn gerade die damals heißgeliebte ZDFVersion dürfte – mit den Augen Erwachsener gesehen – doch für leichte Ernüchterung sorgen, denn die heftige und wenig subtile Bearbeitung in Form von zahlreichen Kürzungen hat man zu Kinderzeiten wohl eher weniger bemerkt, jetzt holpert es stellenweise allerdings gewaltig. Der Griff zum japanischen Original merzt dieses Manko aber völlig aus. Und ebenso lohnt sich ein Griff zu den Büchern von Hamilton, selbst wenn man die Serie bereits kennt: Man findet den Anime zwar durchaus wieder, es gibt aber doch genug Unterschiede, um getrost von zwei unterschiedlichen Versionen sprechen zu können – und jede ist auf ihre Art reizvoll! Thorsten Hanisch

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Das neue Interieur der 60er Jahre

Von Kathrin Bonacker

G eometrie statt G emütlichkeit In den Wirtschaftswunderjahren war es schick, sich beim Kaffeekränzchen mit üppiger Buttercrèmetorte diverse Rundungen zu erwerben. Plüschsofas und Goldrandgeschirr gaben das passende Ambiente ab, nach den Kriegsjahren wollte das Überleben gefeiert sein. Das traute Heim mit der klassischen Paarbeziehung symbolisierte die sehnsüchtig gewünschte Stabilität. In den 60er Jahren verschwanden diese Sehnsüchte bei den jungen Leuten und machten einer Aufbruchsstimmung Platz, die nicht nur politisch zum Ausdruck kam: Auch das Mobiliar und seine Formen wandelten sich rapide. Es kam im wahrsten Sinne Bewegung hinein.

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er in den 50ern oder 60ern geboren wurde, kam als Kind vielleicht in den Genuss eines Klappbetts. Und das ist eigentlich der Prototyp des 60er-Jahre-Möbelstücks überhaupt: Ein traditionsreicher, notwendiger Gegenstand wurde neu gedacht und im Zuge des Platzsparens fügsam gemacht. Tagsüber ein Schaumstoff-gepolstertes Sofa, unempfindlich und spieltauglich mit Chemiefaser bezogen, nachts mit der aus der ausgeklappten Holzkonsole hervorgezauberten Bettwäsche in Nullkommanichts schlaftauglich gemacht. Eine Form der Technik, die für Kinder ein bisschen magisch bleiben mochte, für Eltern aber vor allem eines war: unendSeite

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lich praktisch! Neue Materi­a­­­ lien ermöglichten die Abkehr von der tradi­ t ion s r e ic h e n Kombinat ion aus Parkett, O r ie nt­t e pp­i ­ chen, Holzmobiliar, Damastvorhängen, Leinen­­ wäsche und Porzellan in den Wohn- und Schlafzimmern. Die Hinwendung zu geistiger und körperlicher Beweglichkeit ging mit der Unlust auf unbewegliche Möbel, seien sie empfindlicher oder schwerer Art, einher. Die Ideale der Bauhaus-Architekten setzten sich zunehmend durch: „Form folgt Funktion" war das Credo. Ausgehend von Max Bills wegweisendem Buch „Die gute Form" (1957) wurde dieser an der Funktionalität orientierte Begriff von Design prägend für die Epoche und mündete in den 1969 bis 2001 jährlich vergebenen Bundespreis „Gute Form". Im Bereich der „Hausfrauenarbeit" zeigte sich das am deutlichsten, denn die Inkarnation der üblichen Ausstattung der

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daneben waren zu Beginn der 60er glatt und glänzend, manchmal 60er ist die „Poggenpohl"-Küche, der Traum vom Einbauschrank. noch in Rosé, Hellblau oder Blassgrün, oft auch in hellem Gelb, Die Küchenwand wurde eingenommen von schlichten weißen ihre Farben wurden im Laufe der Jahre dann zunehmend oder hellgrau melierten Flächen mit stählernen Griffkanten kräftiger und die Materialien rauer in der Oberfläche, geoanstelle der üblichen Holzknäufe, darin integriert waren ein metrische Linienmuster kamen dazu. Die Waschbecken, Tisch auf Rollen, an dem locker drei Personen essen konnBadewannen und Toiletten mussten ebenfalls nicht mehr ten, und eine aufklappbare, mechanische Brotmaschine. rein weiß und schmucklos sein, sondern bekamen bei Die Schränke waren bereits in Fachhöhen und -tiefen „Ideal Standard" beispielsweise ein italienisches Design flexibel umbaubar, auch ein Putz- oder Vorratsschrank in knalligem ließ sich nach Wunsch gestalten. Von anderen Herstellern gab Himmelblau. Zahn­ es vergleichbare putzbecher nicht Einbauküchen, zur mehr aus Porzellan, Etagenwohnung im Hochhaus-­sondern aus Plastik, ergänzten das n­ eubau mit Müll­ Ganze. schlucker gehörDer Babyboom, der ten sie quasi sich 1964 auf dem dazu: Omas altes Höhepunkt befand, Buffet hatte für brachte auf dem die junge Familie Ausstattungsmarkt ausgedient. Das noch ganz andeZauberwort „praktisch" wurde hier ergänzt durch „abwaschbar", der re Dinge mit sich: kleine Einbautisch war ausziehbar, die Brotmaschine verstellbar. Die Das bereits in den Einbaugeräte waren zeitsparend (von Energie redete noch keiner so wirk1950ern populäre „Paidi"-Bett für den Nachwuchs besaß zunächst ein Gitter, aber dieses bot die Möglichkeit, mehrere Stangen daraus zu entfernen, wenn der Läufling die ersten Schritte zur Selbstständigkeit tat, und später war das ganze Gitter abbaubar. So wurde die Kinderschlafbetreuung flexibler. Dieselbe Firma verkaufte übrigens auch ein „Ställchen", das als „Lauflerngitter mit Klappboden" angepriesen wurde. Die Kindernahrung wurde jetzt als Fertigprodukt hergestellt (ab 1959 gab es „Alete-Brei", ab 1960 auch Hipplich). Die Denkendorfer Firma Zimmermann pries Produkte im Gläschen), und die zunehmende Berufstätigkeit dementsprechend 1961 ihren „Zetomatic"von Frauen ging einher mit immer mehr Bedarf an Waschautomaten unmissverständlich mit: Kindergartenplätzen. Es entstand ein ganz neuer „Kaufen Sie Freizeit!" Die Spülmaschine Markt an kindgerechtem Interieur: Plastik-Töpfchen war das Erträumte (Miele titelte: „Werfen und Plastik-Baby­bade­wannen, Kinder­s tühlchen, Sie Ihren Spüllappen fort!"), und die Wickeltischen und natürlich sandkastentaugliches eigene Waschmaschine wurde langSpielzeug, alles so abwaschbar und pflegeleicht wie sam zum Standard im Privathaushalt. möglich. Der Kunststoffwäschekorb aus Platz wurde gespart, wo es ging, Lampen erhielten, Hostalen (Polyethylen) gehörte zur wenn möglich, Kippschirme aus Plexiglas auf ihren Grundausstattung. Manch einer dieser „Vollautomaten" hatte sogar ein „Spezialprogramm für Perlon" – auf „Knopfdruck"! Im Sanitärbereich war der „Allibert" die neueste Errungen­ schaft: Verspiegelte Toiletten­­schränke aus Kunst­stoff, einfach an der Wand über dem Waschbecken aufzuhängen und mit integrierter Beleuchtung, schmückten jetzt die Bäder: „praktische, formschöne Modelle von 14,50 DM bis 195,- DM" (wie es in einer Anzeige von 1966 hieß). Die Fliesen GoodTimes

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schweren metallenen Füßen, gefältelte Stoffbespannungen waren vollkommen aus der Mode. Das Wohnzimmersofa wurde zwar nicht kleiner, aber gerader und schlichter, das Gleiche galt für Sessel und Stühle. Die Formen waren klar und gegen Ende der Dekade an den Ecken gerundet. Der ideale Tisch war auszieh- oder höhenverstellbar, glatt und funktional. Die charakteristischen Stapelstühle von Arne Jacobsen aus lackierten Holzplatten mit leicht ausgestellten Metallbeinen und der drehbare, weiche Ledersessel mit separatem Fußteil von Charles Eames galten als „Träume des Sitzmobiliars". Auf der Documenta III 1964 durfte Jacobsen in der Abteilung Industrial Design ausstellen, er war in aller Munde. Ab 1968 waren unter dem Namen „Sacco" auch die ersten Sitzsäcke der italienischen Designer Gatti, Paolini und Teodoro auf dem Markt, sie wurden aber allenfalls als Einzelstücke an Normalsterbliche verkauft. Auf den Tisch kamen jetzt Platzdeckchen, neudeutsch „Sets", die zu bügelnde Tischdecken sparten und im Idealfall ebenfalls abwaschbar waren. Und das Geschirr und Besteck durften extrem einfach gestaltet mit schnörkellosen Formen aufwarten. Die rostfreie EdelstahlBesteckserie „Stockholm" von WMF war der Hit unter den Hochzeitsgeschenken. Tassen verloren ihre Bäuche, kamen manchmal gar schon ohne Untertassen Seite

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daher, auch Tee- und Kaffeekannen hatten keine Wölbungen mehr, sondern standen partnerschaftlich geradlinig mit den Tassen beisammen. Töpfe wurden mit bunter Emaille so gestaltet, dass sie direkt auf den Tisch kommen durften und das Umfüllen in Terrinen sparten. Wer etwas auf sich hielt, schaute nach Skandinavien, wo in diesen Jahren das innovativste Design vermutet wurde. Für Arabia Finland zum Beispiel schuf die Gestalterin Ulla Procopé 1961 das „R usk a"- Ge s c hi r r, eine dickwandige, matt glasierte meist dunkelbraune Keramik, die schwer und solide glatte Formen bot, die zu allen Mahlzeiten genutzt werden konnten. „Ruska" wurde ein Hit, genauso wie die Stoffe der finnischen Firma Marimekko oder bestimmte Vasen aus der Glasmanufaktur Iittala. Hutablagen kamen mit den Hüten aus der Mode, und die jetzt eher Gartenzäunen als Schränken ähnelnden Garderoben aus dick beschichtetem Metall erhielten Plastikhaken: Die (pflege-)leichten Mäntel konnten oft ganz bügellos am Aufhänger baumeln. Unter den Füßen verschwand das Holz und wurde durch Kunststoff wie Pegulan in allen möglichen Farben versteckt, der genauso abwaschbar war wie die Arbeitsplatte in der Küche. Wer Bücher besaß, stellte sie auf ein „String"Regal, das die hölzernen Regalbretter auf einer leichten Wandkonstruktion schmucklos hielt und so den gelagerten Objekten viel mehr Raum und Aufmerksamkeitspotenzial schenkte. Die Buchcover der Krimireihen hatten starke Farbkontraste – schwarzrot oder schwarz-gelb prangten sie mit Schwarz-Weiß-Fotografie auf den Brettern, daneben durfte auch mal ein geschnitztes, glattes Holzobjekt stehen, mehr oder minder gegenständlich gestaltet. Filigranes oder Zerbrechliches wich rundlichen Handschmeichlern, auch die Blumenvasen waren glatt, monochrom und in der Regel eher dekorlos. Die Stoffe, Tapeten und Möbelformen dieser Jahre setzten ebenfalls Akzente der Einfachheit: Zunehmend größere Muster und der Verzicht auf Blumiges und Rüschen sind hier kennzeichnend. Schachbrettmuster waren beliebt, auf Fußböden gerne sehr großformatig und als diagonal verlegte Platten. Marineblau

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und Braun, Tannengrün, gedecktes oder auch Tomatenrot und Senfgelb bestimmten die Atmosphäre. In der Plakatkunst oder auch groß gemusterten Tapeten, die die Wände zierten, fanden sich jetzt Elemente der Pop Art, der Op Art und der Psychedelischen Kunst wieder, mit verschwimmenden Grenzen: wilde, geschwungene Formen und stark farbige Kontraste in geometrischen Mustern aus Pink, Orange, Braun und Grün. Marimekkos großblumige oder gestreifte Stoffe trafen diesen Nerv. Glatte Flächen, denen ihre Sauberkeit anzusehen war, erfreuten das Auge. Griffe und Handläufe waren schnörkellos, rein stählern oder kunststoffbeschichtet, und manches Objekt, das noch ein paar Jahre zuvor Armlehnen oder Seitenteile gehabt hatte, fand sich jetzt randlos in den Mittelpunkt gestellt. Plastikhocker, -stühle oder Tischchen wurden gegen Ende der Dekade nicht selten aus einem Stück nahtlos gefertigt und endeten in einer mittigen runden Bodenplatte oder waren endlos stapelbar. Die sogenannten Bofinger-Stühle (präzise und technisch „BA 1171" genannt), 1966 von Helmut Bätzner aus glasfaser verstärktem Polyester entwickelt, „waren die ersten aus einem Stück Kunststoff gefertigten Sitzmöbel de r Welt" (Möbeldesign des 20. Jahrhunderts, S. 200), die konkrete Herstellungszeit betrug nur vier Minuten. Noch bekannter wurden die geschwungeneren Stapelstühle aus einem Guss von Verner Panton (entworfen 1960, erstmals produziert 1968). Wer heute bei eBay Designobjekte aus den 60ern sucht, braucht nur dem Schlagwort „Panton-Ära" zu folgen und findet Mobiliar, das damals ungeheuer futuristisch anmutete und eher der Popkultur angehörte als dem real existierenden Alltagsleben. Der Traum aller Kinder war der von Eero Aarnio 1966 erfundene Kugelsessel („Ball Chair"), der als aufgeschnittener und gepolsterter Plastikhohlkörper Platz für eine oder zwei sehr kleine GoodTimes

Personen bot und sich wie ein Spielplatzobjekt komplett drehen ließ (Im Film „Schlaflos in Seattle" ist er als Rückzugsinsel des cleveren Achtjährigen Jona unsterblich geworden). Für junge Leute hieß das Motto: „Platz ist wichtig. In einem Zimmer, das vollgepfropft ist, wo man sich zwischen Möbelstücken hindurchschlängeln muss, kann man nicht ‚wohnen'. Ein bisschen muss man sich auch darin bewegen können. Wer einen warmen Teppich in seinem Zimmer hat, wird bald herausfinden, wie angenehm es ist, sich darauf längelang auf den Bauch zu legen, um zu lesen, zu schreiben, Bilder zu sortieren" (Meine Welt, S. 54). Das war die Geburtsstunde der großen Zeit der Auslegeware und gleichzeitig der Beginn der Flokati-Ära ... Literatur: 1960 erschien beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr die Erstausgabe der Zeitschrift „Schöner Wohnen", die sich bis heute monatlich nur den aktuellen Wohntrends widmet. Hier geht es um Vorschläge für die jungen Wohnungsmieter oder Hausbesitzer, wie es mit Blick auf die Einrichtung schön und komfortabel sein könnte. Wer sich dem Interieur der 1960er nähern möchte, dem seien die Hefte wärms­ tens empfohlen! Den Zeitgeist eingefangen hat auch „Meine Welt. Ein Jahrbuch für Mädchen" von Ingeborg Heidrich, 68. Ausgabe, Union Verlag Stuttgart 1963 (Der einschlägige Artikel von Christa Lundquist ist getitelt „Mit wenig Geld ... doch verschwenderisch mit Phantasie"). Einen guten Überblick über zeitgenössisches Mobiliar gibt überdies Eva M.J. Schmid: „Unsere Wohnung. Einrichten und Gestalten", Bertelsmann Ratgeberverlag Gütersloh 1969. „Möbeldesign des 20. Jahrhunderts" präsentieren auch sehr schön Klaus-Jürgen Sembach, Gabriele Leuthäuser und Peter Gössel im Taschen Verlag, Köln o. J. (1993). Und wer es lieber eher kunsthistorisch mag: Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt in seiner auch online zugänglichen Sammlung diverse Möbelmeisterwerke der Epoche. 1/2018

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Erich Bitter und seine Autos

Italienischer Chic aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis

Herr Bitter, Sie waren Radrennsportler, Autorennfahrer, Auto-Importeur und vor allem Produzent exklusiver Automobile, und in Ihrer Biografie ist die Rede von einem Auf und Ab aus großem Erfolg " und immer wieder spektakulärem Scheitern" – was hat überwogen, der Erfolg oder das Scheitern? Ich denke, der Erfolg! Selbstverständlich gab es oft schwierige Zeiten, und wir mussten mit Entscheidungen leben, die an ganz anderer Stelle getroffen wurden. Als man etwa bei General Motors entschieden hat, die Marke Pontiac sterben zu lassen, hatte das bittere Auswirkungen auf unsere Arbeit. Denn der bereits fahrfertige Prototyp, an dem wir damals arbeiteten, basierte ausgerechnet auf einem Pontiac-Modell. Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass man ein automobiles Urgestein wie Pontiac einfach so aufgeben würde. Die gesamte Mechanik, mit der wir geplant hatten, war damit perdu, und das hat für uns einen Verlust von einer Million Euro bedeutet. Da fällt man erst einmal in ein tiefes Loch. Seite

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Der Fluch und der Segen der Großserie ... Das stimmt. Viele Jahre zuvor ist es uns mit dem Opel Diplomat ähnlich gegangen. Dessen Mechanik bildete damals das Gerüst für den Bitter CD. Aber ich habe bereits in relativ frühen Jahren gelernt, dass Aufgeben für mich keine Option ist. Wenn ich einen schweren Schlag bekomme, dauert es zwei, drei Tage um einigermaßen damit klarzukommen. Dann überlege ich mir, wie es weitergehen kann. Trotz aller Rückschläge gab und gibt es nichts Besseres, als mit einem so großen Unternehmen wie Opel zu arbeiten. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir bereits seit fast 50 Jahren erfolgreich kooperieren. Längst

Foto: © Lutz Keiss

Erst war er Radsportler, später Autorennfahrer, dann AutoImporteur, und schließlich baute er selbst ein paar der schönsten Autos der 70er Jahre. Erich Bitter war und ist das, was man im besten Sinne einen Selfmademan nennt. Im Interview spricht der gebürtige Westfale aus Schwelm über seine wunderbaren Kreationen wie den Bitter CD oder den Bitter SC, über große Erfolge und bittere Rückschläge und auch darüber, dass sein Tatendrang selbst mit 84 noch nicht gestillt ist.

weiß man bei Opel: Der Bitter, der macht keinen Mist, der baut unsere Teile zu unserer Zufriedenheit in seine Autos ein. Den Beweis, dass Bitter-Kunden ein sehr gutes Auto bekommen und keine Garantiefälle auftreten, mussten wir aber erst einmal erbringen. Heute sind wir ein so genannter anerkannter Aufbauhersteller für Opel-Fahrzeuge und können dank dieses Status und dank der entsprechenden Verträge stets die Mechanik kaufen, die wir benötigen. Wenn wir ein BitterAuto bauen, basiert das immer auf der kompletten Mechanik eines einzigen Opel-Modells. Wir greifen nicht auf verschiedene Modelle zurück. Für den Bitter CD war der Diplomat der Spender, für den SC der Senator.

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Wie kam es überhaupt zu der engen Partnerschaft ausgerechnet mit Opel? Damals, Ende der 60er Jahre, saßen bei Opel in Rüsselsheim Verant­ wortliche, die Entscheidungen trafen, die man heute so wohl nicht mehr durchbringen könnte. In der Verantwortung war damals Robert Lutz, der zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Opel Rekord in ein Rennauto umbauen ließ ... ... die legendäre schwarze Witwe" ... " Genau. Und für die suchte Opel einen Piloten, der mehr konnte, als nur schnell zu fahren, und der auch etwas von der Technik verstand. Über einen gemeinsamen Kontakt bei Porsche trat man an mich heran. Dabei war Opel für mich zunächst überhaupt kein Thema, ich wollte unbedingt Porsche fahren. Als ich aber gesehen habe, was dieses Auto leisten kann, war mein Interesse geweckt, und ich habe zugesagt. Später habe ich Lutz gefragt, ob er sich vorstellen könne, mir die Mechanik des Opel Diplomat für ein eigenes Auto zur Verfügung zu stellen. Da der Diplomat für Opel kein Erfolg war, hat man überlegt, dass dieses Modell vielleicht davon profitieren könnte. So ist schließlich mein erstes Auto entstanden, der Bitter CD.

Welches Ihrer Autos war für Sie rundum perfekt? Ich denke, dass sie alle perfekt waren in dem Sinne, dass man sie jeden Tag nutzen kann – dank der Großserientechnik von Opel. Viele CD und SC fahren noch heute problemlos. Nehmen Sie zum Beispiel den CD: Der V8-Motor des Opel Diplomat war nahezu unzerstörbar, zudem hatte das Auto bereits eine Klima-Anlage und verfügte über eine fortschrittliche De-DionHinterachse. Ich erinnere mich da an einige der italienischen Autos, die ich damals importierte. Einmal habe ich einen Maserati über Nacht draußen draußen stehenlassen, statt ihn in die Garage zu fahren. Als ich morgens einsteigen wollte, war der gesamte Fußraum geflutet – obwohl die Fenster eindeutig geschlossen waren! Bei Maserati sagte man nur: „Regen Sie sich doch nicht auf, Herr Bitter! Bohren Sie einfach ein paar Löcher in den Fußboden, dann läuft das Wasser schnell wieder ab" (lacht). Nein, so etwas geht gar nicht! Mir war klar, dass ich bei aller Vorliebe für italienisches Design in Sachen Zuverlässigkeit einen anderen Weg Andreas Kötter gehen musste als die italienischen Autobauer.

Foto: © Lutz Keiss

Foto: © Lutz Keiss

Der CD war Ihr erstes, der folgende SC – nach Stückzahlen – Ihr erfolgreichstes Auto. Wie verhielten sich diese beiden Modelle zu Ihren Mechanikspendern von­Opel?

hatten erkannt, dass wir Wert darauf legen, Autos zu bauen, die sich gerade auch im Innenraum durch die Verwendung hochklassiger Materialien und damit echte Handarbeit auszeichnen – und die ist nun mal teuer. Der damalige Daimler-Benz-Chef Professor Werner Breitschwerdt hat einmal zu mir gesagt, dass ich sein größter Konkurrent sei, und hat aufgezählt, wer alles Bitter fahre. Sein Fazit lautete: „Herr Bitter, alle diese Kunden hätte ich gerne auch für Mercedes" (lacht). Heute, in Zeiten des flächen­ deckenden Sponsorings, ist so etwas unvorstellbar. Audi etwa sponsert im Sport so ziemlich alles und jeden. Viele Ski-Rennfahrer fahren Audi, und auch Fußball-Bundesligisten wie der FC Bayern München oder Borussia Mönchengladbach setzen heute auf Audi. Ein kleiner Hersteller hat heute keine Chance mehr.

Foto: © Lutz Keiss

Der CD und der SC, der auf der Mechanik des Opel Senator basierte, waren etwa dreimal teurer als das jeweilige Opel-Modell und genossen ein sehr hohes Image. Der CD kostete damals um die 75.000 Mark, heute liegt ein gut erhaltener CD bei 85.000 Euro. Ein SC, der damals rund 100.000 Mark kostete, liegt heute bei 45.000 Euro. Dieses vermeintliche Missverhältnis rührt wohl daher, dass der CD ein größerer Hingucker ist als der SC. Aber er ist nicht nur ein klassisch schönes Auto, sondern dank seiner großen Heckklappe aus Glas auch ein Fahrzug mit hohem Nutzfaktor. Damals fuhren sehr viele Sportler wie Rosi Mittermaier und Christian Neureuther, wie Paul Breitner, Karl-Heinz Rummenigge oder Jürgen Grabowski, aber auch Künstler wie Howard Carpendale einen CD oder einen SC. Die Leute GoodTimes

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Die Farbe Orange in den 70er Jahren

Bahn frei f ür ungebremste Fröhlichkeit

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ollte man den Zeitgeist einer Epoche mit einer einzigen Farbe beschreiben, wäre dies für die 1970er Jahre ganz einfach: Orange war einfach omnipräsent. Die fruchti­ ge Farbe eroberte Kleidung, Möbel, Tapeten, Telefone, Fußballtrikots und Geschirr, machte sich auf Autos, Elektrogeräten und in Werkzeugkästen breit. „Es war alles orange und unfassbar häss­ lich, aber es hat gute Laune gemacht", erinnerte sich der Schauspieler Hannes Jaenicke in einem Fernsehbeitrag über das „Wilde Jahrzehnt der Deutschen". Die bunte Flower-PowerWelle hatte schon Ende der 60er Jahre mit der Hippiebewegung in den USA begonnen. Wenig später schwapp­ te sie nach Deutschland, und der Wunsch nach Frieden, Freiheit und Kreativität fand seinen Niederschlag in grellen Blumenmustern und schrillen Farben. Auch die Assoziation an einen lustigen Kindergeburtstag war Anfang der 70er Jahre nicht zufällig. „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung" wurden einer breiten Öffentlichkeit bekannt und kon­ trovers diskutiert, nachdem das gleichnamige Buch des Pädagogen Alexander Neill (seine Autobiografie erschien übrigens 1972 unter dem Titel „Neill! Neill! Orange Peel") in deutscher Sprache herausgekom­ men war. Ausgelassenheit, Spiel und ungebremste Fröhlichkeit, dafür stand die Farbe Orange. Und für den ungebremsten Drang nach Modernität. Möbel und Gebrauchsgegenstände aus Plastik, die durch die Entwicklung der Thermoplaste und entsprechende Verarbeitungsverfahren nun billig hergestellt werden konnten, erreichten die westdeutschen Wohnzimmer. Besonders aus Italien kamen opulent geformte Plastikmöbel in „progres­ sivem" Design und versprachen (laut Werbung) „Wohnfreiheit", auch wenn man manchmal nicht genau wusste, wozu die amorphen Landschaften aus Plastik und grellbun­ ten Polsterbezügen eigentlich gedacht waren. Auch in der DDR avancierte Orange zum Modetrend bei Wohntextilien und Hausrat. Ein Einrichtungsratgeber war sogar komplett in den Farben Schwarz und Orange gestaltet. Den Frontalangriff auf alle westdeutschen Haushalte startete 1972 die Marketingabteilung von Henkel mit der „Aktion fröhliche Küche": Zu dem von Klaus Doldinger komponierten Song "Holt euch die fröhlichen Blumen, holt euch das fröhliche Pril" zogen knallbunte Sticker in Bad und Küche ein und machten sich auf allen verfüg­ Seite

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baren Oberflächen breit. Im Fernsehspot mit der glücklichen Familie landeten sie auf Kacheln, Schränken, Küchen und wurden zum Schluss von den Kindern frech auf Papis Brillenglas geklebt (eine Blume in Orange, wohlgemerkt), wobei der Begriff „fröhlich" innerhalb von nur 30 Sekunden ganze elfmal wiederholt wurde. Selbst Babywindeln kamen fortan nicht ohne Heiterkeit und passendes Dekor aus: „Farbig fröhliche Muster machen die Moltex Combinette zur besonderen Höschenwindel. Ihr Kind sieht darin besonders schick aus – beim Spielen, oder wenn Besuch kommt." Neben der bis zum Exzess beschworenen Fröhlichkeit war „Frische" ein Schlüsselwort der Werbung, denn sie verband Hygiene und Sauberkeit mit Aspekten von Modernität, Foto: © Jörg Bohn Jugend und gesellschaftli­ chem Aufbruch. Ferrero brachte 1972 trendige Erfrischungsdragees auf den deutschen Markt, die mit dem Slogan „Tic Tac ist die neue Taktik" zum Verkaufsrenner wurden. Der Produktname bezog sich auf das Geräusch beim Schütteln der Plastikpackung, und ab 1975 waren die stylischen Bonbons auch mit Orangengeschmack und in der modischs­ ten aller Farben erhältlich. Derweil eroberte „Fa-Seife, die wilde Frische, die Sie frisch und fröhlich macht", den Kosmetikmarkt. Die war zwar nicht orange, sondern grün, aber dafür konnte man auf den Werbeanzeigen nackte Busen bewun­ dern. Auch die Firma Henkel sorgte nicht nur in der Küche für Innovation. Schon 1967 hatte sie ein Projekt ins Leben gerufen, um spezielle Produkte für Selbstbedienungsläden zu entwickeln. Dabei entstand die Marke „Creme 21", die ab 1970 in einer orangenen Kunststoffschraubdose angeboten und als Gegenspieler zur blauen Nivea-Creme von Beiersdorf positio­ niert wurde. Die Verpackung in Orange stand für Modernität, die Zahl 21 entsprach dem damaligen Volljährigkeitsalter und sollte Jugend und Lebendigkeit ausdrücken. Mit dem Slogan „Creme 21 – Hält die Haut jung" startete eine erfolgreiche Kampagne, die fröhliche (!) junge Familien und viel Haut zeigte. Richtungweisend für das Design der Epoche war jedoch auch das Konzept der Olympischen Spiele in München, das der Weltöffentlichkeit 1972 ein neues Deutschlandbild prä­ sentieren sollte: jung, spontan und gewaltfrei. Hierzu hatten die Organisatoren mit dem 1922 geborenen Otl Aicher ­einen

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chen Raum spürbar und sichtbar wurde und schon eine Vorahnung auf die Ereignisse des Deutschen Herbstes im September und Oktober 1977 gab. Einstweilen tauchte in den Fußgängerzonen der Großstädte eine ganz neue Gruppe orange­ gekleideter Personen auf. Im September 1970 hatte der indische Guru Bhagwan Shree Rajneesh eine weltweite Bewegung gegründet. Sein Guruzentrum in Poona zog Tausende von Pilgern an, die die Lehren ihres Meisters als so genannte Sannyasins auch nach Deutschland brachten. Sie trugen Kleidung in Orange oder Rot und das Bild ihres Meisters an einer Kette aus Holzperlen um den Hals. Bald gehörten männliche und weibliche Sannyasins – beispielsweise im Belgischen Viertel in Köln oder im Hamburger Karolinenv iertel – zum Straßenbild. Die Bhagwan-Jünger waren zum Teil erfolgreiche Geschäftsleute, die Cafés, Discos und vegetarische Restaurants eröffneten und mit ihrem peppigen Konzept besonders bei Jugendlichen gut anka­ men. Nachdem der Guru jedoch seine selbst begründete Religion 1985 mit einem Schlag aufgehoben hatte und sich selbst fortan Osho nannte, hängten die meisten Anhänger ihre orangene Kutte und die Holzperlenkette an den Nagel. Bhagwan selbst trug übrigens nie Orange – und auch für seine 93 Limousinen wählte er andere Farben. Ein Rolls-Royce in Orange sei ein Widerspruch in sich, der Luxus werde durch die Farbe lächerlich gemacht, sagte der Guru in einem Interview. Außerdem könne er die Farbe nicht leiden ... Damit war Osho kein Einzelfall: Orange gilt heute nach Braun als unbe­ liebteste Farbe. Durch die übermäßige Verwendung von Orangetönen, kombiniert mit Plastik, bekam die Farbe spätestens Anfang der 80er Jahre das Image von Billigkeit und Aufdringlichkeit. Die Menschen hatten sich sattgesehen, und lange Zeit verschwand Orange als geächte­ ter Farbton aus dem öffentlichen Leben. In aktuellen Design-Ratgebern wird Gestaltern sogar ausdrücklich von der Verwendung abgeraten. „Orange", heißt es dort, „ist immer etwas Billiges, Lustiges, Kindliches, Lautes, Auffälliges; aber niemals sollte man die Farbe für ein dezentes, hochwertiges Produkt verwenden." Eine Unternehmerin aus Bad Homburg ging das Wagnis trotzdem ein und übernahm 2003 die in Vergessenheit geratene Marke „Creme 21" samt ihrem typischen Design. Seit 2004 ist der „Kult in leuchtend Orange" wieder in die Regale von Supermärkten und auch in so man­ che Haut eingezogen. Ob die Farbe der Verpackung jedoch eine neue Modewelle auslöst, darf getrost bezweifelt werden. Susanne Buck © 2003 Samvado Gunnar Kossatz

der prägends­ ten deut­ schen Designer engagiert. Aicher und sein Team schufen ein umfassendes visuelles Gesamtkonzept, das von der Architektur über die Gestaltung der Uniformen, Plakate und Eintrittskarten bis hin zum bunt gerin­ gelten Maskottchen „Waldi" reichte. Ziel des Konzepts, zu dem auch eine neue Zeichensprache und radikal reduzierte Piktogramme gehör­ ten, war nicht primär die visu­ elle Ordnung, sondern eine gelöste, heitere Atmosphäre. Insbesondere die Uniformen, die der Modedesigner André Courrèges entwarf, sollten ein freundliches und offenes Auftreten unterstreichen. 40.000 Mitwirkende und Freiwillige waren in Farben gekleidet, die Otl Aicher präzise vorgegeben hatte: Sonnengelb, Orange, Blauviolett, Hellblau, Grün, Hellgrün. Selbst das Auftreten der Sicherheitskräfte wurde in das visuelle Konzept einbezogen, und ihre Uniformen wurden optisch auf den friedlichen und deeskalierenden Ansatz abgestimmt. Jeder sollte die Veränderung wahrnehmen, die sich in Deutschland seit den Olympischen Spielen 1936 voll­ zogen hatte. Die ganzheitliche und bunte Ausrichtung des Münchner Auftritts war in den Medien weltweit ein großer Erfolg. Die US-amerikanische Tages­ zeitung „Daily News" soll über die Eröffnungsfeier mit Gesang des Tölzer Knabenchors geschrieben haben: „Flower Power verkünde­ ten die Münchner Kinder – sie sind der Geist der Münchner Spiele, der Geist eines neuerstandenen Deutschlands." Dann allerdings, am 5. Sep­ tem­b er 1972, markierte die Ermordung israelischer Athleten durch Mitglieder einer paläs­ tinensischen Terrororganisation ein jähes Ende. Gerade weil die Sicherheitsbedingungen bewusst locker gehalten worden waren, hatten die bewaffneten Geiselnehmer keine Mühe gehabt, die israelischen Sportler in ihren Appartements zu überwältigen. Die Öffentlichkeit war schockiert, aber die Spiele wur­ den nach einem Trauertag trotz­ dem fortgesetzt. Das jähe Ende der bunten Fröhlichkeit am 5. September 1972 markierte in der Bundesrepublik einen Wendepunkt, der im öffentli­

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Von Hans-Joachim Neupert

Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit Rittergeschichten sind in Europa seit alters her besonders beliebt und blicken auf eine lange Tradition zurück. Die alten Heldenund Göttersagen sind in den germanischen Ländern genauso wie bei anderen Völkern zuerst nur mündlich überliefert worden, ehe sie ab dem 12. Jahrhundert dann schriftlich aufgezeichnet wurden. Dass sie alle einen historischen Kern haben, gilt als sicher. Siegfrieds Kampf mit dem Drachen war über Jahrhunderte der beliebteste Erzählstoff an den Lagerfeuern bei allen germanischen Stämmen.

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n der Tradition der alten Legenden- und Heldensagen publizierte einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit, der schottische Jurist und Schriftsteller Sir Walter Scott, im Jahr 1820 seinen berühmten Roman „Ivanhoe". Die Geschichte thematisiert die Rivalitäten zwischen Angelsachsen und Normannen nach dem Sieg Wilhelms des Eroberers. Neben der von Walter Scott erfundenen Figur des Ritters Ivanhoe fließt auch der Mythos um Robin Hood bzw. Richard Löwenherz in den Roman ein. Im Zusammenhang der damaligen Verhältnisse – Turniere, Intrigen und Leibeigenschaft sowie der seit der Schlacht bei Hastings herrschenden Unterdrückung der Angelsachsen durch die Normannen – vermittelt sich ein eindrucksvolles Bild jener Zeit.

Wilfried von Ivanhoe kehrt aus dem Heiligen Land nach England zurück und erlebt eine böse Überraschung. Wegen seiner Gefolgschaft für Richard Löwenherz und seiner Liebe zu Lady Rowena hat ihn sein Vater verbannt. Auch um das Königreich steht es nicht gut. Die Rückkehr des beim Volke sehr beliebten Königs Richard Löwenherz aus Palästina endet in österreichischen Kerkern. Richards Bruder Prinz John hat währenddessen die Macht in England an Roger Moore sich gerissen, tyrannisiert und unterdrückt seine Untertanen. Als getreuer Ritter seines Herrn nimmt Ivanhoe da mit List und Tapferkeit den ungleichen Kampf auf, um Richard die Rückkehr auf den Thron zu sichern und sein eigenes Glück zu retten. Der Stoff ist natürlich prädestiniert für die große Leinwand, und so hat es bereits sehr früh (1911 und 1913) in den USA und in England erste Verfilmungen gegeben. Die erste wirklich gelungene Verfilmung der e­pischen Handlung stammt indes aus dem Jahre 1952 mit Richard Taylor und der reizenden Elizabeth Taylor in den Hauptrollen. Die Handlung des Romans wurde für den Film allerding gestrafft und zum Teil stark verändert. Einer von

Die Handlung spielt im 12. Jahr­ hundert zur Zeit der Kreuzzüge. Der junge angelsächsische Kreuzritter Seite

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Für ewige Zeiten un­ver­­gessen blieb auch die Eingangssequenz: Der jugendliche Held in seiner beeindruckenden Ritterrüstung galoppiert stolz auf seinem Ross. Mit seinem Gefolge zieht er in den Kampf gegen die Tyrannei – und der „Ivanhoe-Song" ertönt:

Ivanhoes besten Freunden, der Schweinehirte Gurth, sowie der Prior von Jorvaulx treten im Film nicht auf. Die nicht unwichtige Rolle des „schwarzen Ritters", die im Roman König Richard spielt, wurde für den Hollywood-Streifen auf Ivanhoe übertragen. 1957 produzierte die BBC in England unter Beteiligung der US-Produktionsfirma Screen Gems die Ritterserie „Ivanhoe" mit Roger Moore in der Hauptrolle. Insgesamt wurden 39 Episoden mit einer Laufzeit von jeweils 30 Minuten hergestellt. Die Serie filmte man sowohl im Studio als auch an verschiedenen Drehorten in der Nähe von Buckinghamshire. Der Pilotfilm wurde in Farbe gedreht, alle nachfolgenden Episoden in Schwarzweiß. Die Drehbücher orientierten sich lose am gleichnamigen historischen Roman von Sir Walter Scott. In den 50er Jahren war Roger Moore ein junger aufstrebender Schauspieler voller Elan, und so ließ der es sich nicht nehmen, auch die kompliziertesten Kampfszenen selbst zu spielen. Das kam der Serie sehr zugute. Dabei zog sich der junge Schauspieler allerdings manch schlimme Verletzung zu. Einmal wurde er sogar von den Hufen eines Pferdes getroffen. Allerdings behagte ihm sein Kostüm, die Rüstung mit dem auffälligen Federschmuck am Helm, ganz und gar nicht. Er kam sich nach eigenen Aussagen wie ein Trottel vor und fühlte sich wie ein Feuerwehrmann im Mittelalter. Nach Beendigung der Dreharbeiten ging Roger Moore dann nach Hollywood, wo er eine Hauptrolle in der beliebten Westernserie „Maverick" übernahm. In Deutschland zeigte die ARD in den Jahren 1962 und 1963 jeweils am Sonntag im Nachmittagsprogramm leider nur 13 Episoden der Reihe in synchronisierter Fassung, die heute als verschollen gelten. Die Serie war damals ein absolutes „Muss" für mich und für viele andere Jungs in meinem Alter und hat bei vielen heute über 60-Jährigen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ivanhoe war für uns Kinder der absolute Held. Wir spielten die Geschichten mit den kleinen Elastolin-Figuren nach, die auch damals schon sehr teuer waren, und unser Großvater bastelte für uns Kinder eine richtige Ritterburg, natürlich mit Zugbrücke und Verließ. Im Gegensatz zu Schauspieler Roger Moore liebten wir die Kostümierung des „weißen Ritters" heiß und innig. Wir bastelten uns ein Schwert und ein Schild aus Holz, und selbstverständlich durfte auch der Helm mit bunten Straußenfedern nicht fehlen. Es gab natürlich auch Ritterkostüme käuflich zu erwerben, aber dazu fehlte uns damals das nötige Kleingeld. GoodTimes

Ivanhoe, Ivanhoe Side by side we're proud to ride with Ivanhoe Wir sind stolz, Seite an Seite mit Ivanhoe in den Kampf zu ziehen At his call we spring to help him ride along Wenn sein Ruf ertönt, springen wir auf, um mit ihm zu reiten The song we sing is a free and joyous song Wir singen das Lied von Freiheit und Freude Ivanhoe, Ivanhoe … (frei übersetzt)

Der deutsch-französische Kultursender Arte zeigte 1996 übrigens alle 39 Folgen im Original mit deutschen Untertiteln. Die Serie „Ivanhoe" mit Roger Moore in der Titelrolle ist bis heute auch in Großbritannien nicht auf DVD erschienen. Allerdings existiert eine sechsteilige „Ivanhoe"-Serie der BBC von 1997 in Farbe mit Steven Waddington und Christopher Lee in den Hauptrollen, die überall im Fachhandel preiswert erhältlich ist. Leider kommt es dabei immer wieder zu Verwechselungen mit der Serie aus den 50er Jahren. Ein ganz besonderes Schman­ kerl waren 1963 die farbigen Sammelbilder zu diversen Fernsehser ien, die der WS-Verlag (Bilder- und Werbedienst GmbH, WanneEickel) in die Kioske brachte. Insgesamt gibt es zur „Ivanhoe"Fer nsehser ie 21 Ser ienbilder im Format von 6,3 cm x 9,4 cm. Diese Sammelbilder sind wahre Schmuckstücke und sehr selten. Zeitgleich konnte man auch ein „Ivanhoe"-Spiel, eine „Ivanhoe"Rüstung und ein „Ivanhoe"-Quartett in gut­ sortierten Spielwarengeschäften erwerben. Und zum Schluss darf natürlich ein Hinweis auf die beliebten Comic-Hefte nicht fehlen. Bereits gegen Ende der 50er Jahre erschien im Rahmen der „Illustrierten Klassiker" mit der Nummer 38 eine Romanadaption des Originals von Sir Walter Scott. Parallel zur Fernsehserie mit Roger Moore brachte dann der Lehning-Verlag in Hannover von Januar 1962 bis Juli 1965 ganze 92 Hefte der Serie „Ivanhoe – Treuer Ritter seines Königs" in den Handel. Die gesamte Serie wurde vom Hethke Verlag in den 90er Jahren noch einmal als Faksimile-Reprint veröffentlicht und ist heute leicht, auch für kleines Geld, im Comic-Fachhandel erhältlich. Im September 1963 erschien auf Grund der ungeheuren Beliebtheit der Fernsehserie im Lehning-Verlag zusätzlich ein Sonderband in Romanform mit Bildern. Und auch der Bastei-Verlag brachte 1970 als BasteiSonderband Nr. 9 eine „Ivanhoe"-Adaption heraus. Und letztendlich erschien dann 1986 als Piccolo-Klassiker Nr. 2 „Ivanhoe" sogar noch im nostalgischen Streifenformat. 1/2018

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Ein Witz zu jeder Leiche Der Plot ist oft ein aktuelles Thema wie die Flüchtlingskrise oder Cyber-Mobbing. Die Kommissare sind fast immer psychisch am Ende oder eine Frau – oder beides. Treten sie als Team auf, sind viele Szenen auf die zwischenmenschlichen Differenzen fokussiert: Krimis sind heutzutage schwere Kost statt nur spannende Abendunterhaltung. Da wächst die Sehnsucht nach den guten alten Straßenfegern aus den 1960er Jahren. Als Ermittler noch Charmeure sein durften ohne Angst vor feministischen Attacken, die Kulisse herrschaftlich und das Schaudern schon durch eine eingeschränkte Farbpalette garantiert waren. Zwischen 1959 und 1972 fesselten 38 Edgar-Wallace-Verfilmungen das Publikum im Kino und später vor dem Fernseher. Von Claudia Tupeit

olt, Wade, Dorn oder Higgins: Joachim Fuchsberger hatte bei seinen mehr als ein Dutzend Filmauftritten viele Namen. Er war zwar nicht bei jedem der gewiefte Kommissar oder Chefinspektor, meistens aber in irgendeiner Form Ermittler, etwa als Schlossverwalter Dick Alford in „Der schwarze Abt" (1963). Er trug stets zur Aufklärung des Falls bei. Immer unter Einsatz seines Lebens – natürlich auch, Edgar Wallace um eine hübsche Blondine oder Brünette zu beeindrucken und zu beschützen. Fuchsberger war prädestiniert für die Rolle des intelligenten Ermittlers, der fuchsig wurde, wenn ihn jemand hinters Licht führen wollte. Der 1927 geborene Schauspieler galt in den 50er und 60er Jahren als Traumtyp: galant, gutaussehend, humorvoll und in seinen Paraderollen in den Edgar-Wallace-Filmen der starke Held, der am Ende das schwache Mädchen vor den bösen Verbrechern in Sicherheit brachte. In „Die toten Augen von London" (1961) befreite er beispielsweise die junge Karin Baal aus dem gruseligen Blindenheim, in dem zwei Brüder als Mörderduo ihren Unterschlupf hatten. Am Ende gab's die Verlobung – und gestrickte Wäschesets in Blau und Rosa für den zu erwartenden Nachwuchs. Seite

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„Zwei links, zwei rechts" – die Maschen dienten Fuchsbergers Gehilfen Sunny als Ausgleich zum harten Dienstalltag bei Scotland Yard. Besetzt wurde die Rolle des stri­ Joachim ckenden Sergeants mit Eddi Arent, Fuchsberger der Fuchsberger in der Anzahl der Auftritte in Wallace-Verfilmungen noch toppte: Rund 20 Mal war er dabei. Oft als Butler, der nicht immer selbstlos seinem Herrn diente. Als Co-Ermittler war er meist naiv, manchmal überfordert, und immer trumpfte Arent mit hintersinnigem Humor auf: „Ein Schlüssel, an dem eine Kette hängt, oder andersherum, eine Kette, an der ein Schlüssel hängt", beanwortete er die Frage seines Chefs nach dem „Was ist das?" in dem Gruselklassiker „Die Tür mit den sieben Schlössern" (1962). Seine Gags kamen meist völlig nüchtern rüber. Etwa beim Fund der ersten Leiche in „Der schwarze Abt". Als er den Toten sah, der zuvor das Jagdhaus auf Lord Shelfords Besitz gekauft hatte, vermutete er bierernst: „Vielleicht ist ihm die Landluft nicht bekommen?" Der Satz plautzte völlig selbstverständlich heraus, er wartete auch keine Reaktion der Umstehenden ab, sondern schloss den nächsten Satz direkt an. Im selben Film, als Verwalter Alford (Fuchsberger) den Butler Fortuna (Klaus Kinski) bat, den beiden Ermittlern (Charles Regnier und Eddi

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„Der Mönch, der Mönch ... Wenn das„ein Arent) die Zimmer zu zeigen, damit sie für die Ermittlungen auf dem Mönch ist, dann bin ich„´ne Nonne. Schloss bleiben konnten, rief Arent „Aber Sir! „ aufgeregt: „Mit Vollpension!" und „Naja, das ärgert einen doch. wurde von seinem Chef ermahnt. In den ersten Wallace-Verfilmungen (u.a. „Der Kleinlaut, aber nicht weniger witFrosch mit der Maske", 1959, und „Der rote zig schob er ein „Auf Staatskosten Kreis", 1960) trat zunächst Ernst Fritz Fürbringer natürlich" hinterher. als Scotland-Yard-Chef in Erscheinung – da Genial und für Wallace-Fans noch unter dem Namen Sir Archibald. In „Die sicher bestens in Erinnerung toten Augen von London" übernahm Franz bleibt seine Darstellung des Schafheitlin die Rolle des Oberbosses, nachPolizeifotografen Edwards in „Die dem sein Vorgänger Fürbringer erkrankt war – er hieß nun Sir John. Bande des Schreckens" (1960). Seine Beide Figuren waren ernst und durchaus verdrießlich angelegt, wirkten in Ohnmachtsanfälle bei jeder Leiche ihrem Auftreten seriös – eben ganz der Verantwortung eines so „hohen – und die gab es in der WallaceTieres" einer Polizeibehörde entsprechend. Undenkbar, dass sie Sprüche à Adaption reichlich – glichen dem la Schürenberg gebracht hätten – oder gar so penetrant flirteten wie der Eddi Arent sterbenden Schwan. Und niemand Dickbäuchige mit dem kleinen Schnauzer. Jedem weiblichen Wesen – und blickte so herrlich entsetzt-aufgeregt wie Eddi Arent, wenn mal wieder sei es auch noch so verdächtig gewesen – verfiel er charmant. Am liebsten die Leiche des gehängten Lord Sheltons als Geist irgendwo auftauchte. seinen Sekretärinnen. Unbekannt ist, ob diese ob seiner Avancen ständig Tatsächlich war es oft neben den Sprüchen Arents Mimik, die ihn als lieden (Film-)Arbeitsplatz wieder verließen. Nur Ilse Pagé reichte ihm das benswürdigen Trottel entlarvte. Man denke an die Schlussszene der „toten Wasser. Sie durfte sogar mit ihm gemeinsam auf Täterjagd gehen: als Augen". Sein Chef sprach ihn mit „Inspector Ms. Finley in „Der Hund von Blackwood Castle" (1967) – dem einzigen Harvey" an, woraufhin er ein „Verzeihung, Streifen, in dem Schürenberg wirklich zum Erfolg der Mördersuche beiSergeant Harvey" entgegnete, um „bescheiden" trug und seinen kommissarischen Pflichten nachkam. den niedrigeren Dienstgrad anzuführen. Doch Siegfried Schürenberg, gestorben 1993 mit 93 Jahren, lernte sein Sir John erklärte, man habe ihn um einen Handwerk bei Max Reinhardt, spielte Theater in Wien, Zürich und Dienstgrad befördert. Das komme aber überraBerlin, der „Spiegel" beschrieb ihn als perfekte Besetzung für die schend, tat Arent unwissend, wobei ihm jedoch Rolle des Lebemanns. Neben seinen Auftritten in den Wallace-Filmen aus seiner Melone ist sein Kommissar Berg in „Die Herren ein Messingschild mit der weißen Weste" (1970) bekannt. herausfiel, welAuch seine Stimme dürften viele Zuhörer ches bereits die kennen: Schürenberg war gefragter Gravur „S. Harvey – Synchronsprecher. So übersetzte er Rollen Inspector" trug. Sich erwischt fühlend, füllte von Kirk Douglas, Cary Grant, Howard Keel er die linke Wange mit Luft und ließ diese und Walter Matthau. Und für alle, die in bei wackelnder Beule wieder heraus. der deutschen Version von „Vom Winde Wie so oft bei erfolgreichen Komikern: verweht" nicht nur beim Anblick, sondern Das wahre Leben war für Eddi Arent, 1925 in auch bei der Stimme Clark Gables dahinDanzig geboren, weniger lustig und leicht. Er geschmolzen sind: Auch da ist der Wallaceblieb nach seinen Erfolgen mit den WallaceStar zu hören. Karin Dor (l.) alias Miss Gwendolyn mit Siegfried Filmen (und Auftritten bei „Winnetou") Das Ermittlerdoppel Schürenberg/ Schürenberg in Der unheimliche Mönch" " zwar weiter gefragt – bekannt sind natürFuchsberger konkurrierte geradezu um die lich seine Sketche mit Harald Gunst der Damenwelt – vor Juhnke in „Harald und Eddi" allem die der Sekretärinnen, in den 1980er Jahren. Doch die mit hohen Pumps und einen ruhigen Lebensabend Bleistiftröcken mit ihren mit seiner Frau konnte Eddi Reizen kokettierten. Im Arent nur bedingt genießen: Zusammenspiel mit Heinz Als er sein eigenes Hotel im Drache war das ganz anders. Schwarzwald 2005 wegen Der Akteur, der in immerhin Zahlungsunfähigkeit aufneun Folgen auftrat, wirkte geben musste, versank er in gegen Fuchsberger (und dem schweren Depressionen und ebenfalls charmant angeleglitt schließlich an Demenz. Im ten Harald Leipnitz, der dreiMai 2013 schloss der Slapstickstar seine nun traurigen Augen für immer. mal die Hauptrolle gab) fast spröde, beinahe desinteressiert an der holden Weiblichkeit. Was sicherlich auch an seinem Bürstenhaarschnitt lag. „Er hat sich in sie verliebt.„ Die wenigen Flirtversuche kamen eher hölzern denn charmant „ „Wieso? Er kannte mich doch gar nicht ... rüber. Ein Beispiel: sein Aufeinandertreffen mit Sabina Sesselmann als „ „Er hat Miss Gwendolyn geliebt. Er hat sie wirklich geliebt. Bibliothekarin in „Die Tür mit den sieben Schlössern" (1962). Furztrocken auch die Szene in „Neues vom In Sachen Humor und Naivität stand Siegfried Schürenberg in seiner Hexer" (1965), als Sir John (Schürenberg) markanten „Sir John"-Rolle Eddi Arent in nichts nach. Wie dieser Dialog beim reinkommen seiner Gehilfin leuchtende aus „Der unheimliche Mönch" (1965) zeigt: Am Schluss erklärte ihm sein Stieraugen bekam und entzückt verkündete: Ermittler, warum der Mönch die eine Dame (Gwendolyn; gespielt von „Sie bringt den Tee", woraufhin Drache alias Karin Dor) nicht getötet hat, woraufin Schürenberg den Schenkelklopfer Inspektor Wesby ihm ein beinah empörtes „Na entgegnete – allerdings mit empörtem Blick. und?" entgegenraunte. Verwirrt, trottelig, leicht senil, ja beinahe eine Lachnummer für das Das erste Mal trat Drache, der 2002 mit Publikum – Siegfried Schürenberg schien mit dem Scotland-Yard-Chef 79 Jahren in Berlin verstarb, 1960 in „Der seine Paraderolle gefunden zu haben. Seine konfusen Schlussfolgerungen Rächer" in einer Filmadaption nach Motiven des waren grandios, seine ernstgemeinte Aufregung oft übertrieben und – Edgar-Wallace-Buches in Erscheinung. Dieser zumindest angesichts der Ermordeten – unangebracht: GoodTimes

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wurde jedoch – wie zum Beispiel auch „Der Fluch der gelben Schlange" (1963) – nicht von Rialto/Constantin vermarktet und trug auch Harald Leipnitz beschützt nicht den Horst-Wendlandtals Kommissar die junge Produzentenstempel. So Diana Körner. sind auf der 2016 erschienenen Sammelbox auch nur 32 der 38 WallaceNachkriegsverfilmungen (es gab bereits eine Handvoll vor dem Zweiten Weltkrieg) zu finden, dafür aber – als 33. Film – noch „Wartezimmer zum Jenseits", der insofern einen Edgar-Wallace-Touch hat, als dass er von Alfred Vohrer gedreht wurde, dem Haus- und Hofregisseur der Wallace-Filme. Er setzte nicht nur seine Schauspieler schaurig-schön in Szene, sondern sorgte auch mit seiner Stimme für ein Markenzeichen der Filme: „Hallo, hier spricht Edgar Wallace" ertönte erstmals bei „Das Gasthaus an der Themse" (1962), beim darauffolgenden „Der Zinker" (1963) noch untermauert, indem Schüsse jeden Buchstaben des Namens Edgar Wallace auf den Bildschirm brachten. Im „schwarzen Abt" kam die Einleitung wieder ohne Schüsse aus. Außerdem klang die „WallaceKarin Baal (2. v.l.) tauchte in drei Wallace-Filmen auf. Ilse Pagé (r.) erlangte als Sekretärin von Sir John (später auch von Sir Arthur) Berühmtheit.

Letzterer habe ihr übrigens nicht so gut gefallen. Er gehörte, wie auch der letzte Film der 13 Jahre währenden Wallace-Reihe, „Das Rätsel des silbernen Halbmonds" (1972), zu den von italienischen Produktionsfirmen mitgestalteten. Neben Baal traten auch Uschi Glas, Grit Böttcher und Brigitte Grothum mehrfach als potenzielle Opfer in Erscheinung, die von den Kommissaren heldenhaft gerettet worden sind. Das Wallace-Girl schlechthin war allerdings Barbara Rütting in Karin Dor, die passenderweise als Helga "Neues vom Hexer" Brandt in „James Bond – Man lebt nur zweimal" (1967) auch Bond-Girl war. Sie verkörperte unter anderem in „Der Fälscher von London" (1961) und „Zimmer 13" (1963) das hilflose Mädchen in Gefahrensituationen, das im Mann den Beschützerinstinkt weckte, wie sie es selbst im Interview für den Bildband über die Edgar-Wallace-Filme beschrieb. Doch es gibt noch zwei weitere Damen, die Wallace-Filmen das Sahnehäubchen aufsetzten: Sophie Hardy und Margot Trooger. Hardy trat zweimal in Erscheinung, Trooger dreimal. In „Der Hexer" (1964) agierten sie gemeinsam an der Seite von Joachim Fuchsberger, Siegfried Schürenberg und Siegfried Lowitz, der wiederum in anderen Filmen der Reihe mal den Schurken und mal den Kommissar gab. Sophie Hardy verstand es, das „nette blonde und heiratswillige Dummchen", gehüllt in coole 60s-Looks, zu spielen. Vor allem Damen gegenüber, die sie als Rivalin auserkoren hatte, wie etwa die Sekretärin ihres Liebsten (Fuchsberger):

Guten Morgen, meine Süße. Ist mein Higgi da?" "− Herein? " ich wieder nicht angeklopft? Oh, Verzeihung." Hab " − "Bitte sehr. was für'n schicken Pullover Sie anhaben. Nur ´n bisschen Oh, " stramm, hmmm?" Inspektor Higgins ist im Labor. Er entwickelt. Sich selbst?" Wen? " − "Nein. Das Foto einer Frau, die drei Wochen ihren Eisschrank nicht aufgemacht hat. " Warum? " − "Ihr Mann hat sie betrogen. Und?" " − "Er saß drin. Pech." Oh, " Stimme" anders und sprach den Nachnamen nicht „Welleß", sondern „Wolleß" aus. Kein Wunder: Alfred Vohrer inszenierte nach „Gasthaus" und „Zinker" erst wieder „Das indische Tuch" (1963); um den Abt hatte sich nämlich F.J. Gottlieb gekümmert. Apropos Vorspann: Dies­bezüglich war die Filmcrew experimentierfreudig. Anfangs erschienen die Namen der Mitwirkenden unterlegt von Aufnahmen eines trubeligen Londons. „Die toten Augen von London" (1961) lieferte den ersten Vorspann, bei dem die aufgelisteten Namen in Farbe erschienen. Zudem begann die Einleitung mit roten Blutspritzern – jedoch immer noch ohne Schüsse und das darauffolgende markante „Hallo, hier spricht Edgar Wallace" aus dem Off. „Die Tür mit den sieben Schlössern" hatte einen ganz eigenwilligen Vorspann: Erst waren Schüsse zu hören, dann knarrende Türen. Und bei „Der unheimliche Mönch" (1965) ging es nach einigen Filmminuten in Schwarzweiß mit Beginn des Vorspanns zu Farbe über. So wirkten die Flammen, die aus dem eben verunglückten Wagen des Notars schlugen, noch bedrohlicher. Es blieb aber zunächst nur anfangs bunt, bevor schließlich mit „Der Bucklige von Soho" (1966) der erste ausschließlich in Farbe gezeigte Wallace-Film lief – und sie fortan (auch deswegen) an Spannung einbüßten. „Wenn etwas dunkel ist, dann ist es viel gruseliger", meinte auch Karin Baal im „Großen Album der Edgar Wallace Filme" (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, 2012). Die Mimin kann es gut einschätzen. Sie spielte in drei Filmen die weibliche Hauptrolle. Ihr erster, „Die toten Augen …", war typisch schwarzweiß, „Der Hund von Blackwood Castle" (1967) und „Das Rätsel der grünen Stecknadel" (1972) waren koloriert. Seite

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Entwaffnend auch der Dialog zwischen ihr und Inspector Warren (Lowitz), als dieser sie und „Higgi-Darling" zu Hause besuchte:

Sophie Hardy

„Warum müssen Frauen immer still sein, Mr. Warren? „− Weil sie dann länger schön bleiben, Ms. Penton.„ Margot Trooger wiederum war wie extra gebacken für die Rolle der erotischen, undurchschaubaren, klugen Ehefrau des " Hexers, der es so gut verstand, „Maske zu machen". Mit ihrer sanften Stimme und der so ruhigen Redeart verdrehte sie auch Sir John den Kopf. Dass die Deutsche aus heutiger Sicht mit ihrem Blondschopf und dem hellen Teint immer so schwedisch wirkte, liegt sicher an einer ganz anderen Rolle, die sie nach den Wallace-Filmen (auch „Das Verrätertor", 1964) verkörperte: Tante bzw. Fräulein Prusseliese in den Erfolgskinderfilmen „Pippi Langstrumpf" mit Inger Nilsson in der Hauptrolle. Sehr viel burschikoser und selbstbewusster trat dagegen Barbara Rütting in Erscheinung. In „Der Zinker" (1963) und „Neues vom Hexer" (1965) stand sie an der Seite von Heinz Drache ihre Frau: scharfe statt säuselnde Dialoge inklusive.

„Wer ist denn dieser arrogante Mensch? „ „Wer? „ „Na der in Zivil. „ „Das ist 008.

„Neues vom Hexer" als Fortsetzung eines der besten Wallace-Filme führte auch Hubert von Meyerinck in die Wallace-Familie ein. Später mimte er

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Margot Trooger Karin Dor

unter anderem bei „Im Banne des Unheimlichen" (1968) den Nachfolger von Sir John – als nicht weniger schrulligen, stets entrückt wirkenden und kräftig flirtenden Sir Arthur. Im Schwarzweiß-Abenteuer von 1965 feuerte er jedoch noch als Beisitzender Richter zu Filmbeginn die Mördersuche an. Ein Zeuge, aber auch ein potenziell Verdächtiger rekapitulierte die Tatnacht und verkündete, es habe einen Schuss und dann einen Schrei gegeben. Nachdem Inspektor Wesby erklärte, dass der Schuss wohl sofort tödlich gewesen sei, zieht der Richter die

Heinz Drache

logische Schlussfolgerung: „Da aber ein Schrei gehört wurde, wer also schrie?" Kurze Zeit später entlarvte ihn Wesby als den (vermeintlichen) Hexer, der sich als Richter Sir Matthews verkleidet hatte und nun verschwunden war. Für Schauspielkenner war aber eindeutig klar, dass der leicht gebeugt gehende Gerichtsdiener von René Deltgen gemimt wurde, der die Rolle des Hexers spielte. Als echten Bösewicht konnte man den Hexer aber nicht einstufen. Diesen Part übernahm – wohl zu gern – oft Klaus Kinski, der allerdings einer extra Würdigung in einem eigenen Beitrag bedarf und hier als Wallace-Schurke erster Klasse nur kurz Erwähnung Siegfried Lowitz (r.) sucht mit findet. Bei Edgar Wallace gibt es Joachim Fuchsberger den "Hexer". aber nicht nur gerissene Fragestellungen, sondern auch abenteuerliche Verfolgungsjagden, die mitunter allerdings in Schmunzeldialogen endeten. Etwa bei „Der Hexer": Nach einer wilden und gefährlichen Verfolgungsjagd von Higgins (alias Fuchsberger) über Hausdächer hinweg landete der Inspektor auf einem Privatbalkon. Von drinnen waren plötzlich Stimmen zu hören. Eine Frau beteuerte einem Mann ihre Liebe, wo­raufhin dieser ihr sagte, dass er sie hasse. Als diese dann auch noch grellend schrie, witterte Higgins ein Verbrechen. Plötzlich erklang aber leichte Werbemusik für ein Mundwasser, und die Bewohnerin erschrak, woraufhin Higgins seine Pistole einsteckte und sich mit einem „Guten Abend" bei ihr verabschiedete und durch die Tür entschwand. Anschließend tauchte auch Warren (Lowitz) durch die Balkontür bei ihr in der Stube auf. Sie fragte naiv-erschrocken: „Kommen da noch mehr?" – „Nein, ich bin der Letzte, Sie können die Tür jetzt schließen." Bei Edgar Wallace sah das Publikum immer wieder gelungen eingesetzte Stilmittel, die nicht gängig in der Filmwelt waren. Bei „Der grüne Bogenschütze" (1961) wurde das Publikum zu Beginn des Films – noch vor dem Vorspann mit Crewnennungen – direkt in das Geschehen GoodTimes

integriert. Auf doppeldeutige Art. Eddi Arent blickte in die Kamera: „Daraus kann man doch keinen Film machen. Unmöglich! Ein Mörder mit Flitzbogen? Das glaubt kein Mensch. Der grüne Bogenschütze ... Absurder Gedanke." Erst dann drehte er sich weg, auf der Bildfläche erschien Harry Wüstenhagen, der zwar Eddi Arent antwortete, aber ebenfalls direkt ans Publikum gerichtet erwiderte: „Die Leute wollen betrogen werden. Deshalb sind sie doch alle hergekommen. Keiner glaubt an Geister. Aber sie haben Eintritt bezahlt. Sie wollen nämlich wissen, warum sie nicht daran glauben." Beide durchbrachen damit die „vierte Wand", die aus Sicht des Zuschauers zwischen ihnen und den Darstellungen auf der Leinwand theoretisch existiert, weil sie das Geschehen eben wie durch eine (transparente) Wand betrachten, ohne direkt eindringen zu könKlaus nen. Ein berühmtes Beispiel für diese Kinski Inszenierungsweise aus der Neuzeit ist die Serie „House Of Cards" mit Kevin Spacey in der Rolle des skrupellosen und zynischen Politikers (und Präsidenten) Frank Underwood. Und die Macher der Edgar-WallaceFilme waren zudem äußerst geschickt darin, die reale Welt in den Film zu integrieren. So erklärte Fuchsberger in „Die Bande des Schreckens" (1960) der angehimmelten Karin Dor: „Meine Freunde nennen mich übrigens Blacky." Den Spitznamen trug er in der Wirklichkeit; er hatte jedoch nichts mit seinem Rollennamen, Chefinspektor Long, zu tun. In „Der Hexer", nachdem ihn seine Freundin wieder nur mit Higgi angeredet hat, forderte er sie auf, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen: „Ich heiße Edgar Bryan." Das kann als eindeutiger Bezug auf den Autor der Krimistücke und dessen Sohn (ebenfalls Krimi-Autor) gewertet werden: Schließlich hieß Wallace mit Vornamen Edgar, sein Sohn veröffentlichte seine Werke unter dem Namen Bryan Edgar Wallace. „Der Fälscher von London" (1961) begann wiederum mit einer urenglischen Szenerie: Die Protagonisten wurden beim Pferderennen eingeführt. Plötzlich erhoben sich alle, auch Schauspielerin Karin Dor. „Die Queen", raunt es durch die Massen. Nun erschien prompt die echte Queen auf der Bildfläche, allerdings folgte dann ein Fauxpas: Zunächst wurde Elizabeth II. aus der Ferne gezeigt, wie sie auf der Rennbahn nach rechts geht. In der sich direkt anschließenden Nahaufnahme ging sie in die linke Richtung – und trug ein völlig anderes Kostüm. Offensichtlich wurden hier Archivaufnahmen verschiedener Tage oder gar Jahre verwendet. Und in „Neues vom Hexer" ging es sehr plakativ zu. René Deltgen alias „Hexer" hielt ein Schläfchen; eingeschlafen war er über dem auf seiner Brust aufgeklappt liegenden Buch „Neues vom Hexer". Darunter auf dem Cover der Satz: „Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein!" Damals wie heute! 1/2018

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Kino-Bösewichte: 5

Bill McKinney

Beim Sterben war er immer der erste

Kaum jemand kennt seinen Namen. Aber er war ein vertrautes Gesicht. Und selbst als Vergewaltiger und Mörder gern gesehen. Bill McKinney machte Clint Eastwood, John Wayne und sogar Rambo das Leben schwer.

Filmdialoge. Die Sequenz – in TV-Ausstrahlungen meist gekürzt – zählt zu den schrecklichsten Szenen des 70er-Jahre-Kinos – oder jedes anderen Jahrzehnts. Wiederum bleibt seine Figur namenlos, der Einfachheit halber als „Mountain Man" aufgelistet. In seiner Autobiografie schreibt Burt Reynolds (der Bill McKinney in „Deliverance" durch einen Pfeilschuss zur Strecke bringt): „Ich fand, er war ein bisschen verrückt. Ich stand jeweils um fünf Uhr morgens auf, und da sah ich ihn, nackt über den Golfplatz rennend, während die Rasensprenger liefen." Reynolds hielt McKinney für einen „netten n der Reihe der Kinobösewichte hat kult! bisher jene Darsteller Jungen", aber er fand, „seine Methode ging zu weit". Der Superstar nicht zum Zug kommen lassen, die zwar als Finsterlinge ein findet auch lobende Worte für den Kleindarsteller: „Er hat immer die Millionenpublikum in Angst und Schrecken versetzten, aber doch kranken Typen gespielt, aber er spielte sie gut." nie zu Ruhm und Ehren kamen. Der vielleicht „Bekannteste" in diesem In Tennessee aufgewachsen, erinnert McKinney sich nur zu gut an Heer von Unbekannten ist eben Bill McKinney. Sein Erscheinen auf der solche brutalen Hinterwäldler. Für seine einflussreichste wie furchtLeinwand oder dem Bildschirm löst beim Zuschauer üblicherweise eine barste Rolle nimmt er „Das ist doch der ...!"-Reaktion aus. Bei Eastwood ist McKinney sich einen Burschen Im Western „Die fünf Vogelfreien" wird eine Reihe Stammschauspieler. zum Vorbild, der ihn als von Schießbudenfiguren gegen James Stewart Kind mit seiner Gang aufgestellt – für den Helden zum Abschuss freibedrohte. Der junge gegeben ist darin erstmals ein Charakter, der nicht Bill hat früh die Schule einmal einen Drehbuchnamen hat, schlicht als geschmissen, fährt „Bearded Gunfighter" – bärtiger Revolvermann – als 19-Jähriger wähaufgeführt ist. In diesem Streifen von 1968 wird rend des Korea-Kriegs Bill McKinneys Name weder im Vor- noch im in der Navy zu See. Abspann genannt. Er ist einfach einer der vielen Sollte er den Dienst auf tausend Schauspieler, die ihren Job machen. Falls dem Minenräumboot sie einen haben. überleben, so nimmt Sein Moment für die Ewigkeit kommt erst fünf er sich vor, würde er Jahre nach dieser Kleinstrolle. Es ist 1972, die Schauspieler werden. Zensur ist gefallen, das amerikanische Kino wird Wie die meisten aspidurch den Einfluss von Vietnam und Fernsehen rierenden Schauspieler hält er sich dann mit Gelegenheitsjobs über schonungsloser in seinen Gewaltdarstellungen. „Beim Sterben ist Wasser. Manchmal jobbt er als „Tree Surgeon", der Bäume beschneidet. jeder der erste" („Deliverance") beginnt als Idylle: Ein paar Städter auf Ein Job, den er beibehält, selbst als die Angebote besser werden. Man einem Kanu-Wochenendtrip, u.a. Burt Reynolds, Jon Voight und Ned weiß ja nie. Beatty, paddeln ohne Eile einen Fluss hinab. Doch jäh bricht aus dem Nach „Deliverance" taucht McKinney plötzlich überall auf: mit Charles Busch dieser Bill McKinney mit den irren Augen – und man glaubt Bronson in „Nevada Pass", neben Steve McQueen in „Junior Bonner", fast, seinen fauligen Atem aus selbst gebranntem Whisky zu riechen. und nochmals an der Seite seines „Vergewaltigungsopfers" Ned Beatty Brutal vergewaltigt er Beatty, und sein perverser Schrei „Squeal like in „Das war Roy Bean". Er hat einfach das richtige Gesicht für die harten a pig!" („Quiek wie ein Schwein!") wird zu einem der meistzitierten

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er das durchgeknallte Mitglied einer schrägen Motorradbande sein – Western jener Ära. Er sieht aus wie der fiese Bruder des Marlboro-Manns. einmal sogar mit Wikingerhörnern am Helm. 1976 schließlich – Bill McKinneys spektakulärstem Kino-Jahr – ist er der Erstmals zeigt Regisseur Eastwood 1980 vollstes Vertrauen, als er Gegenspieler in den beiden letzten großen Filmen des Westerngenres. McKinney den tragikomischen Charakterpart als einarmiger Artist Im selben Jahr ist er Antagonist der einflussreichsten Westernstars: im Wanderzirkus von „Bronco Billy" gibt. 1982 kommandiert er die John Wayne und Clint Eastwood. Er tritt in Waynes letztem Showdown ahnungslose Soldatentruppe, die Sylvester Stallone im ersten in „Der Scharfschütze" („The Die Letzten beißen die Hunde": „Rambo" („First Blood") jagt. Andere Regisseure setzen ihn Shootist") an – und fängt sich "Eastwood oben, McKinney unten weiterhin als geistesgestörten Kriminellen ein. In „Zeuge einer als schmieriger Gunfighter zwei Verschwörung" („The Parallax View") bekämpft er als kaltblütiKugeln ein. Gegen den „Texaner" ger Attentäter Warren Beatty. In der TV-Serie der „Glorreichen zieht er ebenfalls den Kürzeren: Sieben" tritt er bezeichnenderweise als Type namens „LiverClint Eastwoods „Outlaw Josey Eating Jones" auf. Er ist in „The Green Mile", „City Slickers" und Wales" durchbohrt ihn mit dem „Back To The Future III" zu sehen. Doch schließlich kehrt er eigenen Säbel. McKinneys blutizurück in die Reihen der namenlosen Statisten. 2008 trifft er in ger Tod erlöst die Titelfigur vom „Pride And Glory" nochmals auf Jon Voight – sein „Deliverance"eigenen Trauma. Opfer –, doch da ist McKinney nur noch unter „ferner liefen" Clint Eastwood sieht mehr in ihm gelistet, als „Crime Scene Cop". Zur Ruhe setzt er sich dennoch als den Dutzend-Schauspieler. nie. Bis er 2011 in einem Hospiz in Los Erstmals begegneten sich die beiden Angeles an Krebs stirbt. Sein Nachruf während des Drehs von „Die Letzten im „Guardian" ist mit einer Aufnahme beißen die Hunde" („Thunderbolt illustriert, wie er den wehrlosen Jon And Lightfoot"). Typischerweise ist Voight quält. Das „Maxim"-Magazin McKinney nur als „Crazy Driver" verhat seinen „Mountain Man" zum „Top merkt: als „verrückter Fahrer" mit Villain Of All Time" ernannt. Nicht einem Waschbären im Käfig. Als schlecht, wenn man bedenkt, wie groß Regisseur baut Eastwood sich im die Konkurrenz an Bösewichten ist. Laufe der Jahre dann eine eigene 2000 hat McKinney übrigens noch Repertoiretruppe auf, Schauspieler, ein Country-Album aufgenommen. die er in jedem Film beschäftigt. Der Titel "Aintry" nimmt Bezug auf McKinney zählte in sieben Filmen zu Eastwoods exklusivem Haufen. In „Der Kaltblütiger Attentäter in "Zeuge einer Verschwörung". „Deliverance" – so hieß das Ziel jener verhängnisvollen Kanufahrt. Liebeslieder spielte er ein, bis zuletzt auf eine Mann, der niemals aufgibt" („The Gauntlet") gibt er noch den öligen, Karriere als Sänger hoffend. Die Musik, so sagte er sich, werde all seine korrupten Cop, aber Eastwood überträgt ihm sogar komische Rollen. Schurkenrollen „ausbalancieren". „Dann werden die Leute sagen, Jesus, In den äußerst erfolgreichen „Mann aus San Fernando"-Streifen der kann ja singen! Er muss also Gefühle haben!" Roland Schäfli („Every Which Way But Loose" und „Any Which Way You Can") darf

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in Berlin Foto: © Andreas Sturm

Zocken ist Kultur!

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ei bitte leise, wir sind hier schließlich in einem Museum! konventionellen Ausstellungshäusern – chronologisch geordnet. Man Und fass bloß nichts an, hier stehen sehr wertvol­ kann also nach Lust und Laune eigene Streifzüge durch die Geschichte le Stücke!" Museumsbesuche sind in den Computerspielemuseum: der Computerspiele unterneh­ Kindheitserinnerungen vieler Menschen mit Karl-Marx-Allee 93a men. „ eher negativen Dingen wie Langeweile, Be­ wegungs­ 10243 Berlin mangel, wenig Sauerstoff und ständigen Maßregelungen www.computerspielemuseum.de nd diese Geschichte ist verbunden. Anfassen, ausprobieren und rumtollen? viel länger, als die meisten Absolut tabu in den meisten Museen der Welt. Berlin Menschen glauben! Bereits ist für Verrücktheiten aller Art berühmt – auch die 1939 konnten die Besucher Museumsvielfalt der deutschen Hauptstadt ist außer­ der Weltausstellung in New gewöhnlich. Neben altehrwürdigen Häusern wie dem York gegen „Nimatron", einen Pergamonmuseum, dem Bode-Museum und der Rechenroboter, antreten. Die Neuen Nationalgalerie buhlen seit einigen Jahren das faszinierten Spieler erhielten Deutsche Currywurst Museum, nach ihrer Partie einen Button das Hanf Museum Berlin und mit der Aufschrift „I have seen das Deutsche Spionagemuseum the future". Und die Zukunft um Besucher. Seit 1997 ver­ vergangener Zeiten wird auch in Berlin sicht- und greifbar: Im Daddelfügt die Spree-Metropole auch Museum trifft man nämlich auf die Weiterentwicklung des „Nimatron", über die weltweit erste ständige ein Ungetüm mit dem düste­ Ralph Henry Baer Ausstellung zur interaktiven digi­ ren Namen „Nimrod". Diese talen Unterhaltungskultur: Vom Spezialmaschine wurde von der quirligen Alexanderplatz aus erreicht man in nur fünf U-Bahnenglischen Firma Ferranti ent­ Minuten das Computerspielemuseum. Umgeben von den spektakulä­ wickelt und arbeitete mit 480 ren Zuckerbäcker-Bauten der Karl-Marx-Allee wirkt das Museum auf Vakuumröhren. Im Oktober 1951 den ersten Blick eher unscheinbar. Zu DDR-Zeiten befand sich in den debütierte „Nimrod" auf der Räumlichkeiten das legendäre Café Warschau, ein Kaffeehaus mit polni­ Industrie­-Ausstellung in Berlin schen Spezialitäten. Bis zur im Britischen Wende 1989 war das Café Pa­v illon, zu jeder Warschau eines der belieb­ Tageszeit war das Elektronenhirn umlagert. Selbst der testen Tanzcafés in Ostdamalige Bundeskanzler Konrad Adenauer zeigte sich Berlin. von „Nimrod" begeistert. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard wagte sogar drei Partien gegen das Gerät – und verlor dreimal. Sie meinen, dass Sie klüger sind? urück in die kapitalis­ Im Computerspielemuseum können auch Sie gegen tische Gegen­w art: „Nimrod" antreten. Möge der Bessere gewinnen! Gehören Computerspiele überhaupt in ein Museum? IBM PC Und was genau stellt man in weiterer Höhepunkt des dort aus? Wird in diesem Hauses ist die „Brown Box" Museum die ganze Zeit von 1969. Sie ist der nur gedaddelt? Was soll an Prototyp der ersten kom­ Computerspielen schon lehrreich sein? Diese oder ähnliche Vorurteile merziellen Spielkonsole. gehen wohl manchem vor Betreten dieses etwas anderen Hauses Der Spieleentwickler durch den Kopf. Egal, Probieren geht über Studieren, also hinein Ralph Henry Baer brachte ins Zocker-Museum! Im Inneren wird der neugierige Besucher mit der „Brown Box" dem zunächst von lebensgroßen Spielhelden wie Lara Croft Fernseher das Spielen bei! 1972 aus „Tomb Raider" oder Link aus „Zelda" begrüßt. Ein wurde seine Erfindung unter dem Museumsladen lockt mit Videospiel-Devotionalien, und auch Namen „Magnavox Odyssey" in den für kalte Getränke ist gesorgt. Der Ausstellungsbereich ist nicht – wie in USA herausgebracht. Ralph Henry Baer

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Foto: © Jörg Metzner

Foto: © Hans-Martin Fleischer

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icht zu übersehen, rund, außerirdisch und aus grünem Fiberglas, ist der „Computer Space" – seines Zeichens erster münzbetriebener und kommerziell eingesetz­ ter Spielautomat. Er wurde 1971 von Nolan Bushnell erfunden, der ein Jahr später das legendäre Unternehmen Atari gründete. In „Computer Space" darf man ein Raumschiff lenken, Ufos abschießen und Geschossen aus­weichen. Alle Aktionen werden mit nur vier Tasten ausgeführt: Zwei dienen zur Steuerung, eine zum Be­schleunigen und eine weitere zum Schießen. Ebenfalls im Computerspielemuseum zu bestaunen: der PongAutomat. 1972 veröffentlichte Atari das Gerät und schuf damit das erste weltweit populäre Computerspiel. Das Prinzip von Pong ist so

einfach wie genial: Ein Punkt (Ball) bewegt sich auf dem Bildschirm hin und her. Jeder der beiden Spieler steuert einen vertikalen Strich (Schläger), welchen er mit einem Drehknopf nach oben und unten verschieben kann. Fliegt der Ball am Schläger vorbei, bekommt der Gegner einen Punkt. Damit echte Retro-Atmosphäre aufkommt, haben die Macher des Computerspielemuseums eine Spielhalle aus längst vergangenen Zeiten authentisch nachgebaut. Eine perfekt inszenierte Zeitreise! Alle Besucher können sich hier hemmungslos mit Klassikern wie „Donkey Kong", „Asteroid" oder „Space Invaders" vergnügen. Und Münzen müssen dankenswerter Weise keine mehr eingeworfen werden! GoodTimes

stalgisch und eher geruh­ sam geht es beim „Poly-Play" – dem einzigen Spielautomaten der DDR – zu. Das stattliche Gerät wurde vom VEB Polytechnik Karl-Marx-Stadt ent­ wickelt und von 1986 bis 1989 gebaut. Etwa 2000 Automaten verließen in diesem Zeitraum das Werk. Foto: © Jörg Metzner Der sozialistische Unterhaltungskünstler kostete rund 22.000 Ost-Mark und wurde bevorzugt an FDGB-Ferienheime und öffentliche Einrichtungen verkauft. Acht verschiedene Spiele können auf dem „Poly-Play" genossen werden: Hirschjagd, Hase und Wolf, Abfahrtslauf, Schmetterlinge, Schießbude, Autorennen, Merkspiel und Wasserrohrbruch. Mit ein wenig Geschick (und einer Nagelfeile) konnte man übrigens den Freispielmodus aktivieren. Die Gäste des Computerspielemuseums brauchen diese handwerklichen Fertigkeiten nicht – sie kön­ nen ihr Geschick unbegrenzt und kostenlos am „Poly-Play" austesten.

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omputerspiele sind heute auch ein Thema in der Kunst. Dies beweist eindrucksvoll das interak­ tive Kunstwerk „Riesenjoystick". Es braucht schon zwei starke Arme, um den gigantischen Steuerknüppel überhaupt zu bewegen. Ob man auf diese Weise einigermaßen vernünftig zocken kann? Probieren Sie es aus! Mitmachen ist auch an der berüchtigten „PainStation" aus dem Jahr 2011 angesagt. Doch Vorsicht: Hier wird das Spiel körperlich! Während des Daddelns ruht die linke Hand auf der sogenannten PEU (Pain Execution Unit). Die PEU gibt ständig Feedback in Form von Hitze-Impulsen und Stromstößen. Sogar eine – in die Konsole integrierte Minipeitsche – kommt zum Einsatz! Entwickelt wurde die „PainStation" von den Studenten Tilman Reiff und Volker Morawe von der Kunsthochschule für Medien Köln. Die beiden wur­ den übrigens durch den James-BondStreifen „Sag nie­ mals nie" von 1983 inspiriert. Hier wird der Verlierer in dem fiktiven Computerspiel „Domination" mit Elektroschocks via Joystick bestraft.

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nd es gibt in der umfangreichen Dauerausstellung noch so viel, viel mehr zu sehen, zu entdecken, zu erspielen, zu lernen, zu erinnern, zu staunen ... Zusätzlich werden in regelmäßigen Abständen hochspannende und aktuelle Sonderausstellungen präsentiert. Nach einigen Stunden im Computerspielemuseum hat wohl jeder begrif­ fen: Digitale Unterhaltungskultur ist mehr als nur bloßer Zeitvertreib. Begeben Sie sich doch selbst mal auf die Reise durch das Universum der Computerspiele – es lohnt sich! Nicolas von Lettow-Vorbeck

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alle Abb: © Computerspielemuseum

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Foto: © Jörg Metzner

erblickte 1922 in der Südwestpfalz das Licht der Welt und musste im Alter von 14 Jahren die Schule verlas­ sen, weil er aus einer jüdischen Familie stammte. Zwei Monate vor der Reichspogromnacht gelang der Familie die Flucht in die Vereinigten Staaten. Der Autodidakt war für 47 Patente verantwortlich. Baer, der 2014 starb, fungierte als Schirmherr des Computerspielemuseums in Berlin. Seine Erfindung veränderte die Welt, wie die Wall Of Hardware im Museum eindrucksvoll bezeugt. Über 50 kultige Geräte sind hier ausgestellt. Nintendo Game Boy, Nintendo Entertainment System, Sega Mega Drive, Sony PlayStation ... Hier werden Erinnerungen an stundenlange Abenteuerreisen in künstliche Welten wach!


Ein Liebesbrief der ganz besonderen Art

Geschichte der

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In einer stürmischen Novembernacht des Jahres 1780 trafen sich neun Aristokraten in Frankreich auf einem Herrensitz in Roissy, einem Vorort von Paris. Die edlen Herren waren besessen von einer dunklen Leidenschaft, einer Begierde, die sie in vollen Zügen ausleben wollten. Sie liebten am Weibe das devote, unterwürfige Verhalten einer gehorsamen Sklavin. Verborgen hinter den rustikalen Festungsmauern des Schlosses von Roissy sollten willige Frauen zu Sklavinnen der Lust ausgebildet werden, weshalb sich die Auserwählten strengen Regeln zu unterwerfen hätten. Bei diesem geheimen Treffen wurde der erste Zirkel der O", der Ordre de Roissy", gegründet. " "

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bseits jeder Zivilisation und fern jeder gesellschaftlichen Konvention expandierte der Orden, und es wurden immer neue Frauen auf das Schloss gebracht, um zu devoten Dienerinnen der Lust dressiert zu werden. Man legte sie in Ketten und peitschte sie aus. So streng und hart die Regeln von Roissy aber auch waren, so schafften es doch einige Frauen, ihre Ausbildung zur „O" (für „Objekt") abzuschließen, und bekamen dann den „Ring der O" überreicht. Eine Frau, die diesen Ring trug, räumte jedem Herren, der seine Bedeutung kannte, gewisse sexuelle Rechte an ihr ein. Im Zuge der Französischen Revolution wurde der Geheimbund dann aber zerschlagen und verboten – doch war der „Zirkel der O" damit wirklich gänzlich von der Bildfläche verschwunden? 165 Jahre nach diesen dramatischen Ereignissen erschien 1954 in Frankreich der erotische Roman „Geschichte der O". Unzählige Mythen ranken sich um die Autorin. Sie wurde im Jahre 1907 als Anne Seite

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Desclos geboren, nannte sich später jedoch Dominique Aury. Sie galt als wohlerzogene, kultivierte Frau und war Redakteurin bei der angesehenen französischen Literaturzeitschrift „La Nouvelle Revue Francaise". Unter dem Namen Pauline Réage veröffentlichte sie ihren skandalumwitterten Roman – und leugnete bis kurz vor ihrem Ableben im April 1998 die Autorenschaft an diesem Werk. Die Handlung des Romans spielt in den frühen 50er Jahren in Paris und Umgebung. „O" wird von René, ihrem Geliebten, in einem geheimnisvollen Schloss abgeliefert und dort gezwungen, sich ihren Gebietern zu unterwerfen. Sie erlebt alle möglichen Formen der Entwürdigung und des Schmerzes. Nach Abschluss ihrer Ausbildung wird sie von René an seinen väterlichen Freund Sir Stephen übergeben. Auch dessen Wünschen hat sie sich bedingungslos zu fügen. „O" verliebt sich jedoch in ihn und unterzieht sich einer weiteren, noch strengeren Ausbildung. Schließlich willigt sie unter anderem ein, Brandmale am Gesäß zu erhalten sowie Ringe an den Schamlippen als Zeichen ihrer absoluten Unterwürfigkeit zu tragen. Je heftiger sie gequält wird, desto gehorsa-

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mer und opferbereiter gibt sie sich, bis hin zur völligen Selbstaufgabe. „Geschichte der O" handelt von der Freiheit der Frau, und zwar der Freiheit, sich entgegen allen­ gesellschaftlichen Kon vent ionen einem Mann auch grenzenlos hingeben zu können. Der Roman erzählt von Fetischen und Best r af ungen sowie von Dominanz und Unterwerfung, ohne jemals obszön zu werden, und bleibt im Stil klar erkennbar der gehobenen französischen Literatur verpflichtet. Der außergewöhnliche Text war anfangs lediglich als „Liebesbrief" der Verfasserin an ihren 20 Jahre älteren, langjährigen Liebhaber (und Literaturkenner) Jean Paulhan gedacht. Der war jedoch so fasziniert von der Geschichte, dass er sogleich einen Verleger suchte und auch ein Vorwort verfasste. Das Buch entwickelte sich rasch zum Bestseller und wurde in der intellektuellen Szene heiß diskutiert, rezensiert und gelobt. Bald wurden indes auch die Behörden hellhörig und der Verleger sowie Paulhan verhaftet und verhört. Über die Autorin übten sie sich aber in Stillschweigen. Aus einem langen Liebesbrief wurde so mehr oder weniger ungewollt das in den 60er Jahren in Frankreich meistgelesene Buch, das mit dem Literaturpreis Deux Magots ausgezeichnet und bis heute in über 60 Sprachen übersetzt worden ist. Niemand Geringeres als die „New York Times" bezeichnete die Veröffentlichung der „Geschichte der O" als ein Ereignis von hervorragender Bedeutung! In Deutschland stand diese literarische Sensation indes bis 1991 auf dem Index verbotener Bücher. 1975 verfilmte der frühere „Vogue"-Fotograf und „Emmanuelle"Regisseur Just Jaeckin den populären Stoff mit Corinne Cléry, Udo Kier und Anthony Steel in den Hauptrollen. Die Bilder sind sehr eindrucksvoll und mit einer stimmigen Musik hinterlegt, die passender nicht sein könnte. Der Film gilt heute als Klassiker des Genres. Leider wurden einige Handlungsstränge und das Ende der literarischen Vorlage extrem stark verändert. Mit dem Kinostart des Erotikstreifens flammte auch der Skandal um die „O" neu auf. Diesmal wurde er jedoch nicht von den kirchlichen und staatlichen Ordnungs- und Sittenhütern ausgelöst, sondern von militanten Feministinnen. Zeitgleich mit der Verfilmung schuf der italienische Künstler Guido Crepax eine eindrückliche Comic-Interpretation. Der Bildaufbau und die Bildästhetik geben den Aussagen des Textes ein angemessenes Erscheinungsbild. In Frankreich kam eine überformatige, auf 999 Exemplare limitierte und signierte, im aufwändigen Siebdruckverfahren hergestellte Luxusausgabe des Bandes in den Buchhandel, die als der teuerste Erstdruck eines Comics gilt.

Vorlage nur noch den Titel gemeinsam hatte. Interessant dagegen ist die fünfteilige Miniserie aus amerikanisch-brasilianischer Co-Produktion von 1993, die dem ursprünglichen Roman sehr nahekommt, allerdings stark an eine südamerikanische Telenovela erinnert. Die „O" wird hier von Claudia Cepeda überzeugend dargestellt, die Handlung allerdings wurde (leider) in die Gegenwart verlegt. Im Jahre 2001 hat sich die amerikanische Fotografin Doris Kloster, die sich mit ihren Arbeiten auf das Thema „weibliche Kraft und Sexualität" spezialisierte, einen lange gehegten Traum erfüllt und einen Bildband zur „Geschichte der O" herausgegeben. Ganzseitige Fotos begleiten Textauszüge aus dem Roman. Die Aufnahmen entstanden in einem französischen Schloss mit internationalen Models. Die Kulissen und Kostüme besitzen ihren Reiz, leider wirken die Arrangements sehr gestellt und entsprechen inhaltlich nicht immer den Szenen im Buch. Auch die versucht frivole Mimik der Darsteller erinnert stark an Models einschlägiger Versandhäuser. Doch noch einmal zurück zum Original: In ihrem Bestseller beschreibt die Schriftstellerin Pauline Réage Schloss Roissy, die Rituale, die dort durchgeführt werden, und die Regeln, die für die Frauen eine Art „oberstes Gesetz" darstellen. Da im Roman die Erziehung von „O" ziemlich hart und konsequent beschrieben wird, hielt man die Geschichte lange Zeit für reine Fiktion. Réage scheint jedoch über den „Ordre de Roissy" bestens informiert gewesen zu sein. Vielleicht durfte sie ja selbst oder ihre beste Freundin … die spezielle Ausbildung hinter mächtigen Festungsmauern genießen? Tatsache ist jedenfalls, dass der Orden nach seinem Verbot im Jahre 1789 als streng gehüteter Geheimbund im Untergrund weiterexistierte ... Während der Roman „Geschichte der O" in der Öffentlichkeit eine Welle der Empörung hervorrief und unmittelbar nach dem Erscheinen auf den Index gesetzt wurde, bekennen sich heute weltweit immer mehr Menschen zu ähnlichen Neigungen. Aktuell ist die BDSM-Szene längst keine Unbekannte mehr (vgl. nicht zuletzt den literarischen Mega-Erfolg und Kino-Blockbuster „Fifty Shades Of Grey") und trotz bürgerlicher Intoleranz entkriminalisiert. Im Jahre 2011 traute sich die „Gemeinschaft von Roissy" denn auch ans Licht der Öffentlichkeit: Der „Zirkel der O" wurde neu gegründet. Die strengen Rituale und Regeln von Roissy sowie das alte Wappen der Gemeinschaft hat man dabei unverändert übernommen. Die passenden Accessoires findet der Interessierte im Übrigen in spezialisierten Fachboutiquen. Seit über zehn Jahren fertigt z.B. Lionara Moden in Wuppertal Kleider und Röcke der „O" aus hochwertigen Stoffen und in einzigartigen, exklusiven Schnitten an. Jedes Kleid wird in der eigenen Schneiderei in jedem gewünschten Maß produziert. Auch Sonderwünsche stellen kein Problem dar. Des Weiteren bietet das Modegeschäft Korsetts, Umhänge, Capes, Schmuck und Masken der „O" in großer Auswahl an. Wünschen sind keine Grenzen gesetzt. Hans-Joachim Neupert

1984 folgte der zweite Teil der „Geschichte der O" in den Kinos, der aber mit der literarischen GoodTimes

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Das legendäre Auto aus der Streichholzschachtel Leslie Smith und Jack Odell kamen eines Tages auf eine Idee, die es im wahrsten Sinne des Wortes in sich" hatte. Um genau " zu sein, war es ein Spielzeug in der Schachtel". Odells Tochter " lieferte unbewusst die Inspiration dazu, denn sie hatte die Angewohnheit, von ihr gefangene Spinnen mit in die Schule zu nehmen – eben in einer Streichholzschachtel. 15 Jahre später verkaufte MATCHBOX bereits eine Million Spielzeugautos – pro Woche! Eine schier unglaubliche Erfolgsgeschichte auf vier Rädern …

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er kennt sie nicht: die MATCHBOXAutos aus dem Kinderzimmer? Geliebt, endlos bespielt und mit etwas Glück bis heute im eigenen Keller gelagert – natürlich mit viel Patina und geschichtsträchtigen Beulen versehen. Apropos: War es nicht die Schachtel, die wir damals als Erstes wegschmissen, um an den begehrten Inhalt zu gelangen? Heute wissen wir, dass unsere geliebten MATCHBOX-Autos von damals zum Teil gesuchte Raritäten sind. Hätten wir doch nur besser darauf aufgepasst und auch die (heute raren!) Schachteln nicht einfach weggeworfen. Doch wie kam es überhaupt zu dem Kultstatus, den die Marke bis heute umgibt? Rodney und Leslie Smith, zwei Schulfreunde mit zufällig identischem Nachnamen, gründeten 1947 die Firma Lesney Products, deren Name wiederum sich aus ihren beiden Vornamen zusammensetzte. Die beiden waren davon besessen, sich ihren Jugendtraum zu erfüllen und mit Spritzgusstechnik selbstständig zu Seite

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machen. Eine nicht ganz einfache Aufgabe in einer Zeit, in der der Zweite Weltkrieg noch nicht lange Geschichte war und die halbe Welt in Trümmern lag. Doch sie nahmen allen Mut und ihre gesamten Ersparnisse von 600 Pfund zusammen und mieteten eine heruntergekommene Kneipe in London an. Hier entstand die erste Produktionsstätte für ihre Spritzgussteile, und die Miete von acht Pfund monatlich ließ sogar noch etwas Spielraum für eine gebrauchte Spritzgussmaschine und die benötigten Gussformen. Noch im selben Jahr entstand neben Spielzeug-Gewehrteilen zudem auch eine Marionette auf Fäden – das Maultier Muffin. Das Spielzeug basierte auf einer beliebten ehemaligen BBCKindersendung und fand reißenden Absatz. Ebenfalls noch 1947 kam dann Jack Odell als dritter Mann in das noch junge Unternehmen. Odell war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und mit 13 von der Schule verwiesen worden, weil er ein Rebell war. Einen Job als Filmvorführer verlor er ebenfalls, da er sich den Spaß erlaubt hatte, Filme rückwärts ablaufen zu

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lassen. Sein handwerkliches Geschick jedoch stellte er im Hause Lesney dann schnell unter Beweis – und so folgte schon bald auch das erste Produkt mit der Zinkgussform. Der endgültige Durch­bruch kam schließlich mit der Kutsche. Genauer gesagt: der Miniaturausgabe der Krönungskutsche von Queen Elizabeth II. Sie verkaufte sich über eine Million Mal, und rasch wurde klar: Die Zukunft würde in den Spielzeugminiaturen liegen! Der einzige Haken dabei war, dass die Modelle in eine Streichholzschachtel passen mussten, damit die Kinder diese mit in die Schule nehmen durften. Dieses kuriose englische Gesetz bildete letztlich die Voraussetzung für die Geburtsstunde der Marke MATCHBOX. 1953 goss Odell seiner Tochter Anne – die gerne, wie gesagt, (lebende) Spinnen in der Streichholzschachtel mit in die Schule nahm – eine Straßenwalze für ihre Schachtel. Klein und trotzdem kindgerecht, da nicht verschluckbar. Und es sollte sich lohnen, denn der „Aveling Barford Road Roller" ließ sich für ein paar Pence herstellen und wurde der Verkaufsschlager im Lesney-Sortiment. Es folgten Kipper, Milchkutsche, Traktor, Doppeldecker-Bus und PKWs. Die MATCHBOX-Serie 1–75 war geboren. Odell bereiste daraufhin die ganze Welt und bat Autohersteller um das Recht, ihre neuesten Modelle en miniature gießen zu dürfen. Diese ließen sich nicht zwei Mal bitten. Parallel gingen bei MATCHBOX ab 1956 auch die „Models of Yesteryear" im Maßstab 1:43 vom Band. Diese Modellreihe umfassten zunächst Fahrzeuge aus den Anfangsjahren der Motorisierung und Pferdekutschen, später Fahrzeugmodelle aus der Zeit von 1910 bis 1930. hörteile wie Ab 1956/57 kamen die „Accessory Packs" (Zube­ Tankstellen und Zapfsäulen) und die „Major Packs" (eine eigene neue Palette an Fahrzeugmodellen) auf den Markt. Da passte dann sogar eine ganze Tankstelle in eine Streichholzschachtel. Vor allem LKWs und Renntransporter für mehrere Rennwagen gehörten zur Serie, welche die 1960 folgende King-SizeReihe einläutete. Neben Nutzfahrzeug-Klassikern wie dem bekannten ClaasMähdrescher waren auch Automodelle im Maßstab 1:43 Bestandteil. 1966 gewann MATCHBOX den Export-Industriepreis und hatte bis dato bereits über 100 Millionen Modelle in der Schachtel verkauft. Aneinandergereiht hätten die Modelle einer Jahresproduktion eine Fahrzeugkolonne von über 10.000 km Länge ergeben. MATCHBOX war somit auf seine Weise mit seinen mittlerweile zwölf Fabriken und 3.600 Beschäftigten gewissermaßen der größte Autohersteller der Welt geworden … Doch die Konkurrenz schlief nicht, und 1969 eroberten die „Hot Wheels" von Mattel den Spielzeugmarkt. GoodTimes

Allein der Amerika-Umsatz von MATCHBOX ging daraufhin um rund 75 Prozent zurück. Lesneys Antwort auf den neuen Konkurrenten war die „Superfast-Serie", die über Leichtlaufräder verfügte. Die Modelle Iso Grifo, Lotus Europa oder BMC 1800 Pininfarina standen für mehr Spielspaß dank schnellerer Autos. Passend dazu folgte noch im selben Jahr die erste Superfast-Rennbahn, die aus den legendären gelben FahrbahnSchienen bestand. Erweitert um das „Scorpions-System" konnten die Fahrzeuge auch batteriebetrieben ihre Runden drehen, was den Unterhaltungsfaktor ungemein erhöhte und die Rennautos auch wirklich wie Rennautos aussehen ließ. Im 1971er-Katalog umfasste das Thema über 16 Seiten, und es gab da Rennstecken mit Loopings, Rundenzähler, Beschleuniger, den Sprung durch den Feuerreifen und vieles mehr. Um den Kaufanreiz für die Superfast-Modelle zu erhöhen, wurde in den USA für kurze Zeit die „Trade In Blister"Packung angeboten: Man konnte sein altes MATCHBOX-Modell also in Zahlung geben, was den „Neuwagen"-Preis dann von 69 auf 59 Cent verringerte. Im weiteren Verlauf der 1970er Jahre kamen mit der „Skybuster-Serie" erstmalig auch Flugzeuge in den Handel. Es gab neben dem Space Shuttle auch Militärflugzeuge und Passagiermaschinen. 1979 wurde die DisneySerie ergänzt – hier saßen dann Donald Duck oder Micky Maus höchstpersönlich in den Fahrzeugen am Steuer. Das wohl seltenste Modell dieser aus insgesamt 12 Figuren bestehenden Serie ist heute die „WD 3 Goofy im Käfer mit Ohren"-Figur. Diese Modell-Form stellte damals ein Sicherheitsrisiko für Kinder dar, was zu einer raschen Überarbeitung durch MATCHBOX führte. Entsprechend wenige Modelle sind deshalb heute noch im Originalformat zu finden. Alle Kult-Autos, Innova­tionen­und ProduktDiversifikationen halfen der Lesney Products Ltd letztlich jedoch nicht weiter, sie produzierte zu teuer und vernachlässigte sowohl den amerikanischen Markt als auch den aktuellen Trend am Spielzeugmarkt. Am 11. Juni 1982 mussten die Lesneys mit einem Verlust von über 15 Millionen Dollar Konkurs anmelden. Unter Universal Toys blieb der Name MATCHBOX erhalten, die Modelle wurden fortan aber kostengünstig in Thailand und China produziert. Die Modell-Vielfalt ist seitdem noch weiter ausgedehnt worden, das Nummernsystem leider auch – sofern man aktuell überhaupt noch von einem System sprechen kann. Jack Odell starb am 7. Juli 2007 in London. Sein einstiges Unternehmen gehört heute seinem damals größten Konkurrenten, dem „Hot Wheels"-Imperium Mattel. Für viele aber bleiben die Lesneys und bleibt insbesondere der Name Jack Odell für immer im Gedächtnis: „Mr. MATCHBOX", der Mann, der die Streichholzschachtel neu erfand und seinem erfolgreichsten Produkt Leben einhauchte. Der Kult jedenfalls lebt weiter – und ich werde jetzt noch mal in den Keller gehen, um nach meinen MATCHBOX-Autos zu suchen ... Markus Nöth 1/2018

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Sticker im öffentlichen Raum

Klebrige Leidenschaft ... F

Besonders viele Aufkleber finden sich in der Nähe von Universitäten, Sportstadien, U-Bahn-Ausgängen und Kneipenvierteln. Überraschend: Mitunter pappen die Dinger in Höhen von zwei bis drei Metern! Ein raffinierter Trick, um vorzeitigem Entfernen oder Überkleben zu entgehen. Waren da etwa riesengroße Sticker-Fans am Werke? Oder bewegen sich verschworene AufkleberGuerilleros nächtens hurtig mit Klappleitern durch Großstädte?

ußball-Sammelbildchen, Kaugummi-Aufkleber, Werbesticker ... Die Kinder der 70er- und 80er Jahre hatten eine Passion für selbstklebende Druckerzeugnisse. Schränke, Betten, Helme, Skateboards, Schulmappen und Fahrräder wurden dank mannigfaltiger Sticker individueller, schicker und aufregender – zumindest in unserer kindlichen Vorstellungswelt und in den Augen der Altersgenossen. Die Eltern waren von den klebrigen Gesellen hingegen weniger begeistert. „Den kannst du doch nur ganz schwer wieder abbekommen! Hast du dir das auch gut überlegt?" Solche und ähnliche Klagen bekamen wir häufig zu hören. Unbeirrt wurde trotzdem jeder Quadratzentimeter zugekleistert! Dass sich unsere Idole in der Zukunft mal ändern könnten, überstieg unseren kindlichen Zeithorizont, wir lebten schließlich in der Gegenwart. Das dicke Ende kam dann ein paar Monate oder Jahre später, als wir Alf, das A-Team oder David Hasselhoff nicht mehr altersgemäß fanden. Egal, mit welchen Geheimtricks (Alkohol, Glasreiniger, Spucke) wir es auch versuchten: Hässliche Spuren hinterließ fast jeder mühsam abgelöste Sticker. Vielleicht wollten sich Alf und Kollegen damit für unsere Illoyalität rächen?

Für manche Zeitgenossen spielen Sticker auch nach Ende der Kindheit noch eine wichtige Rolle im Leben. Dies beweist ein aufmerksamer Spaziergang durch jede beliebige deutsche Großstadt. Egal, ob München, Köln, Hamburg oder Berlin – Aufkleber finden sich an allen möglichen Stellen im öffentlichen Raum. Auffällig ist in diesem Zusammenhang das beachtliche Stadt-Land-Gefälle: Je kleiner und ländlicher eine Stadt oder Gemeinde ist, desto weniger Sticker entdeckt man. In Mörnsheim, Ossum-Bösinghoven oder Brötzingen ist aufklebertechnisch der Hund begraben. Deshalb gleich zurück in die Ballungsräume der Republik: Sorgsam und unermüdlich bereichern hier unbekannte Personen Verkehrsschilder, Regenrohre, Briefkästen, Kaugummi-Automaten, Stromkästen oder Hausfassaden durch Sticker. Seite

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Feststeht, dass sich die Sticker thematisch grob in die Kategorien Werbung, Politik, Fußball und Kunst unterteilen lassen. Werbliche Sticker verfolgen ein ziemlich profanes Ziel: äußerst kostengünstig auf Waren und Dienstleistungen aufmerksam zu machen. Massagesalon, Döner-Stube, Sexshop, Studenten-Party, Fitness-Center, Autotuning-Handel, Pfandleihhaus, Souvenirladen – sie alle versuchen, den städtischen Spaziergänger zu locken. Leider kann – im Gegensatz zur Online-Werbung – nicht festgestellt werden, wie oft und wie lange­ diese raffinierten Werbebotschaften täglich registriert werden. Ganz und gar nicht kapitalistisch ausgerichtet ist hingegen die zweite Kategorie der Aufkleber im öffentlichen Raum. Politische Sticker propagieren in der Mehrzahl Meinungen aus linken und rechten Randbereichen, oft verbunden mit Aufrufen zu Demonstrationen oder Kundgebungen. Auffällig ist die derbe Sprache, derer sich diese Sticker bedienen. Nicht selten werden bestimme Gruppen (Polizisten, Politiker, Großunternehmer, Beamte, Manager) diffamiert, mitunter sogar mit Aufforderung zur Gewalt. Doch

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wer würde schon aufgrund eines Stickers eine Revolution starten oder eine Gewalttat begehen? Sticker aller Länder vereinigt euch! Ähnlich wie bei ihren werblichen Geschwistern bleibt auch bei den politischen Aufklebern rätselhaft, wie viele Menschen diese – häufig obskuren – Botschaften tatsächlich lesen. Vielleicht interessiert sich primär das jeweilige politische Gegenlager dafür? Fußball-Auf kleber – die dritte Kategorie – sind da ehrlicher, geradliniger. Sie feiern primär den loka­ len Kicker-Verein, markieren sein Revier. Dies schließt eine ebenfalls derbe Sprache natürlich nicht aus! Mitunter wagen sich die Aufkleber rivalisierender Fans sogar ins jeweilige Feindesland. So wurden in München BVB-Sticker gesichtet, während Dortmunder Verkehrsschilder FC-BayernAufkleber zieren. Solche Sticker-Invasionen treten nach Auswärtsspielen inflationär auf, werden aber meist schnell von den jeweiligen Platzhirschen entfernt. Doch auch innerhalb einer Stadt herrscht nicht immer Burgfriede. So können sich in Berlin die Hertha-BSC- und die FC-Union-Fans partout nicht riechen und entfernen oder überkleben gnadenlos die Aufkleber der Gegenseite. West-Berlin ist Hertha-Gebiet, Ost-Berlin Union-Territorium. In München bekleben sich der FC Bayern und der TSV 1860. Fußballmuffel werden die sportlichen Sticker wohl komplett ignorieren. Immerhin machen sich die Fußballaufkleber aber um das Lokalkolorit verdient. Dank der Dynamo-Dresden-, FortunaDüsseldorf- oder VfB-StuttgartSticker vergisst man niemals, in welcher Stadt oder Region man sich gerade befindet. Ein nicht zu leugnender Vorteil für Vergessliche oder Berauschte, denn dank Starbucks, McDonald's, H&M und Konsorten sehen sich deutsche Innenstädte heute ja zum Verwechseln ähnlich. Künstlerische Sticker bilden die vierte und letzte Kategorie. Sie gelten als eine Form der Street-Art und breiten sich seit der Jahrtausendwende vermehrt in Großstädten aus. Kunststicker sind äußerst demokratisch, machen sie doch die Straße zur Galerie. Kunst für alle! Ein gelber Schimpansenkopf auf dem Stoppschild, ein neongrünes Opossum am Briefkasten, eine karierte Mikrobe auf dem Zigarettenautomaten. Was will uns der Künstler damit sagen? „Ich will zum Nachdenken anregen, die Menschen irritieren", könnte nach gängigen Klischees ein mögliches Künstlerstatement lauten. Tobias zum Beispiel (Name geändert) lebt in Berlin-Moabit, bezeichnet sich selbst als Stickerkünstler und beklebt regelmäßig die deutsche Hauptstadt. Was motiviert ihn dazu, den öffentlichen Raum zu verändern? ­ ­ GoodTimes

„Ich mache das in erster Linie für mich selbst. Weil es einfach Spaß bringt und mir eine Möglichkeit zum Mitteilen gibt. Ich hinterlasse so Spuren in meiner Stadt, meinem Kiez. So kann ich einen Teil der Anonymität der Millionenstadt überwinden, es mir ein wenig heimischer machen." Und warum drückt er sich ausgerechnet durch Sticker aus? „Ich bin ein eher introvertierter Mensch. Meine Botschaften kann ich zu Hause in Ruhe zeichnen, alles perfekt vorbereiten. Ich trage die fertigen Aufkleber immer in der Jackentasche bei mir. Wenn ich dann abends von einer Party oder einem Kinobesuch nach Hause komme, verteile ich sie schnell und anonym an Stromkästen oder Abwasserrohren. An Stickern mag ich, dass man sie so zügig anbringt. Graffiti sind ja eher ein Nervenkitzel. So etwas wäre nichts für mich, ich bin ein Angsthase!" Tatsächlich fällt das Anbringen von Graffiti unter den Tatbestand der Sachbeschädigung, während Stickern als Wildplakatierung geahndet wird. Das Hobby von Tobias stellt also eine Ordnungswidrigkeit dar, er begeht eine geringfügige Verletzung von Rechtsregeln. Ein Problem für den Stickerkünstler? „Ich verändere das Erscheinungsbild von Orten nur kurzfristig. Wer sich an meinen Werken stört, kann sie einfach wieder entfernen. Trotzdem habe ich natürlich Angst vor einem Bußgeld. Aber diese ständige Furcht macht vielleicht auch einen Teil der Stickerkunst-Faszination aus." Tobias ist Anfang 30, besitzt ein Smartphone und einen Laptop. Warum stellt er seine Werke nicht einfach ins Netz? Kann er auf diese legale Weise nicht viel einfacher ein großes Publikum erreichen? „Im Internet gibt es so viele Möglichkeiten, sich zu informieren oder zu unterhalten. Dass die Menschen da draußen ausgerechnet meinen Blog finden – äußerst unwahrscheinlich. Auf der Straße hingegen gibt es nicht ganz so viele optische Reize. Passanten müssen gezwungenermaßen an der Ampel warten, haben für einige Sekunden Zeit, sehen meine Kunstwerke oder nehmen sie unterbewusst wahr, denken vielleicht über meine Botschaft nach. So stelle ich mir das zumindest vor." Tobias lebt bescheiden, verdient wenig. Wie teuer kommt ihn sein außergewöhnliches Hobby im Monat? „Ach, ich verwende häufig selbst klebende Postpaketformulare. Die gibt es gratis in jeder Postfiliale. Zum Zeichnen benutze ich Textmarker. Meine Kosten im Monat sind geringer als der Preis für einen Döner. Auch das ist Teil meiner Botschaft." Apropos Botschaft, worauf genau will Tobias die Passanten aufmerksam machen? „Ein häufiges Motiv von mir ist der Schimpanse im Einkaufswagen. Es steht dafür, dass wir die Natur und unsere Grundbedürfnisse immer mehr aus den Augen verlieren. Wir flüchten uns in eine Welt aus Arbeit und Konsum, vergessen dabei die elementaren Dinge des Lebens. Aber das ist natürlich nur eine Interpretationsmöglichkeit. Ich will mich nicht festlegen. Meine Aufkleber sollen rätselhaft sein, lustig aussehen und uneindeutig bleiben." Nicolas von Lettow-Vorbeck 1/2018

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VEB Deutsche Schallplatten

Von Kati Naumann

Teil 3

Das akustische Schatzkästchen für die ganze Familie E

nde der 60er Jahre bestand die Heimelektronik in den Wohnzimmern der DDR meistens nur aus einem Radio und einem Plattenspieler. In meiner Kindheit genoss der Ziphona Phonokoffer deshalb eine ganz besondere Wertschätzung. Wenn im Radio das „Butzemannhaus" vorbei war, konnten sich meine Schwester und ich immer noch eine Schallplatte mit einem Hörspiel erbetteln. Spejbl und Hurvinek, Pittiplatsch und Schnatterinchen – das waren die Hörspielhelden unserer Kindheit. Die Eltern dagegen liebten den braven Soldaten Schwejk. In jedem ostdeutschen Plattenschrank standen diese Kostbarkeiten, die der ganzen Familie die Abendzeit vertreiben konnten. Sie alle waren bei Litera veröffentlicht worden und kosteten einheitlich 12,10 Mark der DDR. Litera war das 1963 gegründete Label für Sprechplatten beim VEB Deutsche Schallplatten, der einzigen Plattenfirma der DDR. Den Auftakt für Litera gaben Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull". Die historische Autorenlesung war der erste von insgesamt knapp 500 Titeln, die im Laufe der Jahre bei Litera erschienen sind. Darunter befanden sich Hörspiele für Kinder, klassische und moderne Dramen, Mitschnitte aus Theater und Kabarett sowie Dokumentationen. Für Kinder wurden liebevoll inszenierte Hörspiele produziert, die sich auf die Handlung konzentrierten, aufwändige Hintergrundatmosphäre besaßen und mit Musik ausgestattet wurden. Sie zeichneten sich durch eine hohe künstlerische Qualität aus und waren größtenteils frei von Ideologie. Nur bei etwa zehn Prozent der Produktionen fand eine Zensur statt, 90 Prozent erschienen, ohne von einer politischen Instanz kontrolliert worden zu sein. Es kamen zahlreiche klassische Märchen der Gebrüder Grimm, von Wilhelm Hauff und Hans Christian Andersen als Singles, EPs und Langspielplatten heraus. Viele MärchenEPs mit dem unvergessenen Joseph Offenbach als Erzähler Seite

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wurden im Laufe der Jahre immer wieder neu aufgelegt. Eine der beliebtesten Erscheinungen auf Langspielplatte waren die drei Folgen aus der Reihe „Ins Märchenland mit den Gebrüdern Grimm", auf denen 13 der bekanntesten Grimm'schen Märchen vertreten waren. Diese Reihe stach schon allein durch ihre originellen, an Scherenschnitte erinnernden Cover hervor. Vertreten waren darauf so bekannte und großartige Sprecher wie Otto Mellies, Dietmar Richter-Reinick und Erik S. Klein. Es wurden außerdem Nachdichtungen von osteuropäischen Märchen veröffentlicht, wie zum Beispiel „Ein Körnchen Wahrheit – Märchen und Schelmengeschichten der Sowjetvölker". Darauf enthalten waren neben den Märchen, gesprochen u.a. von Rolf Ludwig, Fred Düren, Klaus Piontek und CarmenMaja Antoni, auch Volkslieder und Tänze aus der Sowjetunion, gespielt vom Berliner Sinfonie-Orchester unter der Leitung von Günther Herbig. Auch wenn es bei­Litera keine Hör­ spielserien gab, hatten die DDRKinder etwas viel Besseres, nämlich die Geschichten um Pittiplatsch und Schnatterinchen. Die Figuren waren den Kindern aus der Sandmännchen-Sendung des Fernsehens bekannt, gesprochen wurden sie von Heinz Schröder und Friedgard Kurze. Ab 1983 erschienen 14 Geschichten um den frechen Kobold und seine Freunde auf einzelnen Singles und noch einmal gesammelt auf den Langspielplatten „Als Pitti schneller wach-

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sen wollte", „Der Koboldsturm" und „Das Flattergespenst in der Gartenlaube". liederplatte war der „Lieder­ Eine ebenfalls sehr beliebte­Kinder­ spielplatz" mit dem Sänger und Komponisten Siegfried Uhlenbrock, deren erster Teil 1984 erschien. Darauf zu hören waren Lieder aus Episoden, die ebenfalls beim Sandmännchen gezeigt wurden und der musikalischen Früherziehung der kleinen Zuschauer dienten. Bei Litera erschienen außerdem zahlreiche aufwändig inszenierte Hörspiel­­ adaptionen klassischer Kinder- und Jugendbücher. Viele von ihnen wurden von Dieter Scharfenberg bearbeitet, der ebenfalls Regie führte. Eines der beliebtesten Abenteuerhörspiele war „Die Schatzinsel" von Robert Louis Stevenson, die 1974 erschien. In meiner Klasse hatte einer der Jungs diese Schallplatte so oft gehört, dass er sie im Deutschunterricht vollständig und wortgetreu herunterrasseln konnte und sich der Rest der Klasse anschließend die Lektüre sparte. 1976 kam neben der Nachauflage von Mark Twains „Tom Sawyer" endlich auch „Huckleberry Finn" mit Gerry Wolff als Erzähler heraus. Erst

in den 80ern wurde der bis dahin aus den Bibliotheken verbannte Karl May in der DDR wieder neu aufgelegt. Und so erschienen 1987 und 1989 auch bei Litera zwei langersehnte Hörspiele nach Erzählungen von May, „Die Schlacht in der Mapimi" und „Hadschi Halef Omar". Außerdem kam 1988 mit „Das Zeichen der vier ++++" ein Sherlock-HolmesRoman von Arthur Conan Doyle heraus. Neben den Klassikern wurden für Kinder zudem neuere Geschichten veröffentlicht, z.B. von Edith Bergner, Benno Pludra, Ehm Welk und Eva Strittmatter. Von zahlreichen Kinderbüchern aus dem Kinderbuchverlag Berlin gab es Hörspielfassungen, so auch mehrere Erzählungen des russischen Autors Samuil Marschak. Am bekanntesten ist die Fassung von „Das Katzen­haus", mit Musik von Joachim Thurm und der BrechtSchülerin Käthe Reichel als einer der Sprecherinnen. Außerdem erschien „Das Wolkenschaf" von Fred Rodrian, „Die Weihnachtsgans Auguste" von Friedrich Wolf und „Pony Pedro" von Erwin Strittmatter. Eine der begehrtesten Platten war Gerhard Holtz-Baumerts „Alfons

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Zu den wenigen vom VEB Deutsche Schallplatten eingekauften Lizenzen gehörte eine Aufnahme mit dem Kabarettisten Emil Steinberger, die 1978 erstmals erschien und zahlreiche Nachauflagen erlebte. Emil brachte mit seiner Nummer als kreuzworträtsellösender Telegrafenbeamter eine ganze Generation von DDR-Bürgern dazu, nicht mehr Ostern, sondern Ogtern zu sagen. 1988 erschienen mit „Loriot" und „Ottos Sammelsurium" mit Otto Waalkes zwei weitere Lizenzplatten.

Zitterbacke". Die Aufnahme mit Joachim Brendel und Herbert Köfer unter der Regie von Theodor Popp und mit Musik von Gerhard Bautzmann erschien in zahlreichen Auflagen und war vermutlich in jedem Haushalt der ehemaligen DDR zu finden. Ebenfalls außerordentlich beliebt waren die Autorenlesungen des Eulenspiegel-Autors Otto Häuser alias Ottokar Domma. Seine Geschichten um den braven Schüler Ottokar waren im Kinderbuchverlag Berlin erschienen. Aus der naiven Sicht eines frechen Sechstklässlers betrachtete Häuser sämtliche Probleme der DDR und erzählte witzig und unverblümt von Ver­ sorg ungseng pässen, Tr a b i -­W a r t e l i s t e n , P ionier ­­­­n achmit tagen und West­besuchen. Auch Lesungen anderer Eulenspiegel-Autoren wie Renate HollandMoritz, Rudi Strahl, Peter Ensikat und John Stave erschienen bei Litera, außerdem Kabarettmitschnitte der Herkuleskeule und der Distel, beide Berlin, und der Academixer aus Leipzig. 1968 gab es die äußerst beliebte Komiker-Parade, die in den Folgejahren mehrfach wiederaufgelegt wurde. Darauf war gleich an erster Stelle Eberhard Cohrs zu hören mit seiner ganz eigenen Version vom Erlkönig. Als wir dieses Gedicht in der Schule durchnahmen, sagte der Klassenclown natürlich die Version von der Litera-Platte auf: „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind, es ist der Vater, der kriegt ä Kind!" Außerdem vertreten auf dieser Platte waren Lutz Jahoda, Paul Beckers mit seinem „Plättbrett" sowie Rolf Herricht und Hans-Joachim Preil mit ihrem legendären „Mücken­t ötolin". Der bereits aufgenommene zweite Teil der Komiker-Parade wurde leider nie veröffentlicht. Vom Komiker­ duo Herricht und Preil erschienen außerdem „Aber Herr Preil" und mehrere Ausgaben von „Eine Stunde gute Laune" mit Aufnahmen ihrer bekanntesten Sketche. Außerdem wurden unterhaltsame Theatermitschnitte veröffentlicht, wie zum Beispiel 1987 die Aufnahme des Stücks „Was soll das ganze Theater" von der Volksbühne Berlin mit Marianne Wünscher und Hans Teuscher. Seite

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Natürlich kamen bei Litera auch Aufnahmen der großen Klassiker heraus. 1962 wurde auf drei Schallplatten eine vollständige Aufnahme von Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise" unter der Regie von Wolfgang Langhoff, mit Eduard von Winterstein als Nathan, gepresst. 1963 wurden Schillers „Kabale und Liebe" herausgebracht sowie sämtliche Gedichte Johann Wolfgang von Goethes. 1964 folgten „Faust, Teil I" und „Faust, Teil II" mit Horst Caspar und Heinz Drache. Ebenfalls 1964 erschienen Gedichte von Lessing und Goethe, vorgetragen von Peter Ertelt und Fred Düren. Außerdem brachte Litera Hörspielfassungen einiger Werke von Glasbrenner, Tucholsky und Brecht heraus. Eine der auflagenstärks­t­e­n Veröffentlichungen mit vier Nach­ auflagen aber waren die 1965 erschienenen vier erotischen Novellen aus dem „Dekamerone", gelesen u.a. von Rolf Ludwig. Die Litera-Cover wurden von namhaften Künstlern gestaltet. So zeichnete Rudolf Grüttner das Cover eines der seltenen Science-Fiction-Hörspiele: „Die Sterntagebücher des Weltraumfahrers Ijon Tichy" von Stanislaw Lem. Werner Klemke, der auch für das beliebte „magazin" illustrierte, übernahm die Covergestaltung der Märchenplatte „Tischlein deck dich". Heute liegen die Rechte für den Litera-Katalog bei Random House. Bei „Litera Junior" begeistern Alfons Zitterbacke, Pittiplatsch und Spejbl & Hurvinek noch immer große und kleine Hörer. Und die originalen Autorenlesungen der Geschichten um das brave Früchtchen Ottokar Domma sind inzwischen bei Buschfunk erhältlich ...

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